Kapitel 27

158 13 0
                                    

Wir waren nun seit drei Tagen unterwegs und hatten ein Feuer gemacht. Amelia und ich saßen nebeneinander, während die Clanwölfe sich verteilt hatten, um die Umgebung zu überwachen. Arsas war jagen gegangen.

„Wieso gibt es keine Frauen im Clan?" fragte ich sie neugierig, doch sie lachte nur.

„Oh, die Frage ist ernst gemeint," erkannte sie, als sie meinen ernsten Blick sah. „Es gab zu wenige Frauen nach dem Verrat. Die Wölfe wollten ihre Spezies nicht riskieren und so wurden keine Frauen mehr im Clan aufgenommen."

Ich konnte kaum fassen, dass die Männer diese Entscheidung einfach so getroffen hatten. Frauen sind doch keine Geburtsmaschinen.

„Also gab es früher welche?" fragte ich weiter, und Amelia nickte. Die Frage brannte mir auf den Lippen, doch ich war mir nicht sicher, ob Amelia mir antworten würde.

„Amelia?"

„Hm?"

„Wer war Arsas' Geliebte?" platzte es aus mir heraus. Erschrocken fixierte sie ihren Blick auf mich.

„Wir dürfen nicht darüber reden," flüsterte sie, als hätte sie Angst.

„Wieso nicht?"

„Der Clanwolf hat es verboten."

„Siehst du ihn irgendwo? Ich nicht."

Sie kroch näher zu mir und sah sich ein paar Sekunden lang die Umgebung genauer an, bevor sie sprach.

„Sie hieß Trana und war eine der ersten weiblichen Clankämpfer. Die beiden wuchsen miteinander auf, habe ich gehört. Er war in sie verliebt, aber das war verboten. Clanwölfen war es untersagt, Liebesbeziehungen zu führen. Sie sind Kämpfer und keine Ehemänner. Doch das Herz kennt keine Regeln. Sie hielten es anscheinend geheim. Es gibt sogar das Gerücht, dass Arsas aus dem Clan aussteigen wollte." Der Arsas, den ich kennengelernt hatte, würde seinen Clan niemals verlassen. Hatte er sie so sehr geliebt?

„Naja, Arsas war nicht der einzige. Der frühere Alpha wollte Trana ebenfalls und als er die Gerüchte hörte, schickte er Arsas immer öfter in die Greenzone. Das sind natürlich alles Geschichten, die ich von anderen gehört habe, also weiß ich nicht, wie wahr sie sind. Das Einzige, was ich dir mit Sicherheit sagen kann, ist der Schwarze Tag."

„Schwarzer Tag? Meinst du den Tag, an dem sie beschlossen, den Alpha zu stürzen?"

„Genau. Sie hatten einen Plan, und bis zur letzten Sekunde sollten nur die Kämpfer davon wissen, um die Verluste gering zu halten. Doch es gab einen Verräter, der den Alpha gewarnt hatte. Die Clankrieger liefen genau in eine Falle. Es floss viel Blut und es gab viele Verluste. Erst als das Volk mitkämpfte, konnten sie es schaffen. Die Verräter konnten natürlich fliehen, doch der Alpha und sein Mithelfer wurden geschnappt. Der Mithelfer war Trana." Geschockt blieb mir der Mund offen. Sie hatte ihn verraten?

„Doch das war nicht das Schlimmste. Der Clanwolf, der den Alpha geschnappt hatte, durfte ihn töten. In diesem Fall war es Arsas."

„Und was ist mit Trana passiert?"

„Sie hatte ihren Clan verraten. Auf sie wartete nur der Tod."

„Vor seinen Augen wurde also Trana getötet." Auch wenn sie eine Verräterin war, war es bestimmt schwer für Arsas gewesen, zu sehen, wie die Frau, die er liebte, umgebracht wurde.

„Nicht ganz..." sagte Amelia unsicher und sah wirklich traurig aus.

„Was meinst du damit? Wurde sie doch nicht getötet?"

„Doch, nur war es nicht der neue Alpha, der sie tötete."

„Und wer dann?"

„Das war ich!" Erschrocken drehten wir uns zu Arsas, der ohne eine Emotion neben einem Baum stand. Ich konnte seinen Blick nicht deuten, wusste nicht, ob er wütend war. Amelia stand erschrocken auf, und ich tat es ihr gleich. Gleich darauf verschwand er wieder zwischen den Bäumen.

„Wir sind tot! Wir sind sowas von tot!"

„Amelia, hör jetzt auf damit!" Das machte mich wirklich wahnsinnig. Nachdem Arsas zwischen den Bäumen verschwunden war, hatte sie damit angefangen, und langsam nervte es mich.

„Wir hätten nicht darüber reden sollen. Er wird uns umbringen."

„Naja, genau genommen nicht 'uns'." Ich blieb stehen und warf ihr einen vielsagenden Blick zu. Falls einer von uns beiden daran glauben musste, dann war es definitiv nicht ich.

Amelia riss die Augen auf und sah mich erschrocken an. „Oh mein Gott! Ich bin tot!"

Ich konnte nicht anders als laut aufzulachen; ihr jetziger Zustand war einfach nur komisch.

„Wie schön, dass du darüber lachen kannst!" sagte sie verärgert und bewegte sich keinen Millimeter mehr.

„Es war schön, dich kennengelernt zu haben. Mögest du in Frieden ruhen."

„Hope! Das ist nicht witzig!" Ich sah wirklich Todesangst in ihren Augen.

„Doch, ist es. Ach komm, hör jetzt auf. Ich werde ihm sagen, dass ich dich gezwungen habe."

„Und das wird er dir glauben?"

„Oh ja."

Ein Clanwolf kam aus dem Wald und schnappte sich die Hasen, die Arsas achtlos auf den Boden geworfen hatte, bevor er uns ertappt hatte. Ich sah in den dunklen Pfad, wo Arsas verschwunden war, und stand auf, um nach ihm zu suchen.

„Arsas?" rief ich so laut ich konnte und hoffte, dass er mich schnell finden würde, bevor ich mich hier verletzte, weil ich kaum etwas sah. Ich hörte rein gar nichts. Das machte so keinen Sinn, also wollte ich umdrehen und erschrak so dermaßen, dass ich mir an die Brust griff. Eine Gestalt stand direkt vor mir und ich wusste, dass es Arsas war, doch musste er sich so anschleichen?

„Was willst du, Menschen-Frau?"

„Ich habe nach dir gesucht. Wir wollen gleich essen."

„Dann geh und iss!" Er war wütend auf mich. Warum? Naja, ich hatte sein tiefstes, schmerzendes Geheimnis von jemand anderem erfahren. 

„Kommst du nicht mit?" Ohne mir zu antworten, wollte er tiefer in den Wald gehen, doch ich lief zu ihm und griff nach seinem Arm, was ihn zum Stehen brachte.

„Was willst du von mir, Hope?" Er schien wirklich wütend zu sein, und irgendwo verstand ich es ja auch.

Was wollte ich? Ihm sagen, dass es mir leid tut, obwohl ich nicht daran schuld war? Ihm sagen, dass Trana ein Miststück war und es nicht anders verdient hatte? Nach dieser Frage, die er mir gestellt hatte, wusste ich tatsächlich nicht ganz, was ich wollte, also tat ich etwas Unüberlegtes und umarmte ihn von hinten. Im ersten Moment wollte er mich von sich stoßen, doch ich ließ es nicht zu. Erst als er tief ausatmete, ließ ich von ihm ab, drehte mich um und ging zu den anderen. Keine Ahnung, was das gerade war, ich war ja selbst überrascht.

Zurück am Feuer angekommen, setzte ich mich zu Amelia, die mich mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. Augenverdrehend packte ich ihr Kinn und drehte ihr Gesicht von mir weg; sie sollte aufhören, mich so anzusehen.

Als das Essen dann fertig war, kam Arsas zu uns und setzte sich mir gegenüber ans Feuer. Er sah mir durchdringend in die Augen, und schuldbewusst wich ich seinem Blick aus. Ich hatte Trana als Miststück bezeichnet, weil sie Arsas verraten hatte. Wollte ich denn nicht das Gleiche machen? Ich hatte nicht vergessen, was mein Ziel war, und die Menschen auf der Erde gab es weiterhin. Was, wenn diese Menschen etwas mit dem Wolfsvirus zu tun hatten? Konnte das sein? Konnte es sein, dass sie dafür verantwortlich waren? Nein, ich schüttelte diesen Gedanken weg. Sie hatten nicht die Möglichkeiten, das zu tun. Aber trotzdem war das, was sie tun wollten, ein Verrat an den Wölfen, und ich war immer noch ein Teil von ihnen. Ich war auch eine Verräterin. Als ich aufblickte, merkte ich, dass Arsas mich die ganze Zeit angestarrt hatte. Wusste er es etwa? Wusste er, dass ich ihn auch verraten wollte?

HopeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt