"Stimmt es wirklich? Severus, stimmt es wirklich?", fragte Hannah mit scharfer Stimme und schloss leise, aber mit Nachdruck die Tür hinter sich.
Severus öffnete den Mund, als wolle er etwas sagen, aber es kam ihm kein einziges Wort über die Lippen.
"Stimmt es?", wiederholte sie, diesmal noch nachdrücklicher.
"Lass es mich erklären -", stammelte er, sein Tonfall war gequält und er sah ein wenig verloren aus.
Hannah schüttelte den Kopf und wandte sich ab.
"Bitte, Hannah, lass es mich..."
Mit einer wegwerfenden Handbewegung unterbrach sie ihn. Sie lehnte sich mit dem Rücken an eines der Bücherregale und ließ sich daran hinabrutschen, bis sie auf dem Boden saß.
Dann konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten und begann zu weinen. Sie weinte nicht oft, und ihr Schluchzen klang ein wenig ungelenk und erstickt. Sie zog die Knie an, schlang ihre Arme darum und vergrub ihr Gesicht in ihrer Ellenbeuge.
Severus ließ sich vor ihr auf die Knie sinken. Sie spürte seine Nähe und seinen Blick auf ihr.
"Bitte", flüsterte er, "lass es... Lass es mich dir erklären, es -"
"Nein!", unterbrach sie ihn wieder.
"Doch, bitte..."
Sie hob ruckartig den Kopf von ihren Armen und sah ihn an, Wut und Trauer spiegelte sich in ihren Augen.
"Verdammt, Severus!", brüllte sie, "Ich will nicht, dass du mir irgendwas erklärst! Ich will, dass du mich einfach nur festhältst!"
Ihre Stimme überschlug sich und würde zu einem wütenden und schmerzerfüllten Kreischen. Tränen rannten ihr über ihre geröteten Wangen.
Severus zuckte kurz zusammen, und Schock und Schmerz flackerten in seinen Augen. Dann rückte er zu ihr, lehnte sich neben sie an das Regal, und legte seine Arme um sie.
Sie krallte sich fest in sein Hemd, drückte ihre Tränennasse Wange an seine Brust und begann, heftig zu weinen.Sie saßen lange so da, bis ihre Tränen versiegen und ihre verkrampft Schultern sich langsam wieder entspannten.
Severus hatte die ganze Zeit ihr Haar oder ihren Rücken gestreichelt und sich nicht einmal bewegt. Keiner von ihnen hatte nur ein einziges Wort gesprochen.
Sobald sich ihr Atem beruhigt hatte und wieder gleichmäßig ging, richtete sie sich auf, löste sich von Severus und rückte ein Stück von ihm ab.
"Jetzt... Jetzt ist die Zeit, zu erklären", sagte sie leise, ihre Stimme immer noch belegt, und wischte sich die letzten Tränen aus den Augen.
Einen Moment sah er sie nur traurig an, dann richtete er sich ein bisschen weiter auf, atmete tief durch und begann zu sprechen:
"In Ordnung. Gut, du weißt ja, dass Lily und ich in der Schule befreundet waren. Aber wir hatten uns schon vorher kennen gelernt, wir wohnten nicht weit voneinander. Wir haben uns fast jeden Tag gesehen, ich habe ihr alles über die Zaubererwelt erzählt, was ich wusste, ich wusste ja, dass sie eine Hexe war.
Als wir nach Hogwarts kamen, sortierte der Sprechende Hut sie in Hogwarts ein, mich schickte er nach Slytherin.
Die ersten Jahre sahen wir uns jeden Tag, wir verbrachten jede Pause zusammen und saßen abends so lange zusammen in der Großen Halle, in der Bibliothek oder im Sommer am See oder im Schatten auf einer Wiese, dass wir uns beeilen mussten, um noch rechtzeitig vor der Sperrstunde im Gemeinschaftsraum zu sein.
Ich fand auch Freunde in Slytherin, aber keiner war mir auch nur ansatzweise so wichtig wie Lily.
Ich dachte, es würde gut gehen, ich dachte, wir würden für immer befreundet sein.
Doch dann lebten wir uns immer weiter auseinander. Sie verbrachte mehr Zeit mit anderen Gryffindor-Mädchen, und ich entdeckte die dunkle Seite der Magie für mich. Ich wollte niemanden quälen oder verletzen, ich fand diesen Bereich der Magie... faszinierend. "
Er sah Hannah kurz in die Augen, als wolle er nachsehen, wie sie reagierte. Hannah nickte, sie verstand ihn, dunkle Magie war so faszinierend wie gefährlich. Er sprach weiter:
" Zu der Zeit begann der Krieg grade, der dunkle Lord gewann nach und nach an Macht. Ursprünglich wollte ich mich ihm nicht anschließen, meine beste Freundin, das Mädchen, das ich liebte, war immerhin muggelstämmig. Aber meine Freunde wollten es, und ich sagte nichts dagegen. Teils, weil es mir egal war - sollten sie doch machen -, teils, weil ich Angst hatte, sie könnten sich von mir abwenden, würde ich etwas sagen. Ich hatte Angst, am Ende allein dazustehen.
Als Lily sich gänzlich von mir abwandte - ich kann verstehen, warum sie es tat, ich nannte sie Schlammblut -, hatte ich mehr Angst davor, allein zu sein, als je zuvor.
Und da boten meine Freunde mir wieder einen Platz in den Reihen des dunklen Lords an, einen Platz in einer Gemeinschaft. Und aus Angst schloss ich mich an.
Mein Interesse an dunkler Magie hätte ich allein ausleben können, ich hatte genug gelesen und ausprobiert. Aber ich wollte nicht ganz allein, ohne Freunde, ohne Familie sein. Und so kam es dazu, dass ich zum Todesser wurde."
Wieder sah er zu Hannah.
Diese sah ihn ausdruckslos an. Einerseits konnte sie ihn verstehen, verstehen, warum er sich den Todesser angeschlossen hatte. Andererseits konnte sie seine Entscheidung nicht gutheißen, und die Tatsache ignorieren konnte sie auch nicht so einfach.
Außerdem war ihre Mutter eine überzeugte Todesserin. Wie konnte sie um eine Frau trauern, die Todesserin war, weil sie Spaß daran hatte, Menschen zu töten, aber einen Mann verurteilen, der zwar aus zweifelhaften Gründen, aber nicht aus purer Bösartigkeit zum Todesser wurde?
"Erzähl mir von dem Kampf", sagte sie ausdruckslos. Sie musste nicht sagen, welche Nacht. Er wusste es auch so.
"Es war ein Kampf zwischen mehreren Todessern und Leuten aus dem Wiederstand. Er fand in der Winkelgasse statt. An dem Tag starben viele Leute, auf beiden Seiten. Zu Anfang war es noch einfach und übersichtlich, doch nach einer Weile wusste man nicht, wer Freund und wer Feind war... "
Er schaute starr in die Luft, seine Pupillen zuckten immer wieder hin und her, als würde er den Kampf vor seinem inneren Revue passieren lassen und alles genau vor sich sehen.
" Es war ein spontaner Kampf, auf den niemand vorbereitet war. Es gab keinen Plan, kein richtiges Ziel....
Ich kämpfte in der Nähe eines Cafés, in dem einige Familien mit ihren Kindern gesessen haben. Plötzlich sah ich zwei Personen, einen Mann und eine Frau, mit erhobenen Zauberstäben und Flüche um sich schleudern, auf eine der Familien zurennen, furchtbare Wut und Hass stand in ihren Gesichtern. Den Mann kannte ich nicht, aber ich kannte Maryanne. Sie war eine der gefährlichsten Todesserinnen, die ich kannte, fast so fanatisch wie Bellatrix. Sie waren die einzigen Personen, die ich an dem Tag tötete. Aber es waren die falschen... "
Er verstummte.
Hannah glaubte ihm, aber sie wusste noch nicht, ob sie ihm verzeihen konnte. Als sie sich in ihn verliebt hatte dachte sie, er sei nur gemein zu Kindern, aber nun sah sie, dass er gefährlich sein konnte. Er war in der Lage, einfach so einen Menschen zu töten.
Sie wusste nicht, was sie tun sollte.
"Zeig es mir. Das dunkle Mal", verlangte sie. Ihre Stimme war nicht sanft, aber auch nicht mehr so kalt und ausdruckslos wie zuvor.
Severus sah sie erschrocken an und machte keinerlei Anstalten, es ihr zu zeigen.
"Zeig. Es. Mir.", wiederholte sie zischend. Sie war sich noch nicht sicher, ob sie nett zu ihm sein oder ihn in der Luft zerfetzen sollte.
Er bewegte sich immer noch nicht.
Gereizt packte sie seinen linken Ärmel mit einer Hand und riss so kräftig daran, dass er bis zur Ellenbeuge aufriss.
Snape zuckte heftig zurück und wollte sich abwenden, die beiden Seiten des Ärmels zusammenhalten oder seinen Arm anders zu verdecken, doch Hannah packte seine Handgelenke und hielt sie mit eisernem Griff fest.
Und da sah sie es.
Das dunkle Mal war verblasst, nicht mehr schwarz, wie es einmal gewesen sein muss, sondern grau, und es sah aus, als würde es unter der obersten Hautschicht liegen. Aber es war da, deutlich sichtbar, ein Beweis dafür, dass....
Wofür eigentlich?
Hannah zweifelte nicht daran, dass er einst ein Todesser war. Aber das waren viele. Es war kein Beweis dafür, dass seine Version der Geschichte stimmte, kein Beweis für gar nichts eigentlich.Sie starrte eine Weile auf seinen linken Unterarm, seine Handgelenke immer noch fest umschlossen. Dann seufzte sie tief.
Sie wusste nicht, ob sie ihm verzeihen konnte, oder wie es weitergehen sollte. Aber eines wusste sie ganz genau: sie liebte ihn.
Sein rechtes Handgelenk ließ sie los, das linke führte sie an ihre Lippen und küsste seine Handinnenfläche. Dann schloss sie die Augen und legte seine Hand an ihre Wange.
"Es war die schlimmste Entscheidung meines Lebens, den Todessern beizutreten", sagte er leise. Seine Stimme klang krächzend und erstickt.
Hannah öffnete die Augen wieder und schaute ihm ins Gesicht.
"Ja, wahrscheinlich war es das."
Auch ihre Stimme klang vom Weinen noch ein wenig erstickt. Sie stand auf und zog Severus mit sich hoch. Als sie standen legte sie ihm die Hände auf die Brust und schob ihn langsam mit dem Rücken an das Bücherregal und schaute ihm dabei tief in die Augen. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen, lehnte sich an ihn und umfasste sein Gesicht mit den Händen.
Er legte seine Hände an ihre Teille und fragte mit leiser Stimme:
"Verzeihst du mir?"
"Ja, Severus", flüsterte Hannah, "ich verzeihe dir."
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Emotions (HP/Severus Snape FF)
FanfictionZehn Jahre ist es her, dass Lily gestorben ist, und der Professor Severus Snape hat ihren Tod noch immer nicht verkraftet. Seid Jahren schon versucht er seinen Kummer in Arbeit zu ertränken. Doch jetzt, wo Lily's Sohn Harry nach Hogwarts geht und er...