38. Im Jetzt

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Ava

Endlich hatten Ellen und ich mit den bösen Geistern unserer Vergangenheit abgeschlossen und konnten den Fokus nun völlig auf unsere gemeinsame Zukunft legen....wofür wir beide, noch jede Menge Kraft brauchen würden.

Das fing schon damit an, das Ellen nicht dazu in der Lage war, den operierten Bereich an Ihr selbst zu berühren, oder gar anzusehen.
Im Grunde wäre es Ihr auch mehr als recht gewesen, wenn ich Ihr dort ebenfalls nicht zu nahe käme,...aber eine regelmäßige Wundkontrolle und Pflege war wichtig und das wusste Sie auch.
Und so gab ich mir Mühe es jedesmal so schnell wie möglich und bei möglichst gedämpften Licht zu tun.
Sobald ich Ihr Oberteil öffnete, war Sie gespannt wie eine Stahlfeder, Ihr Blick war steht's abgewandt und in den nachfolgenden ein bis zwei Stunden, konnte Sie mich weder ansehen,.....noch Berührungen jeglicher Art von mir ertragen....wohingegen ich der Meinung war, daß Sie genau diese jetzt brauchen könnte.
Aber diese Entscheidung konnte ich unmöglich für Sie fällen, das mußte Sie selbst tun,...in Ihrem eigenen Tempo.

"Ich weiß nicht wie ich Ihr klarmachen kann, das Sie sich nicht vor mir....keine Ahnung.....schämen muß! Ich liebe Sie, ich liebe Sie über alles Mama, aber es ist so schwer und tut weh wenn Sie sich vor mir zurückzieht. Sie muß das nicht tun....ich liebe Sie so wie Sie ist....aber...!"

"Ava...Schatz....ich verstehe dich...glaub mir,...aber versuch dich mal in Ihre Lage zu versetzen...! Von einem auf den anderen Tag, ist nichts mehr so wie es war, Ihr Körper ist nicht mehr so wie er einmal war. Und obendrauf hat Sie Angst.....und dafür braucht Sie dich Ava!
Du mußt für euch beide stark sein, du mußt für Sie da sein, egal wie oft Sie Dich wegschubst!"

"Ja natürlich werde ich das Mama,....ich bin mir nur nicht sicher ob ich stark genug dafür bin !"

"Ava....! Du hast schon so viel geschafft und ihr beide habt schon soviel durchgestanden,...ich weiß das du es,...das ihr beide es schaffen werdet. Ich bin da für dich Schatz,......und es gibt auch immer noch die Möglichkeit....professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Für euch beide!!"

Ich seufzte angestrengt und streckte die Beine auf meinem Schreibtisch aus und lehnte mich in meinem Sessel zurück.
Tatsächlich hatte ich schon ein paar mal, genau darüber nachgedacht.....aber mich noch nicht gewagt, es Ellen vorzuschlagen....mich immer an die vage Hoffnung klammernd, das Sie von sich selbst aus einfach verstand, das Sie sich nicht vor mir verstecken mußte.

"Ja ich weiß Mama......" sagte ich leise.
"Ich behalte es im Hinterkopf!"
"Ava.....?"
"Ja Mama..?"
"Wann.....wann..... geht  es  denn los..?"

Sofort fing mein Herz an, heftiger zu pochen und mein Atem ging angestrengter, als ich vor Augen hatte was meine Mutter meinte.
Ich wußte ganz genau was es bedeutete, ich setzte mich aufrecht hin und wischte mit meiner freien linken Hand, nervös über meinen Oberschenkel.

"In einer Woche,.....in einer Woche geht es los und ich glaube Sie wird noch wesentlich angespannter werden. Ich hoffe nur das ich Sie überhaupt noch erreichen kann....vorgestern, wurde Ihr der Port gesetzt und Sie hat sich dann, den ganzen restlichen Tag in Ihr Zimmer zurückgezogen."
"Ava,....ich kann mir nur in etwa vorstellen wie, du dich fühlst.....aber denk dran...es wird besser werden.

"Danke Mama,....wirklich....ohne dich...."
"Papperlapapp Kind,.....du bist meine Tochter, natürlich bin ich für dich da,...für euch! Wie wärs, macht doch einfach diese eine Woche Urlaub, fahrt irgendwo hin und lenkt euch etwas ab."

Ich kaute nachdenklich an meiner Unterlippe und ließ diese Idee durch meinen Kopf gehen.....eine richtig gute Idee, wie ich fand.

Ellen

Ich saß in dem großen bequemen Ohrensessel und sah nachdenklich zum Fenster hinaus, statt in das Buch in meiner Hand.
Ava hatte eins der Gästezimmer, für mich als Rückzugsort hergerichtet.
All meine Bücher, für die ich so selten Zeit gefunden hatte in der Vergangenheit, konnte ich jetzt nach Lust und Laune durchschmökern.
Aber irgendwie fehlte mir die nötige Konzentration dafür.
Ich klappte den Roman zu und erinnerte mich zurück, an meinen zweiten Tag hier, als ich Ava dabei beobachtete wie Sie die Regale hier in "meinem" Zimmer zusammenschraubte, während ich ihr die benötigten Utensilien hierfür reichte.

Hochkonzentriert, werkelte sie Stunde um Stunde...und bemerkte mein Starren überhaupt nicht.
Das war auch gut so, denn was meine Blicke sagten, konnte ihr mein unvollständiger Körper leider nicht geben.
Ich begehrte Ava,...ich begehrte Sie so sehr...und dennoch.....ich konnte es nicht ertragen wenn sie mich berührte....dort berührte!
Ich fühlte mich "beschädigt", nicht komplett,...und keineswegs begehrenswert!

Ich konnte ihr noch nicht einmal in die Augen sehen, wenn sie "mir half," und war jedesmal froh, wenn ich mich wieder bedecken konnte und erst nach einem  zeitlichen Abstand, fühlte ich mich dann auch so weit wieder imstande, ihr bis zu einem gewissen Punkt nahe zu sein.
Ich wollte weder Abscheu, noch Mitleid in ihrem Blick wahrnehmen und doch taten mir ihre Umarmungen so sooo gut....ich wollte ihre Berührungen, alle Berührungen ich sehnte mich nach ihnen, ich wollte sie spüren,...so wie bei unserem Wiedersehen...aber es ging einfach nicht.

Ich fühlte mich einfach nur schlecht, weil ich ihr wie damals vor zwölf Jahren, so nahe war....ohne ihr das geben zu können was sie brauchte....was sie verdiente....und was ich ihr so gerne geben wollte.
Es war einfach nur so unglaublich frustrierend.

Ava gab sich so viel Mühe, versuchte mir mit allem zu helfen...sodass ich manchmal fast etwas erdrückt fühlte.
Es war ihr gegenüber so unglaublich unfair, ich war ihr gegenüber unfair.....aber ich hatte die Befürchtung irgendwann etwas zu sagen was ich eigentlich nicht wollte...und deshalb zog ich mich in solchen Momenten hierher zurück.
Ich seufzte....wir hatten unsere schwierige Vergangenheit hinter uns gelassen und fanden uns nun mit einer noch schwierigeren Zukunft konfrontiert....
Warum zum Teufel??
Hatten wir nicht schon genug von diesem ganzen Scheiß gehabt?
Hatten wir denn kein Glück verdient?
VERDAMMT!!!!
Fluchend warf ich das Buch Wutentbrannt in die Zimmerecke!

War es denn zu viel verlangt das wir einfach glücklich sein durften....?
Ich ging rastlos hin und her....mir fehlte jemand mit dem ich reden konnte, jemand der unvoreingenommen und objektiv war.
Ich wollte Ava einfach nicht noch mehr belasten, mein armer Liebling hatte schon genug Sorgen wegen mir......
Ich stoppte am Schreibtisch der unter dem großen Fenster, das zum Garten hinter dem Haus zeigte, stand und mein Blick fiel auf meine Unterlagen vom Krankenhaus....und die Broschüre für seelische Patientenbetreuung.
Ich zog die Broschüre aus der Mappe und ignorierte das Kalenderblatt mit den Terminmarkierungen für meinen ersten Chemozyklus.......ich hatte ja noch eine Woche Galgenfrist.

Ava

Mein knurrender Magen wies mich unmisverständlich darauf hin, daß es endlich wieder Zeit für eine Pause wäre und so erhob ich mich und trottete in Gedanken versunken, aus meinem Büro und durchquerte ohne Hast das Wohnzimmer.

"Ava...?"
Ich blieb abrupt stehen und sah Ellen die sich von der Couch erhob, zwei Schritte auf mich zu machte und dann unschlüssig stehen blieb.
"Können wir bitte reden?"
Ich schluckte schwer und mein Magen verkrampft sich.
"Na..natürlich...!" stammelte ich voller Sorge

Ich beobachtete Sie, wie Sie eine Broschüre  in Ihren Händen krampfhaft festhielt.
"Ava.......ich...ich...habe mich entschieden....mir Hilfe zu suchen. Also professionelle Hilfe.......!" die letzten beiden Worte flüsterte Sie fast, aber ich hörte sie und atmete befreit wieder aus.
Befreit und erleichtert. Ich machte zwei Schritte auf Sie zu, blieb aber, unsicher wie weit ich mich Ihr nähern durfte, stehen.
Dafür lächelte ich Sie aber liebevoll an.

"Das halte ich für eine sehr gute Idee mein  Schatz,...!"

Sie lächelte zaghaft zurück, kam weiter auf mich zu und schmiegte schließlich Ihren Kopf an meine Schulter.
Äußerst vorsichtig legte ich meine Arme um Ihren Körper und genoß das Gefühl Ihrer Nähe.
Ich würde stark genug für uns beide sein,...ja das würde ich.....egal wie lange es auch dauern würde.

"Ich werde mir auch Hilfe suchen mein Liebling. Und gemeinsam kommen wir da durch......ich liebe dich Ellen."
"Ich liebe dich Ava..!"

Ellen  BAND 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt