Kapitel 8

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An die folgenden fünf bis sieben Tage konnte ich mich nicht mehr genau erinnern. Setran hatte mir erzählt, dass ich des Öfteren das Bewusstsein verloren hatte und mein Fieber am Vortag gefährlich hoch gestiegen war. Doch heute fühlte ich mich wieder gut.

„Essenszeit", rief er aus der Küche, und ich ging zu ihm. Heute gab es erneut Suppe und Brot. Ich sah ihn fragend an.

„Ich war gestern in der Stadt", erklärte er.

Er war also in die Stadt gegangen, nur damit ich Brot essen konnte – das war... nett. Ich lächelte ihm dankbar zu, tat dies jedoch nur, als er nicht in meine Richtung sah. Nachdem wir gegessen hatten, setzten wir uns auf das Sofa, und Setran reichte mir erneut den widerlichen Tee, den ich trinken musste.

„Seit wann bist du alleine?" Meine Frage schien ihn kurz zu verwirren. Er überlegte, ob er mir seine Geschichte erzählen sollte.

„Ich war eigentlich immer alleine." sagte er schließlich. 

„Wie meinst du das?" fragte ich neugierig.

„Ich bin bei meinem Onkel aufgewachsen. Er sagte mir, dass meine Eltern infiziert worden seien." Er stand kurz auf und drehte sich um, und ich entdeckte eine Wunde auf seinem Rücken, die wie eine Bisswunde aussah. Das hatte ich bei unserer ersten Begegnung nicht bemerkt, obwohl er damals nackt war.

„Das war meine Mutter. Das hat mir jedenfalls mein Onkel erzählt. Nachdem die Infektion sie mutiert hatte, hat sie mich angegriffen. Laut meinem Onkel war ich damals fünf Jahre alt."

Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte, also schwieg ich.

„Meine Mutter hatte mich anscheinend zum fressen gern." Er lachte kurz auf, doch ich sah die Trauer in seinen blauen Augen. Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Was tat man in so einer Situation? „Als ich 16 wurde, verließ ich meinen Onkel und fand dieses Hütte hier. Jetzt sind es mittlerweile fünf Jahre. Es ist erstaunlich, wie schnell die Zeit vergeht", beendete er seine Geschichte.

„Es ist schön hier", sagte ich und sah mich um.

„Das ist es. Also, was hat es mit diesem Wolf auf sich?"

Oh, richtig. Da ich halb tot gewesen war, hatte ich seine Frage von letzter Woche nicht beantwortet.

„Es war der Wolf, den ich im Wald gesehen habe."

„Wie hat er dich gefunden?"

„Offenbar hat er nach mir gesucht."

„Aber warum? Was könnte er von dir wollen?"

Ich warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu.

„Oh, verstehe. Du hast ihm also als Antwort die Nase gebrochen." Grinsend wurde er wieder der alte Setran.

„Er wollte es so." zuckte ich gleichgültig die Schulter. 

„Er war also ein verstoßener Clanwolf, der es geschafft hat zu fliehen."

„Nein! Seine Kleidung und sein Verhalten passen nicht zu einem Verstoßenen."

„Was macht ein Clanwolf dann zunächst im Wald und später in der Stadt? Was zum Teufel geht hier vor sich!" bestätigte er meine Gedanken.

Ich erzählte ihm von der Frauenleiche und fragte ihn, ob er vielleicht wusste, was es damit auf sich haben könnte.

„Nein, ich wüsste nicht, was dazu fähig wäre."

„Das gefällt mir nicht. Was, wenn es eine neue Mutation ist? Was, wenn es stärker ist als alles, was wir kennen?"

„Das ist nicht die Frage, die du dir stellen solltest, Hope." Ich warf ihm einen fragenden Blick zu. „Die eigentliche Frage ist, warum es eine Botschaft hinterlässt!" Es hatte die Frau nicht gefressen – normalerweise taten das die Monster. Doch dieses hier hatte die Frau mitten am Marktplatz in Stücke gerissen und nur das Herz mitgenommen.

HopeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt