Es tat weh.
Die letzten Worte, die Snape an Hannah gerichtet hatte,bevor er davongerauscht war, taten ihr unendlich weh. Sie brauchte ein paar Minuten, bis sie wieder in der Lage war, das frohe und unbeschwerte Gespräch mit John fortzuführen. Als sie am großen Tor ankamen verabschiedete Hannah sich so schnell wie möglich, dann eilte sie zum Schloss zurück. Zuerst wollte sie zu Snapes Büro eilen, doch im letzten Moment entschied sie sich anders. Was sollte sie auch sagen?
Also ging sie in ihren Schlafsaal, den sie die nächsten Wochen für sich allein haben würde. Aus einer kleinen Truhe, die am Fußende stand, holte sie einen großen Stapel Schulbücher. Am Fußende jedes Bettes stand eine Truhe, die meisten nutzen sie für Kleider oder Schuhe, die nicht mehr in den kleinen Kleiderschrank passten, der jedem zur Verfügung stand. Doch Hannah lagerte in dieser Truhe Schulbücher der vergangenen Jahre sowie Aufsätze, die nicht mehr in das kleine Bücherregal passten, das neben ihrem Schrank stand. Hannah hatte nicht allzu viele Klamotten im Schloss, einige Garnituren ihrer Schuluniform, dazu ein paar Kleider und Strumpfhosen, die sie an den Wochenenden trug und Schlafanzüge. Und Victoria zog sie regelmäßig damit auf, dass sie nur drei Paar Schuhe im schloss hatte. Bei Emily und Eric, den Freunden ihrer Eltern, hatte sie viel mehr, was hauptsächlich daran lag, dass Emily eine fanatische Liebe für Schuhe und Mode hegte.
Sie nahm die Bücher der letzten zwei Jahre und setzte sich damit vor eines der Fenster, gegen das das Wasser des Sees plätscherte. Das Geräusch war beruhigend, und es half Hannah, sich auf die Bücher zu konzentrieren. Dieses Jahr würde sie ihre ZAGs mache, und sie wollte langsam damit beginnen, den Stoff der letzten Jahre zu wiederholen.
Bis zum Mittagessen war es nicht mehr lange, und sie las die ganze Zeit. Das Mittagessen brachte sie schnell hinter sich, kam jedoch nicht umhin, Snape zu sehen. Er sah grimmig aus und würdigte sie keines Blickes.
Da so viele Schüler über die Ferien nicht im Schloss waren, waren die Tische recht leer, es saßen nur vereinzelt kleine Grüppchen beisammen.
Hannahs Freunde waren alle zu Hause, aber einige Mädchen aus der Clique waren da. Hannah setzte sich zu ihnen und unterhielt sich mit ihnen. Sie waren ganz nett, aber Jules, das plumpe Mädchen mit den orangenen Haaren, war leider auch dabei.
Sie redete unablässlich, und fast alles, was sie sagte, war dumm oder eine Wiederholung dessen, was jemand anderes kurz zuvor gesagt hatte. Hannah hatte sie schon vorher nicht gemocht, aber langsam begann sie, sie zu hassen.
Sobald sie fertig mit Essen war ging sie eilig zurück in ihren Schlafsaal, um weiter zu lernen. Der Nachmittag ging schon langsam in den Abend über, als es an ihrer Tür klopfte.
Sie lag, von Büchern umgeben, auf einem dicken Teppich. Als sie das klopfen hörte richtete sie sich auf, strich ihre Haare glatt und sagte:
„Herein!"
Jules streckte ihren Kopf in den Schlafsaal und schaute ein wenig irritiert, als sie Hannah auf dem Boden sitzen sah.
„Ich habe etwas für dich, Professor Snape hat es mir für dich gegeben. Es ist ein Aufsatz, den du noch nicht zurück bekommen hast", sagte sie nach einem kurzen Moment.
„Okay...danke", sagte Hannah und nahm Jules die Rolle Pergament, die sie ihr hinhielt, aus der Hand.
„Wir sehen uns dann beim Abendessen", verabschiedete Jules sich und verließ Hannahs Schlafsaal.
Hannah legte sich wieder hin und schaute das Pergament gedankenverloren an. Hatte sie vor den Ferien eine Hausaufgabe wirklich nicht zurück bekommen? Sie hoffte, dass dem nicht so war, und dass er sie sehen wollte. Dass er mit ihr reden wollte, sie nicht hasste.
Sie hätte ihm die Geschichte mit John einfach erklären sollen, ob er nun hatte hören wollen oder nicht. Aber hatte es ihn überhaupt so sehr interessiert, dass er sie mit John gesehen hatte?
Ihr wirbelten so viele Gedanken durch den Kopf, dass sie kaum noch wusste, was zu tun war. Ihr Herz begann zu rasen, und erschrocken stellte sie fest, dass ihre Finger zitterten.
Es war ewig her, dass ihre Finger so sehr gezittert hatten. Sie lies sich viel zu sehr von alledem aus der Bahn werfen. Sie konnte mit all diesen Gefühlen nicht alleine Umgehen, es überforderte sie. Wo war die eiskalte Hannah hin?
Sie schüttelte den Kopf, als Könne sie die Gedanken wie Fliegen einfach abschütteln, und stand vom Boden auf. Im Raum auf und ab gehend brach sie das Wachssiegel, mit dem die Rolle versiegelt war. Hannah wusste zuerst nicht, warum er das getan hatte, doch als sie die Notizen, die er zu ihrem Aufsatz gemacht hatte - es war tatsächlich ein Aufsatz, den sie vor eta einer Woche abgegeben hatte und anscheinend noch nicht zurück bekommen hatte - überflogen hatte und zu der Zusammenfassung an Verbesserungen, die er immer ganz unten auf das Pergament schrieb, gelangte, stand dort nichts auf ihren Aufsatz bezogenes.
Bitte kommen Sie nach dem Essen zu mir, stand dort nur.
Sofort schnellte Hannahs Puls noch mehr in die Höhe und ihr wurde schwindelig. Vorsichtig ging sie zu ihrem Bett, doch ihre Sicht war so verschwommen, dass sie auf mehrere Bücher trat und sich den kleinen Zeh am Bettpfosten stieß. Sie lies sich auf ihr Bett sinken und begann, bewusst tief zu atmen. Als ihre Sicht wieder klarer wurde und ihr Herz aufhörte zu rasen sah sie auf den Wecker auf ihrem Nachtschrank. Sie hatte noch fast eine Stunde bis zum Essen. Sie nahm einen Roman (keinen Tankstellen-Roman) vom Regal, Jane Eyre von Charlotte Bronte, ihr Lieblingsbuch, und begann zu lesen.
Auf dem Weg zur großen Halle war sie schon nicht mehr nervös. Sie holte noch einmal kurz tief Luft, bevor sie in die Halle trat und sich zu den anderen setzte. Sie warf nur einen kurzen Blick zum Lehrertisch. Snape schaute sie kurz an, etwas merkwürdiges lag in seinem Blick, aber sie konnte nicht genau sagen, was es war.
Sie redete mit einigen anderen Fünftklässler am Tisch über die anstehenden ZAGs. Fast alle hatten schon angefangen zu lernen, und die meisten fühlten sich komplett überfordert.
„Ich weiß ja nicht einmal, was ich später beruflich machen möchte, und worauf ich deswegen meinen Fokus legen möchte", beschwerte sich Emily, neben der Hannah in Verwandlung saß, „Ich meine, wenn ich mich jetzt mehr auf Verwandlung konzentriere als auf Zaubertränke, aber dann einen Beruf entdecke, den ich ausüben möchte, für den ich Zaubertränke in meinen UTZs gebraucht hätte?"
„Keine Sorge", meinte eine Sechstklässlerin, „Die Hauslehrer reden nach den Ferien mit allen ZAG-Schülern über deren Berufsperspektiven. snape ist ziemlich hilfreich, was das angeht."
„Hannah, weißt du schon, was du werden willst?", fragte jemand.
„Noch nicht genau. Ich könnte mir vorstellen, als Lehrerin nach Hogwarts zurück zu kommen. Oder in einer der großen magischen Bibliotheken zu arbeiten, London oder Edinburgh. Vielleicht Dublin. Aber ich weiß es wirklich noch nicht."
Sie redeten noch über verschiedene Berufe, aber keiner begeisterte Hannah so wirklich. Es musste doch einen Beruf geben, der Hannah begeisterte? Sie hatte früher nie daran gedacht, dass sie eines Tages das Bedürfnis nach Glück verspüren könnte. Bisher hatte sie immer nur das Bedürfnis nach Macht und Ansehen gehabt. Aber das hatte sich geändert, und das hatte etwas zu tun mit diesen faszinierenden schwarzen Augen, die sich grade zügig vom Lehrertisch entfernten und schließlich die große Halle in Richtung Kerker verließen...
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Emotions (HP/Severus Snape FF)
FanfictionZehn Jahre ist es her, dass Lily gestorben ist, und der Professor Severus Snape hat ihren Tod noch immer nicht verkraftet. Seid Jahren schon versucht er seinen Kummer in Arbeit zu ertränken. Doch jetzt, wo Lily's Sohn Harry nach Hogwarts geht und er...