Kapitel 33

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Ich sprang aus dem Bett und griff nach meinen Waffen. „Wie viele?!" fragte Arsas, ohne sich die Mühe zu machen, sein Hemd zu richten. „Ich weiß es nicht, Clanwolf, aber die anderen kämpfen bereits!" 

„Ihr beide bleibt drinnen und verriegelt die Tür!" Mit diesem Befehl verschwand Arsas, und ich blieb mit Amelia allein im Zimmer. Wenn er wirklich glaubte, ich würde mich verstecken, hatte er sich geirrt.

„Ich werde mich nicht hier verstecken! Du bleibst hier, verstanden?!" 

„Geh nicht! Bitte!" Ihr Versuch, mich aufzuhalten, war zwecklos. „Versteck dich!" sagte ich zu ihr und schloss die Tür hinter mir. Ich rannte hinaus und war schockiert von dem Anblick, der sich mir bot. Es waren zu viele. So etwas Grausames hatte ich in meinem Leben noch nie gesehen. Überall lagen tote Narmanen. Ich erinnerte mich daran, dass ich meine Messer noch nicht im Blut eines Narmanen getränkt hatte. Arsas und die anderen Clanwölfe hatten dies sofort getan, nachdem der Dorfarzt Blut von seinesgleichen abgezapft hatte. Es war grotesk. Ich war nicht stolz auf das, was ich als Nächstes tat: Ich ging zu einer Narmanen-Leiche, dessen Brustkorb aufgerissen war, und tränkte meine Dolche in seinem Blut. „Es tut mir so leid! Bitte verzeih mir." Er war schon längst tot, doch ich verspürte den Drang, mich für das hier zu entschuldigen und hoffte, er würde mir von dort, wo er jetzt war, verzeihen.

Ich stürzte mich ins Getümmel und versuchte, so viele wie möglich zu erledigen. Die Wirkung des Narmanen-Blutes bestätigte sich zu 100 Prozent. Sobald mein Messer in sie eindrang, fielen sie mit einem grauenvollen Schrei zu Boden. Wenn man sich hinter sie schlich und sie einen nicht bemerkten, war es einfach, sie zu töten. Gerade in dem Moment, als ich mich an einen heranschlich, machte ich den Fehler, nicht weiter auf meine Umgebung zu achten. Einer von ihnen packte mich von der Seite, und wir stürzten mehrere Meter zu Boden. Er ragte über mir auf, und ich versuchte verzweifelt, ihn von mir zu stoßen. Das war jetzt ein Problem – ich hatte völlig vergessen, wie stark sie waren.

„Geh runter von mir, du verdammtes Mistvieh... ARSAS!" schrie ich so laut ich konnte, in der Hoffnung, er würde mich hören. Oh bitte, dieses eine Mal wünschte ich es mir so sehr. Ich schrie noch einmal seinen Namen, weil meine Kraft wirklich schwand. Plötzlich brüllte dieses Biest so laut, dass es in meinen Ohren klingelte, dann fiel es auf mich, und ich versuchte, es von mir zu werfen. 

„Ich sagte doch, ihr sollt im Haus bleiben!" knurrte Arsas über mir, warf das Ding von mir herunter und hielt mir seine Hand hin. „Dachtest du wirklich, ich höre auf dich? Ich kämpfe mit dir!" Angeekelt wischte ich das Blut von meinem Hals und sah, dass Arsas grinste. „Was grinst du so blöd?!" 

„Du machst mich echt fertig, weißt du das? Na gut, bleib dicht bei mir!" Er wurde ernst, und wir rannten gemeinsam zur Marktmitte.

**

Das erste Mal ignorierte ich einen Sonnenaufgang. Wir saßen auf dem Marktplatz, und die Leichen wurden nebeneinander auf den Boden gelegt. Amelia hatte meine Wunden so gut es ging verbunden und half hier und da den Verletzten. Die Clanwölfe hatten die anderen Infizierten gejagt, und ich wartete darauf, dass Arsas zurückkehrte. 

Fünfzig. Fünfzig Leichen, davon zehn Kinder. Ich hatte sie gezählt. Zehn Mütter und Väter weinten vor den leblosen Körpern ihrer Kinder. „Hope, sie sind zurück." Ich nickte Amelia zu und blickte in den Wald, wo die Wölfe auf uns zukamen. Arsas blieb kurz vor den Leichen stehen. Ich sah die Trauer in seinen Augen, dann kam er zu mir. „Fünfzig..." sagte ich, ohne dass er die Frage stellen musste, und er nickte bedrückt.

Als ich seine Wunde bemerkte, sprang ich auf und rief nach Amelia. Sie rannte zu uns, doch bevor sie etwas unternehmen konnte, ging Arsas weg. Ich folgte ihm zu den Leichen der infizierten Wölfe, die immer noch tot waren, wenigstens etwas Positives. „Das Blut funktioniert, Arsas. Es tötet sie!" 

„Bist du verletzt?" fragte er sofort und inspizierte jeden Zentimeter meines Körpers. „Nein, bin ich nicht, aber du bist es." Die Besorgnis in meinem Gesicht war unübersehbar. Er nahm mein Gesicht in seine Hände, gab mir einen sanften Kuss und legte dann seine Stirn an meine. „Wir konnten sie nicht retten," sagte er, ließ plötzlich von mir ab und schrie wütend seine Verzweiflung hinaus. So hatte ich ihn noch nie gesehen. Mit geballten Fäusten stand er vor den Leichen dieser Monster, als wolle er sie erneut töten. 

„Du hast dein Bestes gegeben, es waren einfach zu viele." redete ich sanft auf ihn ein. 

„Ich verstehe es nicht! Das Blut tötet sie, und dennoch haben sie die Narmanen angegriffen. Warum? Warum nicht ein reines Menschendorf? Sie mussten es doch gewusst haben, immerhin haben sie Setran ja auch nicht direkt getötet. Dieses Ding hat sofort von ihm abgelassen, hast du gesagt. Was war diesmal anders?!"

Auch ich hatte darüber nachgedacht und versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, als er Setrans Namen aussprach. Setran lebte noch... Moment mal! 

Als erneut ein Schrei zu hören war, spannte ich mich an. Griffen die Monster erneut an? Wenn ja, könnten wir dem nicht standhalten, nicht ein zweites Mal. Arsas lief voraus, und ich folgte ihm. Etwas ging hier vor sich. Viele hatten sich versammelt und blickten ängstlich in die Mitte. Arsas und ich drängten uns durch die Menge und sahen eine verschreckte Amelia. Fragend sah ich sie an. „Ich kann ihn nicht anfassen, sein Körper ist heiß wie Feuer," sagte sie, und mir gefror das Blut in den Adern. 

Ein Narmanen Junge, kaum älter als 15, lag in der Mitte und zuckte wie verrückt, seine Mutter saß weinend vor ihm, und keiner wusste, was passieren würde. 

„Amelia, geh sofort weg von ihm!" Verwirrt sah sie mich an und war sich unsicher, ob sie mich richtig verstanden hatte. Der junge Narmane auf dem Boden schrie erneut. Ich packte Amelia an der Schulter und zog sie weg. Als das Weinen der Frau lauter wurde, sah ich den Arzt an, der nur traurig den Kopf schüttelte. „Er ist tot," sagte er voller Trauer, doch ich wusste es besser. 

„Nein, ist er nicht!" Ich sah zu Arsas, der mich fragend ansah. „Du musst ihn sofort einsperren, Arsas, er ist nicht tot." 

„Was meinst du damit?" fragte er. Ich konnte meinen Blick jedoch nicht von dem Jungen abwenden. Ich fragte mich, ob ihm das Gleiche passieren würde wie Setran? Würde der Junge zurückkommen und wenn ja, was würde dann geschehen? Setran war doch nicht aggressiv gewesen, zumindest nicht so monströs. Doch ich wusste auch nicht, was direkt nach seinem Erwachen passiert war. Arsas packte mich an der Schulter und zwang mich, ihn anzusehen. „Rede mit mir, Hope!" 

„Jeder Narmane, der nur eine kleine Verletzung hat, wird als etwas anderes zurückkommen. Du musst dafür sorgen, dass jeder der die kleinste Verletzung hat eingesperrt wird." 

„Und woher weißt du das?" fragte er, und in seinen Augen sah ich etwas, das mir einen Stich ins Herz versetzte. Er sah mich an, als hätte ich ihn belogen, und das hatte ich irgendwie auch. Ich musste hart schlucken und brachte kein Wort heraus. Ich konnte es ihm nicht sagen, aber ich musste. Doch noch bevor ich etwas sagen konnte, stellte Arsas mir die Frage. „So wie Setran?!" fragte er, und in seinem Ton schwang ein Hauch von Verrat mit. „Ja, so wie Setran." bestätigte ich und konnte ihm einfach nicht mehr in die Augen sehen. Arsas stellte keine weiteren Fragen. Er gab den Befehl, dass jeder, der angegriffen und verletzt wurde, sich beim Arzt melden muss. Das war ein klarer Befehl, und wer sich dem widersetzte, würde Konsequenzen tragen. So hatte er es der Menge verkündet. Natürlich verstanden sie nicht, worum es ging. Ihre Liebsten sollten doch behandelt werden, wenn sie verletzt waren. Doch der Clanwolf duldete keinen Widerspruch, und ich sah zum ersten Mal die Macht in Arsas' Augen.

HopeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt