Kapitel 26

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Ein weiterer Sonnenaufgang brach an. Als die Sonne aufging, sah ich zur schlafenden Amelia und fragte mich, wann sie zuletzt so friedlich geschlafen hatte. Ich wollte sie nicht wecken. Ich schnappte mir die Klingen und versteckte sie so gut es ging. Meine Hose hatte ich wieder angezogen und für das Oberteil einfach ein Hemd von Arsas genommen, das ich an den Seiten verknotete, weil es mir zu groß war. Ich blickte zu Amelia und ging dann hinaus in den Flur. Die Treppen hinuntergehend, fragte ich einen Wolf nach dem Weg zur Küche und folgte dann einfach meiner Nase.

In der Küche angekommen, warfen mir die Wölfe komische Blicke zu, sagten jedoch nichts.

„Könnt ihr mir ein paar Sachen vorbereiten? Ich möchte es rauf ins Zimmer bringen."

„Wir können es hochbringen, wenn es fertig ist", bot eine an, doch ich schüttelte dankend den Kopf. Sie nickten und machten sich an die Arbeit. Ich dachte an die Zeit zurück, als ich für mein Essen jagen musste. Komisch, wie sich alles verändert hatte. Sie reichten mir ein Tablett mit frischem Obst und Fleisch. Schon beim Anblick knurrte mein Magen. Ich nahm es mit und ging zurück ins Zimmer. Mit einer Hand versuchte ich, das Tablett zu halten, mit der anderen schloss ich die Tür auf.

„Aufwachen, Amelia."

Doch als ich mich umdrehte, stand nicht nur Amelia vor mir. Arsas saß auf dem Sofa und starrte mich mit einem komischen Blick an. Tarnelia hatte sich neben ihn gesetzt, und Amelia stand mitten im Raum, als wüsste sie nicht, wie sie sich verhalten sollte.

„Guten Morgen, Hope." Tarnelia lächelte und umarmte mich stürmisch. Sie war die Einzige, die lächelte.

„Guten Morgen", kam es ein bisschen zu spät von mir. Ich legte das Essen auf den Tisch und zog einen Stuhl heran.

„Amelia, setz dich bitte." Sie sah zu Arsas hinüber und wartete wahrscheinlich, dass er ihr einen Befehl gab, doch Arsas sah nur mich an.

„Amelia! Setz dich!" kam es fast schon befehlend von mir, doch es funktionierte. Sie setzte sich unsicher zu uns. Ich schnappte mir einen Apfel und biss genüsslich hinein, die Mädchen sahen mich nur ein bisschen erschrocken an.

„Was?!" fragte ich mit vollem Mund.

„Zuerst beginnen die Clanwölfe und dann der Rest, das nennt man Respekt", kam es von Arsas. Ich sah ihm tief in die Augen und biss ganz langsam erneut in den Apfel, was ihm ein Grinsen entlockte.

„Sag mal, Hope, hatte ich nicht gestern gesagt, dass wir uns vor Sonnenaufgang auf den Weg machen?!" kam es dann ernster. 

„Ich habe verschlafen, außerdem laufen uns die Narmanen nicht davon." Ich zuckte unschuldig die Schultern und sah, wie Arsas gegen die Geduld kämpfte.

„Na los, ich will auch solche Haare wie deine, Hope." Tarnelia wackelte ungeduldig auf ihrem Stuhl hin und her. „Da musst du Amelia fragen." deutete ich in ihre Richtung. 

Sie sah flehend zu Amelia und hatte einen breiten Grinser, als diese nickte. Die beiden standen auf und gingen zum Tisch. Während die zwei beschäftigt waren, sah ich zu Arsas.

„Nun gut, du kannst auf dem Weg essen, Hope. Lass uns los."

„Nein, wir warten." Ich nahm ein Stück Trockenfleisch und steckte es mir in den Mund. Ich wusste, dass Arsas mich angespannt ansah, doch ich ignorierte es. Bevor er etwas sagen konnte, sprach ich weiter, während ich aß.

„Ich nehme Amelia mit, und sie ist gerade mit Tarnelias Haaren beschäftigt, wie du siehst. Also musst du warten."

„Hope!" Als ich in seiner Stimme wirklich heraushörte, dass er langsam die Fassung verlor, sah ich ihn lächelnd an und zuckte die Schultern.

„Falls Amelia etwas passiert, bist du dafür verantwortlich. Eine Stunde! Mehr werde ich nicht warten. Eine Stunde!" Damit ging er aus dem Zimmer. Ich hätte erwartet, dass er sich mehr dagegen wehren würde, Amelia mitzunehmen. Doch es sollte mir recht sein, irgendwie war ich heute gut gelaunt und nicht auf Diskussionen aus.

„Mein Gott, hast du Würmchen in deinem Po? Bleib doch ruhig sitzen", hörte ich die gestresste Stimme von Amelia und sah zu den beiden Mädchen hinter mir. Tarnelia fand diese Vorstellung witzig und kicherte wie verrückt. Amelia konnte ihr natürlich nicht lange böse sein, also stimmte sie in das Kichern mit ein. Ich hielt mitten beim Kauen inne und sah die Mädchen an. Eine Wärme durchströmte mich und machte mich glücklich. Ich wusste nicht warum, aber sie so zu sehen, wärmte mein Inneres.

****

Nach dem Essen hatte Amelia erwähnt, dass sie noch ein paar Dinge für den Weg benötigte. Tarnelia war erneut auf der Suche nach einer neuen Blume für mich, und ich war hinausgegangen, um draußen auf sie zu warten. Am Brunnen angekommen, blieb ich plötzlich stehen und begegnete dem Alpha. Er saß einfach am Rand, ganz allein, und sein Blick schien in die Ferne zu schweifen. Ich drehte mich um und wollte gehen.

„Hallo Hope, komm, setz dich bitte zu mir." Unsicher ging ich auf ihn zu und setzte mich mit einem gewissen Abstand neben ihn.

„Ein schöner Tag, findest du nicht?"

„Klar."

„Und, wie geht es dir unter uns? Abgesehen davon, dass du auf meine Krieger losgehst." Er spielte auf die Sache mit Tey an, und ich fühlte mich unruhiger, als mir lieb war. Wollte er mich deswegen nicht bestrafen? Es schien nicht so, denn er wechselte direkt das Thema, als wäre nichts passiert.

„Er setzt sich viel für dich ein, Hope. Arsas hat seit dem Vorfall mit ihr niemanden mehr gern um sich gehabt. Ich hatte mir langsam Sorgen um ihn gemacht. Doch jetzt, seit er dich kennt, hat er sich verändert." Ich wusste nicht genau, was er meinte, doch bei einem Punkt blieb ich hängen.

„Ihr?"

„Seine Geliebte."

„Moment mal, Arsas war verliebt?!" 

„Ja, das war er. Doch seine Liebe zum Clan und zu seinen Brüdern war stärker. Seitdem sie ihn verraten hat, hat er niemanden mehr nah genug an sich herangelassen." Jetzt wurde ich neugierig.

„Wer war sie?"

„Ich fürchte, das kann ich dir nicht sagen. Das musst du ihn selbst fragen." Er stand auf und nahm meine Hand in seine. Augenblicklich verkrampfte sich mein Körper und mir wurde unwohl, doch ich ließ es zu und sagte nichts.

„Pass auf ihn auf, Hope. Er ist ein guter Mann."

Mir blieb nichts anderes übrig, als zu nicken, damit er mich endlich losließ. 

***

„Wir gehen!"

Arsas kam mit vier anderen Clanwölfen zu mir und Amelia. Wir machten uns auf den Weg zum Tor, und ich konnte es kaum erwarten, endlich wieder im Wald zu sein. Ich hatte ihn vermisst.

„Hope?" Bei dem Schrei von Tarnelia blieb ich stehen und drehte mich zu ihr um.

„Geh bitte nicht." Sie war traurig, doch ich musste.

„Ich komme wieder."

„Versprichst du es mir?" Eine kleine Träne floss ihr über die Wange, und ich wischte sie weg.

„Ich verspreche es." Sie nickte, gab mir einen Kuss auf die Wange, reichte mir eine Blume und lief weg. Ich stand auf und folgte den anderen hinaus. Draußen angekommen, fühlte ich mich wieder frei.

„Wieso trägst du mein Hemd?" fragte Arsas, ohne mich anzusehen.

„Du hast viele. Du bekommst es gewaschen zurück!"

„Ich hätte es lieber ungewaschen zurück." Was für ein Arschloch!

Die anderen fingen an, wie blöd zu lachen, während ich Arsas nur einen wütenden Blick zuwarf.

„Na los, Bewegung!" Mit diesem Befehl von Arsas machten wir uns auf den Weg.

HopeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt