39. Das erste Gespräch

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Scheveningen

Ellen

Unabhängig von einander, hatten wir beide beschlossen uns Hilfe zu suchen, um mit all den schweren Momenten die uns noch erwarten würden, klarkommen zu können.
Ich war gleichzeitig so erleichtert und stolz auf meine süße Ava, wieder einmal wurde mir klar, welch riesiges Glück ich mit Ihr hatte....und als sie dann vorschlug, ein paar Tage wegzufahren um auf andere Gedanken zu kommen, sagte ich erfreut zu.
Ein paar Tage ohne Alltag, ohne die ständig präsenten Erinnerungen daran, was nächste Woche anstand......würde uns beiden gut tun.

Und nun saßen wir hier, in diesem riesigen Strandkorb, gut geschützt vor der doch recht frischen Brise und beobachteten, wie das Meer von den vielen kleinen Wellen gekräuselt wurde.
Ich hatte meinen Kopf an Ava's Schulter gelehnt und genoß es so sehr, mit ihr an diesem fast menschenleeren Strand zu sein und die Seele baumeln zu lassen.
Meine rechte Hand fest mit ihrer linken verflochten, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als das alles wieder werden würde wie vorher....auch wenn ich wusste das dies nicht möglich war.
Aber wir würden einen Weg finden, um eine glückliche, gemeinsame Zukunft haben zu können.

"Ava...?"
"Hmmm...?"
"Egal wie garstig und gemein ich zu dir bisweilen bin.....bitte...denk immer dran...
Ich liebe dich......ich liebe dich über alles!"

Erste Sitzung

Wir blieben nur drei Tage am schönen Strand von Scheveningen, da ich überraschenderweise doch noch einen Termin für diese Woche bekommen hatte.
Ava fuhr mich am frühen Donnerstagnachmittag zur Praxis von Dr. Andová und hätte mich auch noch bis hinein begleitet...aber das wollte ich nicht.

"Ava..Liebling....bitte....ich komme schon klar ok? Ich will das alleine schaffen, nur das hier....in Ordnung? "
Sie nickte und lächelte mich tapfer an.
"Na klar....mein Schatz....! Soll ich dich später abholen?"
Ich überlegte kurz.
"Ich glaube, ich werde dann möglicherweise noch Zeit für mich brauchen Liebling.....ist das schlimm?"
"Ach was nein...Nein.....dann kann ich mich voll auf die Übersetzung von diesem grässlichen Gedicht konzentrieren, wovor ich mich schon so lange drücke...!" brummte sie und verzog ihr Gesicht gespielt verzweifelt. Schmunzelnd lehnte ich mich zu ihr und küsste sie sanft....
"Ich liebe dich, du albernes Wesen und jetzt ran an die Arbeit.."
"Yes Ma'am...."

Ich sah Ava noch kurz hinterher als sie davonfuhr und ging dann langsam auf die gläserne Eingangstür des achtstöckigen Wohnturms zu, in dessen unterer Hälfte, diverse Praxen und Büros angesiedelt waren.
Mit dem Aufzug verließ ich den kühlen Bereich der Eingangshalle und fuhr hinauf in den dritten Stock.

*****************

"Frau Merck...? Frau Merck...........?"

Ganz in Gedanken versunken, hatte ich die Sprechstundenhilfe gar nicht bemerkt, die mich wohl abholen sollte.
"Entschuldigung,...ich war in Gedanken!"
"Kein Problem,...." lächelte die junge Frau mich an
"Wenn Sie mir dann bitte folgen möchten...!"

Ob ich das wollte....? Mir blieb ja nicht viel übrig, wenn ich weiterkommen wollte, also erhob ich mich seufzend und folgte der hübschen, jungen Frau ins Sprechzimmer.

Ich blieb verdutzt mitten im Raum stehen.
Ich hatte ja schon einige Praxisräume in meinem Leben gesehen, aber noch keins wie dieses.
Die Wände des großen Raums waren in einem zarten Lavendelton gestrichen und ich hätte schwören können, gleichsam Lavendelblüten riechen zu können.

"Ja sie riechen richtig......!"
hörte ich die junge Frau hinter mir leise, schmunzelnd sagen....
"Lavendel wirkt auf die meisten Menschen beruhigend.....!"
Ich wandte mich ihr zu und bemerkte das sie die Tür geschlossen hatte, aber außer uns, befand sich sonst keiner im Zimmer.
Sie lächelte mich freundlich an und streckte mir ihre schlanke, feingliedrige Hand entgegen.

"Andová, Martha Andová........aber sie können mich gerne Martha nennen. Wie kann ich ihnen helfen..?"

Martha

Ich bemerkte Ihren erstaunten Blick und schmunzelte amüsiert in mich hinein.....ich kannte das ja schon. Die meisten meiner neuen Patienten hatten genau diesen Gesichtsausdruck, wenn sie zum ersten mal bei mir waren.
"Bitte.....suchen Sie sich einen Platz , wo Sie gerne sitzen möchten. Und lassen Sie sich Zeit!"

Sie betrachtete mich noch einen Moment lang skeptisch und ließ dann ihren Blick durch den Raum schweifen.
Ich betrachtete meine neue Patientin bei Ihrem Rundgang und schätzte Sie als eine starke Frau und starke Persönlichkeit ein.

Ja Ellen Merck war eine starke Frau und ein großer Teil dieser Stärke, ergab sich aus dem Fakt das Sie sich Ihre Schwäche, Ihre Machtlosigkeit eingestand und um Hilfe suchte.
Vor der gemütlichen Korbschaukel, die an vier dicken Tauen von der Decke hing, blieb Sie kurz stehen und strich mit einem leisen Lächeln über die Sitzfläche, bevor Sie weiterging und sich für den einfachen Holzstuhl am Fenster entschied.
Ihr Lächeln, wenn auch kaum sichtbar gewesen noch vor wenigen Sekunden, war nun gänzlich verschwunden.
Sie ließ sich nieder und schlug ein Bein über das andere, während Sie kerzengerade aufgerichtet und mit verschränkten Armen auf mich wartete.

Ellen

Ich sollte mir eine Sitzgelegenheit aussuchen....nun denn....ich begann durch diesen merkwürdigen Raum zu spazieren.
Es gab weder den obligatorischen Schreibtisch, samt Aktenschrank und auch keine Diplome an den Wänden.
An den Lavendelfarbenen Wänden!
Dafür jede Menge Farne, Palmen und andere grüne Topfpflanzen.
Und dazwischen verschiedene Sitzmöglichkeiten....ein riesiger abgewetzter Ohrensessel aus dunklem, glänzendem Leder.....die Klassische kleine Couch.....ein bunter Sitzsack....und eine gemütliche Korbschaukel, die vor mir von der Decke baumelte und mich an die wunderschönen Stunden mit Ava in der Hollywoodschaukel erinnerte.
Versonnen strich ich über den Sitz.....Ava meine süße, süße Ava.....aber dann riss ich mich wieder zusammen...atmete tief durch und wählte den hölzernen Stuhl am Fenster, ging darauf zu und setzte mich.

Dr. Andová nickte lächelnd und zog einen zweiten Stuhl herbei, hielt kurz inne, rückte ihn wieder etwas weiter weg und setzte sich.
Sie trug eine Sandfarbene Baumwollhose, bequeme braune Halbstiefel und einen weißen Strickpullover.
Ihre langen braunen Haare, hatte sie zu einem einfachen Pferdeschwanz gebunden, was zu ihrem ohnehin schon Jugendlichen Erscheinungsbild noch weiter beitrug.
Sie erschien mir kaum älter als Ava...

"Dreiunddreißig...!" sagte sie ruhig und zwinkerte mich mit Ihren dunkelbraunen Augen verschmitzt an und ich fühlte mich etwas ertappt.
"Machen Sie sich bitte keine unnötigen Gedanken....Sie sind nicht mein erster Patient der sich diese Frage stellt.!"
Ich räusperte mich vorsichtig.

"Das sie...sehr jung sind..??"
Sie lächelte freundlich.
"Ganz genau. Natürlich steht es Ihnen jederzeit frei, einen anderen, älteren Kollegen, Kollegin aufzusuchen, wenn es Ihnen damit wohler ist.!"
Ich seufzte...
"Nein das ist schon in Ordnung,...ich müsste es ja eigentlich am besten wissen, das Alter nicht grundlegend über Intelligenz und Kompetenz bestimmt."
"Das freut mich sehr zu hören ."
"Dieser Raum ist so...soo......anders....!"
"Ist das schlimm, fühlen Sie sich denn unwohl?"fragte Sie besorgt
"Nein..Nein...das tue ich nicht.....es ist..ist nur nicht das was ich erwartet hatte...das ist alles!"

Sie kicherte leise
"Ihnen fehlt der Schreibtisch, die Akten und die pompösen Urkunden an der Wand nicht wahr?"
Ich nickte schmunzelnd
"Nunja nicht wirklich fehlen, ich würde eher sagen, ich hätte es erwartet......auch das sie sich Notizen machen.!"
Sie lehnte sich entspannt zurück

"Oh doch die mache ich mir schon, aber eben mental. Mein Gegenüber hat meine vollste Aufmerksamkeit,....da ist ein Notizblock nicht gerade dienlich."

Ich betrachtete Sie genauer.....und sie wich meinem Blick keineswegs aus, sondern sah mich weiterhin auf ihre freundliche Art an.
Insgesamt umgab Sie eine Aura der Ruhe und Wärme, was mich zusehends entspannen ließ.
"Wie lange dauert denn überhaupt eine ähm...Sitzung..?"
"So lange Sie dafür benötigen und Ihnen gut tut. Ich behandle maximal zwei Patienten an einem Tag.....Sie sind heute meine zweite,...also bestimmen Sie die Dauer....!
Womit kann ich Ihnen helfen...?"

Ich atmete tief ein und wieder aus.....

"Ich....habe Angst.......Angst vorm sterben...!"

Ellen  BAND 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt