Kapitel 22

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Hannah blieb noch einige Minuten stehen und schaute in die Richtung, in die Eric und Emily verschwunden waren. Es war eiskalt, wie für Januar typisch. Als es anfing, leicht zu schneien, machte sie sich auf den Weg zurück zum Schloss, jedoch nicht, ohne einen kleinen Umweg über die Ländereien zu gehen.
Wieder im Schloss angekommen machte sie sich auf den Weg zu Severus Büro, in der Hoffnung, ihn dort zu treffen. Als sie an die Tür seines Büros klopfte erhielt sie keine Antwort, also trat sie ein. Vorsichtig ging sie zu der Tür zu seinem Wohnzimmer und drückte vorsichtig die Klinke runter. Die Tür ließ sich problemlos öffnen. Leise trat sie in den kleinen Flur und trat durch die zweite Tür in sein Wohnzimmer.
Severus saß am Tisch, das Gesicht in den Händen vergraben.
Wortlos setzte Hannah sich neben ihn.
„Du solltest nicht hier sein", sagte er nach ein paar Minuten der Stille, seine Stimme klang durch seine Finger hindurch gedämpft.
„Warum?", fragte Hannah verwirrt.
„Ich musste deinen Eltern versprechen, mich von dir fern zu halten."
Sie schwieg kurz.
„Mir hast du mal versprochen, dich nie wieder von mir fern zu halten. Und ich will, dass du dich immer daran hältst, egal, was passiert. Welches Versprechen ist dir wichtiger, das, dass du meinen Eltern gegeben hast, oder das, dass du mir gegeben hast?"
Er hob den Kopf und sah sie an.
„Egal, was passiert?"
„Ganz egal, was passiert", bestätigte sie und lächelte ihn an.
Er stand ruckartig auf, riss sie mit sich hoch und zog sie in eine feste Umarmung.
Hannah lachte überrascht auf und vergrub ihr Gesicht in seinem Umhang. Doch plötzlich wurde aus ihrem Lachen ein Weinen, so schnell, dass Hannah es selbst erst nicht merkte.
„Was ist denn los?", fragte Severus erschrocken.
„Ich weiß es auch nicht so genau", meinte Hannah und musste wieder lachen.
Er schob sie eine Armeslänge von sich weg und sah sie kritisch an.
„Es ist noch eine Weile bis zum Abendessen, vielleicht sollten wir uns etwas hinlegen?". Schlug er vorsichtig vor.
Lachend und weinend gleichzeitig nickte Hannah und sagte mit erstickter Stimme:
„Ja, das ist vielleicht eine gute Idee."
Sie kuschelten sich aufs Sofa, in die Decke gewickelt, die Hannah Severus zu Weihnachten geschenkt hatte.
Unvermittelt unterbrach er nach einer Weile die Stille:
„Du kommst wirklich damit zurecht? Ich könnte es verstehen, wenn..."
„Severus, wirklich, ich denke, ich komme damit zurecht. Ich werde es zumindest versuchen, ich werde dich nicht einfach so loslassen. Du bist immerhin der wichtigste Mensch in meinem Leben."
Er drückte sie fester an sich.
„Du bist auch der wichtigste Mensch in meinem Leben. Ich kann es mir kaum vorstellen, wie es wäre, würdest du mich verlassen", flüsterte er.
„Ich habe nicht vor, dich jemals zu verlassen, mein Herz."
Auch sie zog ihn fester an sich.
„Und jetzt schlaf ein wenig"

Sie schlief tatsächlich bald, erschöpft vom Schock und vom Weinen. Als sie wieder aufwachte hatte sie Kopfschmerzen und fühlte sich noch immer erschlagen und müde.
„Es gibt gleich Abendessen, meine Liebste", flüsterte Severus ihr ins Ohr, als er merkte, dass sie sich bewegte. Verschlafen fuhr Hannah sich mit den Händen über ihr Gesicht und seufzte tief.
„Es sei denn, du willst nicht gehen. Selbstverständlich können wir auch hier bleiben", sagte er leise, ein hoffnungsvoller Ausdruck in den Augen.
Ein wenig ungeschickt richtete Hannah sich auf und sagte mit einem leicht erzwungenem Lächeln auf den Lippen:
„Nein, lass uns essen gehen, Essen täte mir jetzt gut."
Er seufzte nun ebenfalls und richtete sich ebenfalls auf. Er wirkte dabei ebenso verschlafen und ungelenk wie Hannah, was diese zum schmunzeln brachte. Er warf ihr einen warnenden Blick zu, was sie nur zum Grinsen brachte.
Sie machten sich beide einigermaßen zurecht, denn sie sahen verschlafen aus und ihre Haare standen wild ab. Als Hannah ihre Haare gebändigt hatte und sie wieder glatt lagen, blieb sie vor dem kleinen Spiegel in Severus Badezimmer stehen und betrachtete sich kritisch.
„Was ist los?", fragte Severus, der ihren kritischen Blick bemerkte.
„Ich sehe aus wie...wie ich mich fühle...", sagte sie unglücklich.
Er trat von hinten an sie heran und legte seine Arme um sie.
„Wie fühlst du dich denn? Denn für mich siehst du wunderschön aus", raunte er ihr ins Ohr.
Sofort musste sie lächeln und ihr Herz schien anzuschwellen vor Freude.
„Ich fühle mich - nur erschöpft. Müde"
Ursprünglich hatte sie kaputt sagen wollen, denn das wäre die Wahrheit gewesen, sie fühlte sich im innersten zerbrochen. Doch sie wusste, dass er sich bereits Vorwürfe machte und wollte ihn nicht zusätzlich belasten.
„Selbst wenn du müde bist bist du noch immer das schönste, was ich je sehen durfte."
Er strich ihr Haar zur Seite und legte somit ihren Nachen frei. Sie lehnte ihren Kopf, leicht schief gelegt, an seine Schultern, sodass ihr Hals frei lag.
Sanft bedeckte er diesen mit kleinen Küssen. Sie entspannte sich in seiner Umarmung, ihre Gefühle und Erschöpfung vergessend. Und trotzdem merkte sie etwas, eine leichtes Ziehen in ihrem Brustkorb, das sie von ihm weg ziehen wollte und es ihr untersagte, sich gänzlich zu entspannen.
Lass uns gehen, mein Herz, sonst verpassen wir das Essen noch", sagte sie leicht atemlos.
Er lies von ihr ab, und Hand in Hand verließen sie seine privaten Räume und gingen in sein Büro.
„Geh du schon vor, ich komme nach", sagte er und strich ihr über die Wange.
Anstatt etwas zu sagen stellte sie sich auf die Zehenspitzen und Küsste ihn. Dieser Kuss war schüchterner als die zuvor, Hannah spürte sie Sorge in ihm. Als sie sich voneinander lösten sah sie ihm kurz tief in die Augen und versuchte, all das Vertrauen und die Liebe, die sie für ihn empfand, in ihren Blick zu legen. Dann wandte sie sich um und wollte das Büro verlassen. Sie war schon fast an der Tür, als se spürte, wie seine Finger sich um ihr Handgelenk schlossen.
Sie wandte sich ihm erstaunt zu, doch ohne ein Wort zu sagen zog er sie in einen weiteren Kuss. Dieser war intensiver und tiefer als der zuvor, doch lag auch in diesem eine Vorsicht und Zartheit, die zuvor noch nie da gewesen war.
„Kommst du nach dem Essen wieder her?", fragte er mit rauer Stimme.
Verlegen senkte sie den Blick. Sie hatte nicht vor, diese Nacht bei ihm zu verbringen, sie brauchte Ruhe und Einsamkeit, um nachzudenken. Obwohl sie ihm verziehen hatte musste sie doch Nachdenken und wollte dafür ein wenig Ruhe. Obwohl sie wusste, dass sie sie Severus nichts vorwarf, dies niemals tun würde, war es doch nicht so einfach, dies zu verarbeiten. Immerhin ging es doch um die Ermordung ihrer Eltern.
„Nein, ich werde den Abend - und die Nacht - in meinem Schlafsaal verbringen, es tut mir leid", sagte sie leise.
„Das ist selbstverständlich kein Problem, mein Schatz", sagte er sanft, doch Hannah hatte das Gefühl, dass er traurig und besorgt darüber war.
„Ich komme morgen wieder", versprach sie ihm, dann verließ sie endgültig den Raum.

Das Essen zog sich in die Länge, denn Hannah wurde in ein viel zu langes Gespräch verwickelt, dessen eigentliches Theme sie schon während des Gesprächs Vergessen hatte. Ein dumpfer Schmerz machte sich in Hannah breit und lies alles ein wenig entfernt und verschwommen erscheinen, und sie fühlte sich, als wäre sie einen Schritt von der Realität weg getreten und sähe nur als unbeteiligte Zuschauerin zu.
Nach dem Essen ging sie sofort in ihren Schlafsaal, sich nach Ruhe und Einsamkeit sehnend. Doch die Schatten in den Ecken wirkten plötzlich größer und dunkler als zuvor, die Schritte, die leise an der Tür vorbei zogen klangen plötzlich bedrohlich und die gedämpften Stimmen der anderen klangen wie Verschwörungen und Flüche.
Im Versuch, sich zu beruhigen und sich endlich entspannen zu können, machte Hannah sich schon früh fertig und gig ins Bett. Lange versuchte sie, zur Ruhe zu kommen und endlich einzuschlafen, doch die Gedanken in ihrem Kopf rasten schneller als je zuvor und ließen sie in Angst und Verzweiflung zurück. Und sie kehrten immer wieder zu Severus zurück. Er hatte an jenem Tag versucht, ein Kind zu beschützen, er war an jenem Tag kein Todesser, oder zumindest kein überzeugter Todesser, gewesen, und doch war er so einfach in der Lage, Menschen zu töten.
Es war Krieg, rief Hannah sich in Erinnerung, jeder hat Menschen getötet. Emily und Eric haben auch Menschen getötet, um ein Kind zu beschützen.
Andererseits war Severus, wenn auch aus Einsamkeit und Verzweiflung, eines Tages den Todessern beigetreten, obwohl er deren wahre Intention gewusst hatte. Er hatte Voldemort an einem Punkt seines Lebens für das geringere Übel befunden.
Er hat einen großen Fehler gemacht, daraus gelernt und ihn zum Vorteil anderer genutzt. Er hat Voldemort für Dumbledore ausspioniert, als Doppelagent gearbeitet.
Egal, wie viel Hannah nachdachte, am Ende fand sie genau so viel Schlechtes an ihm wie Gutes. Er schien ein perfektes Gleichgewicht aus Gut und Schlecht, Gut und Böse in sich zu tragen.
„Warum hätte ich mich nicht in jemanden verlieben können, der einfach eindeutig gut ist?", seufzte sie resigniert auf.
Langsam beruhigte sie sich und döste ein, lies sich knapp unter der Oberfläche ihres Bewusstseins treiben. Doch als sie immer wieder kurz einschlief und das Feuer im Kamin langsam runterbrannte, kroch die Angst wieder zu ihr ins Bett. Die Schatten schienen wieder Bedrohend um sich zu lecken, und die Geräusche des Windes jagten ihr Schauer über den Rücken.

*

Er saß alleine in seinem Büro, das Feuer im Kamin war schon fast erloschen, und überlegte sich, welche Tränke er als nächstes mit seinen  Klassen besprechen sollte. Doch obwohl er sein bestes gab wanderten seine Gedanken immer wieder zu Hannah.
Es war ihm nie in den Sinn gekommen, dass die beiden Menschen, die er an jenem Tag, an dem hunderte gestorben waren, ausgerechnet Hannahs Eltern gewesen sein könnten.
Und als er es erfahren hatte, sie es erfahren hatte, hatte er nicht damit gerechnet, dass sie ihm jemals verzeihen würde. In jenem Moment hatte er all die schönen Momente der letzten Tage - er konnte es kaum glauben, dass es nur zwei Wochen gewesen sein sollten - vor sich gesehen und erwartet, so etwas nie wieder zu erleben. Es war zu perfekt gewesen, um anzuhalten.
Doch sie hatte ihm verzeihen können. Zumindest sagte sie das. Und trotzdem hatte er Angst, sie doch noch verlieren zu können.
Es fühlte sich so an, als würde sie im langsam entgleiten, obwohl sie ihm genau so viel Liebe und Zärtlichkeit zukommen lies wie zuvor. Er hatte das Gefühl, sie würde ihm entgleiten, egal wie sehr er versuchte sie zu halten - als würde er versuchen, Wasser mit bloßen Händen festzuhalten.
Er schreckte auf, als er ein klopfen an der Tür hörte. Er sah auf die Uhr und stellte fest, dass die Sperrstunde vor wenigen Minuten begonnen hatte, es sollte also kein Schüler sein.
Leise ging er zur Tür. Er hörte erst ein Miauen, dann Hannahs Stimme, die verzweifelt „Mrs. Norris, bitte nicht!" zischte.
Schmunzelnd öffnete er die Tür.
„Was machst du denn hier?", fragte er.
„Kann ich vielleicht doch hier schlafen?", bat sie, sich verlegen eine lose Haarsträhne hinters Ohr streichend.
Fragend zog er eine Augenbraue hoch.
„Ich will nicht alleine sein, Severus", sagte sie. Und flüsternd fügte sie hinzu:
„Ich will bei dir sein."

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Ich möchte mich an dieser Stelle dafür entschuldigen, dass ich so gar nicht mit Kosenamen kann lol aber ich benutze im Deutschen keine (bisher habe ich mit allen Menschen, denen ich jemals Petnames gegeben habe, immer nur Englisch gesprochen). Wenn ich persönlich irgendwem einen deutschen Kosenamen geben will nehme ich immer das erste random Wort was mir einfällt (meine Hündin nenne ich zum Beispiel Braten), aber das wäre wahrscheinlich noch komischer geworden...xD

Emotions (HP/Severus Snape FF) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt