Kapitel 29

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Schweigend ging ich neben Amelia her und wich ihrem Blick aus. Wusste sie etwa, was zwischen mir und Arsas vorgefallen war? Sie hatte sich jedenfalls seltsam verhalten. Zugegeben, die ganze Angelegenheit war mir ebenfalls äußerst unangenehm. Ich hatte zugelassen, dass er mich küsste, und wäre fast noch weitergegangen. Oder nicht? Hätte ich gestoppt, wenn es wirklich dazu gekommen wäre? Ich wollte nicht länger darüber nachdenken und tat deshalb so, als wäre nichts geschehen. Auch die Blicke von Arsas, die er mir ab und zu zuwarf, ignorierte ich. Was ich in seinen Augen sah, ließ mein Blut erneut aufkochen. Er sah mich immer wieder mit Begehrlichkeit an.

Warum empfand ich keinen Hass mehr für diesen Wolf? Warum wurde eine Wölfin zu meiner Freundin? Wurde ich etwa zu dem, was ich mein Leben lang zu vermeiden versucht hatte? Wurde ich schwach... konnte ich nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheiden? Manipulierten sie mich alle? Im Moment konnte ich auf keine dieser Fragen eine Antwort finden.

Laut Arsas hatten wir nicht mehr weit bis zum Dorf der Narmanen. Ich war gespannt, wie sie reagieren würden, wenn Clanwölfe zu ihnen kamen, um ihr Blut zu fordern.
„Und du glaubst immer noch, das ist eine gute Idee?!" fragte ich skeptisch, obwohl ich wusste, dass sie nicht nein sagen würden. Sie hatten einfach zu viel Angst vor den Clanwölfen.
Er zuckte nur mit den Schultern, und wir setzten unseren Weg fort.

Als wir im Dorf ankamen, begegneten uns sowohl neugierige als auch besorgte Blicke. Kein Wunder, schließlich waren mit Arsas fünf Clanwölfe in ihrem Dorf – ein Anblick, den man nicht jeden Tag sah.
Der Dorfanführer kam auf uns zu und lud uns in sein Haus ein. Sie stellten Essen und Getränke für uns bereit, und ich konnte in seinen Augen die Angst erkennen. Er fragte sich sicherlich, was er wohl falsch gemacht hatte, und ich vermutete, dass er besonders vor Arsas Angst hatte. So wie er in diesem Moment dasaß und den Mann anstarrte, wer würde es ihm übelnehmen? Zwei der Clanwölfe hielten draußen vor der Tür Wache, die anderen beiden hatten sich seitlich postiert.

„Was darf ich für euch tun, Clanwolf?" fragte er unsicher, und mein Verdacht, dass er große Angst hatte, bestätigte sich.
„Das, was ich dir jetzt erzählen werde, bleibt unter uns. Verstanden?" Das war keine Frage, das wusste jeder im Raum. Der Narmane nickte nur und wartete geduldig, was wohl auf ihn zukommen würde.
„Wir haben ein kleines Problem mit dem Virus. Es scheint sich zu mutieren. Das Einzige, was du wissen musst, ist, dass wir Narmanenblut brauchen", fuhr Arsas in seinem befehlenden Ton fort.

„Ich verstehe nicht ganz...", begann der Narmane, wurde aber von Arsas sofort unterbrochen.
„Das musst du auch nicht. Das Einzige, was zählt, ist, dass wir Narmanenblut brauchen. Korna! Geh zum Arzt und hole, was nötig ist!" befahl er dem Wolf zu seiner Linken, der nickte und verschwand. Die angespannte Luft im Raum war fast greifbar. Ich hielt es nicht mehr aus, vor allem, weil ich neben Arsas saß und seine Körperwärme spürte. Das machte mich irgendwie nervös, also stand ich auf. Jetzt richteten sich alle Blicke auf mich.
„Ich werde kurz frische Luft schnappen."
„Entferne dich nicht zu weit, verstanden?" Arsas sah mich an, und diesmal sah ich rein gar nichts in seinem Blick. Auch wenn mir dieser Befehlston ganz und gar nicht gefiel, hielt ich den Mund und nickte nur, bevor ich hinausging.

Ich hatte gar nicht bemerkt, wie groß dieses Narmanendorf war. Ich schlenderte über den Markt und sah viele schöne Handarbeiten. Fast alle Dörfer kauften und verkauften untereinander, sodass jeder halbwegs über die Runden kam. Man konnte nicht alles in einem Dorf finden, jedes hatte seine speziellen Waren, und wenn etwas im eigenen Dorf nicht verfügbar war, musste man sich auf den Weg machen. Die Händler hatten immer etwas zu tun.

Als ich an einem Stand anhielt, war ich gerade in eine wunderschöne Kette vertieft und bemerkte nicht, dass sich jemand hinter mich geschlichen hatte, bis er mir ins Ohr flüsterte.
„Dreh dich nicht um!" Ich legte die Kette zur Seite und griff nach meinem Messer. „Du zählst jetzt bis fünf und folgst mir dann, Hope", flüsterte der Mann hinter mir. Seine Stimme kam mir so bekannt vor, doch von wo?
Als ich mich umdrehte, sah ich nur seinen Rücken, wie er in Richtung Wald ging. Warum sollte ich einem Fremden folgen? Das könnte eine Falle sein, doch meine Füße hatten sich bereits in Bewegung gesetzt. Ich denke, meine Neugierde wird mich irgendwann umbringen, doch darüber würde ich mir Gedanken machen, wenn es so weit war.

HopeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt