Kapitel 2

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Ich stellte fest, dass er vollkommen nackt war. Um diese peinliche Situation zu überspielen, sah ich ihm in die Augen. Er bemerkte es und grinste.

„Was ist daran so lustig?" fragte ich verärgert.

„Du. Hast du noch nie einen nackten Mann gesehen?"

Als er einen Schritt auf mich zumachte, hob ich das Messer. Er hielt inne, hob aber nur eine Augenbraue, als wäre er nicht beeindruckt. Viele machten den Fehler, mich zu unterschätzen, doch das erwies sich für sie oft als fatal.

Er drehte sich um und ging zum Schrank, um sich eine Hose anzuziehen. Ich behielt ihn dabei aufmerksam im Auge und überlegte, wie ich entkommen könnte, bevor er mich aufhalten konnte.

Offenbar hatte er meinen Blick zur Tür bemerkt, denn er sprach ruhig zu mir: „Es ist stockdunkel draußen, und mit deinen Verletzungen würdest du nicht weit kommen, also versuch es gar nicht."

Ich funkelte ihn an. „Ist das eine Drohung?" Meine Stimme war so bedrohlich wie möglich.

„Nein," grinste er wieder, „beruhige dich. Du siehst ziemlich angespannt aus. Wusstest du, dass Stress dazu führen kann, dass Menschen schneller  draufgehen?"

Wollte er mich verarschen? Er stand da mit einem tadelnden Blick, als ob er auf eine Antwort von mir wartete. Ich hatte genug. Das Letzte, was ich wollte, war, mit einem Mann zu reden, dessen Absichten ich nicht einschätzen konnte. Also kam ich direkt zum Punkt.

„Was willst du von mir, Narmane? Warum hast du mich hierhergebracht und meine Wunden versorgt? Ist es mein Körper, den du willst? Soll ich mich auf die Knie werfen und mein Mund öffnen, als Dankeschön? Unterschätze mich nicht! Auch wenn ich verletzt bin, könnte ich dir ohne Mühe die Kehle durchschneiden, falls du etwas versuchst."

„Wow, ich bin doch kein Perverser!" protestierte er und trat einen Schritt auf mich zu. Doch sobald ich das Messer hob, blieb er stehen und hob beschwichtigend die Hände. „Okay, vielleicht war das 'Nackt-vor-der-Fremden-Auftauchen' nicht gerade der brillanteste Einfall. Aber hey, ich bin kein Sklavenhändler oder so, du kleine Rassistin."

Er war derjenige, der mich hierhergebracht und meine Wunden versorgt hatte. Er musste doch etwas wollen. Bevor ich etwas erwidern konnte, sprach er weiter.

„Außerdem bist du ziemlich unhöflich. Ein kleines Dankeschön wäre nicht zu viel verlangt, schließlich bist du nicht Oras-Futter geworden – dank mir. Aber ich verlange das nicht auf Knien. Es sei denn, du willst es... aber, äh, nein, natürlich nicht. Ich würde das nie... außer natürlich, du willst es. Aber ich bin ein ehrenhafter Mann, weißt du... außer natürlich, du willst..."

„Hör auf zu reden!" platzte es lauter aus mir heraus, als ich beabsichtigt hatte. Was redete er da nur? Meine Geduld schwand und meine Wut stieg. „Sag endlich, was du von mir willst, Narmane! Ich habe kein Geld. WAS.WILLST.DU.VON.MIR?"

„Erstens, Narmane, wirklich? Und zweitens, du musst nicht schreien, ich bin nicht taub," murmelte er und brachte damit das Fass zum Überlaufen.

Wütend ging ich auf ihn zu, und er weitete die Augen, als er meine Entschlossenheit sah. Wieder hob er die Hände und machte einen Schritt zurück.

„Okay, okay, es war nur ein Scherz. Ich will nichts von dir, in Ordnung? Ich war im Wald und hörte Schreie. Als ich dich fand, warst du bewusstlos und voller Blut. Also habe ich dich hierhergebracht."

Ich blieb drei Schritte vor ihm stehen, biss die Zähne zusammen und spürte, wie der Schmerz durch meinen Körper zog. Es kostete mich viel Kraft, es mir nicht anmerken zu lassen.

„Und was ist mit dem Wolf?" fragte ich scharf, der Hass in meiner Stimme war nicht zu überhören. Ich hasste diese Kreaturen zutiefst.

„Welcher Wolf? Ich habe keinen Wolf gesehen." Schulterzuckend wandte er sich der Küche zu und packte frisches Gemüse und ein Brot aus einem Korb. Der Anblick ließ mir das Wasser im Mund zusammenlaufen, doch ich ließ mir nichts anmerken und sprach weiter.

„Du willst mir also weismachen, dass du allein gegen die Oras gekämpft hast? Du, ein schwacher Narmane?" Ich lachte innerlich, auch wenn ich sah, dass meine Worte ihn getroffen hatten. Doch er ließ sich nichts anmerken, im Gegenteil – ein leichtes Lächeln spielte auf seinen Lippen.

„Da waren keine Oras mehr, also nehme ich an, dass dein Wolf für die ganzen Oras-Überreste verantwortlich ist. Da hast du echt Glück gehabt."

„Es ist nicht mein Wolf!" Ich betonte das Wort „Wolf" so, dass er sofort verstand, wie wenig ich diese Kreaturen mochte.

„Du scheinst ja kein Fan von Wölfen zu sein, was?" grinste er wieder.

„Ach, wie kommst du denn darauf? Die Wölfe beschützen uns doch vor allem und jedem. Wie könnte man sie da nicht lieben!" Meine Stimme triefte vor Sarkasmus, was ihm nicht entging. Eine Antwort wäre unnötig gewesen, aber er konnte es sich nicht verkneifen.

„Nur so ein Gefühl," grinste er und schnitt dabei Gemüse.

„Alles schön und gut, Narmane, aber..."

„Setran."

„Was?!"

„Ich heiße Setran. Bitte hör auf, mich Narmane zu nennen. Aus deinem Mund klingt das wie eine Beleidigung." Er drehte sich wieder dem Kochen zu, als ob er damit das Gespräch beendet hätte. Ich schloss kurz die Augen und nahm einen tiefen Atemzug, was sich sofort wie ein Fehler anfühlte, als ein brennender Schmerz durch meinen Körper fuhr.

„Also gut, Setran. Das alles ist schön und gut, aber es erklärt immer noch nicht, was du von mir willst!"

Diesmal war er es, der die Augen kurz schloss, als müsse er sich sammeln. Er atmete tief durch und lächelte dann wieder.

„Ich möchte dir was zu essen machen."

„Warum?!"

„Ach, weißt du, ich mag es, wenn meine Opfer fit und gesund sind. Das macht das Foltern viel interessanter." Er schwang das Messer spielerisch hin und her, ein breites Grinsen auf dem Gesicht. Ich hob eine Augenbraue.

„Soll das ein Witz sein?"

„Wer sagt denn, dass es einer war?" Sein Lächeln verschwand plötzlich, und seine blauen Augen blickten mich ernst an. Mein Körper spannte sich an. War es soweit? Würde ich jetzt kämpfen müssen? Natürlich würde ich das, ich würde mich niemals kampflos ergeben. Doch dann brach er in schallendes Gelächter aus, als hätte er den besten Witz des Jahres gemacht. Er wischte sich die Tränen aus den Augen und wandte sich wieder dem Brot zu.

„Wow, bei deinem Blick grade, hätte ich mich fast eingeschissen, bin ehrlich kleine. Vielleicht sollte ich mir Sorgen machen, dass du diejenige bist, die mich auf die Knie zwingt."

„Es reicht jetzt!"

„Genau, es reicht," sagte er ernst, doch dann grinste er wieder. „Setz dich hin und entspann dich, bis das Essen fertig ist. Es ist ein Wunder, dass du überhaupt noch stehen kannst, Respekt."

„Und ich soll dir einfach so vertrauen? Ich soll glauben, dass du mir ohne Hintergedanken etwas zu essen machst?"

„Hör zu, ich verstehe, warum du so denkst," sagte er plötzlich ernst. „Die Welt ist hart und grausam, ich weiß das. Aber ich bin nicht so einer. Wenn ich dich im Wald liegen gelassen hätte, wäre dein Tod meine Schuld gewesen, und das wollte ich nicht. Du hast also zwei Optionen: Setz dich hin, iss etwas und erhol dich, oder geh hinaus, aber wir beide wissen, dass du in diesem Zustand nicht weit kommst. Wenn du hierbleibst, lass dir von mir helfen. Ich werde dich zu nichts zwingen. Entscheide dich, aber bitte, tu es leise, denn ich muss mich konzentrieren, wenn ich koche. Kurz gesagt, geh mir nicht auf den Sack." Damit war das Thema für ihn erledigt. Er widmete sich dem Kochen und sah mich nicht mehr an. Ich hingegen kämpfte mit meiner schwindenden Kraft, als mir klar wurde, wie erschöpft ich wirklich war.

Als ich mich endlich entspannte, spürte ich die Erschöpfung in jeder Faser meines Körpers. Konnte ich ihm wirklich vertrauen? Hatte ich eine andere Wahl? Langsam ging ich zum Sofa und setzte mich. Ich hatte keine andere Wahl; ich musste hierbleiben. Wenn er etwas versuchen sollte, würde ich mich wehren, sobald ich wieder bei Kräften war. Dann könnte ich ihm immer noch die Kehle durchschneiden – notfalls auch ohne Messer.


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