Kapitel 14: Auge um Auge

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Ich atmete noch einmal tief durch und lief einfach weiter. Ich versuchte mir selbst einzureden das es der richtige Weg war, obwohl ich eigentlich keinen blassen Schimmer hatte, wo ich hinlief. Doch ich musste in Bewegung bleiben. Es war schon 16:30 Uhr. Wenn ich nicht pünktlich da war, würden sie mich sicherlich suchen. Was wenn Tobi etwas passiert war? Den Gedanken schob ich jedoch beiseite. Er hatte mich allein gelassen und nicht umgedreht. Wenn er jedoch auch nicht bei den Zelten ankam, suchten die anderen sicherlich nach uns als Gruppe. Sie konnten schließlich nicht wissen das wir uns getrennt hatten. Warum passierte mir sowas immer? Vielleicht war ich einfach verflucht oder so.

Der Regen ließ zum Glück nach und das Gewitter hatte sich schon vollständig verzogen. Trotzdem blickte ich mich die ganze Zeit um. Ich hatte keine Lust einen Abhang oder ein Tier zu übersehen, was für mich eine Gefahr darstellen könnte. In dickem Gestrüpp musste ich mein Tempo verlangsamen, um voranzukommen. Wenn die Wege frei waren, beschleunigte ich meinen Schritt wieder.

Ich lief eine gefühlte Ewigkeit ziellos umher und nichts kam mir bekannt vor. Der Regen hatte komplett aufgehört, trotzdem war es noch ziemlich nass und frisch hier. Der Nebel hing tief über dem Boden, was mich dazu zwang langsamer zu laufen. Ich konnte teilweise meine Füße kaum sehen und hatte keine Lust darauf zu stolpern und auf den feuchten Boden zu fallen.

Pünktlich 17 Uhr schaute ich auf die Uhr. Die Zelte waren noch nicht in Sicht und ich hatte das Gefühl im Kreis gelaufen zu sein. In Gedanken stellte ich mich schon einmal darauf ein hier draußen zu sterben. Der Nationalpark ist riesig. Mit meinem Glück war ich wahrscheinlich sogar noch tiefer hineingelaufen. Mich hier zu finden, würde ewig dauern.

Plötzlich vernahm ich ein tiefes Grollen. Zuerst dachte ich, dass das Gewitter von neuem los gehen würde, als es jedoch erneut erklang wusste ich was es war. Das knurren eines Tieres. Wahrscheinlich eines sehr wütenden Tieres. Langsam drehte ich mich um und blickte in die fast schwarzen Augen eines Schwarzbären. Bedrohlich fletschte er mit den Zähnen und kam ein paar Schritte auf mich zu. Parallel dazu lief ich langsam ein paar Schritte Rückwärts.

Ab jetzt zählte jede Sekunde. Ich sah mich vorsichtig um und versuchte meine Chancen auf eine Flucht auszurechnen. Wenn ich renne, würde ich nur seinen Jagdinstinkt wecken, außerdem war ich wahrscheinlich viel langsamer als er und hatte keine Chance gegen ihn. Ein Kampf mit ihm schloss ich von Anfang an aus. Im Klettern war ich nicht sonderlich gut und soweit ich wusste, können Bären auch klettern. Alle Versuche würden darin enden das ich starb. Das war nicht sonderlich hilfreich und weckte keinerlei Hoffnung in mir.

Ich entfernte mich also weiter in kleinen und langsamen Schritten Rückwärts. Zu meinem Pech folgte mir der Bär und musterte jede meiner Bewegungen aufmerksam. Er scannte mich regelrecht mit seinem Blick. Sicherlich sah ich für ihn wie ein leckerer Snack am Abend aus. Bei dem Gedanken daran schluckte ich den Kloß hinunter, der sich in meinem Hals gebildet hatte. Ich sah mich weiter um und überlegte. Überall waren nur Bäume und Büsche. Nichts würde mir helfen können. Nicht einmal schreien würde mir hier helfen. Wahrscheinlich würde ich den Bären dabei nur noch provozieren und einen sofortigen Angriff hervorrufen.

Plötzlich begann er erneut heftig zu knurren und entblößte seine scharfen Zähne. Er sabberte auf den Boden und seine Augen zogen sich wütend zusammen. Ich würde hier und jetzt sterben, es gab keine Möglichkeit zu überleben. Der Bär würde mich in Stücke reißen.

Er sprang nach vorne und ich konnte es nicht verhindern das mir ein Schrei entfuhr. Ich fiel rückwärts auf den Boden, hielt mir den Arm vors Gesicht und schloss meine Augen. Gegen meine Erwartungen blieb ich jedoch unversehrt. Ich hatte den Bären nicht einmal berührt, trotzdem hörte ich ihn noch bedrohlich knurren. Als ich langsam meine Augen öffnete sah ich auch den Grund dafür. Vor mir stand ein Wolf und knurrte den Bären ebenfalls an. Es wirkte beinahe als würde der Wolf versuchen mich zu beschützen. Wahrscheinlicher war es jedoch, dass es ein Kampf um die Beute war und das war hier eindeutig ich. Vielleicht würde ich es schaffen unbemerkt aufzustehen und davon zu rennen. Wenn ich Pech hatte, dann hätte ich danach zwei Verfolger, die darauf aus waren, mich zu töten.

Doch irgendetwas an dem Wolf faszinierte mich. Er hatte ein sehr buntes Fell. Die Ohren hatten eine schöne Braune Färbung. Der Rücken war ebenfalls braun, doch es mischten sich auch die Farben Grau und Schwarz mit ein. Der Bauch war von weißen Fell bedeckt, genauso wie die Unterseite seiner Schnauze. Ich hatte selten so einen wunderschönen Wolf gesehen.

Ein bedrohliches Knurren entfloh seiner Kehle und er fletschte die Zähne. Der Bär wich ein paar Schritte zurück, war aber trotzdem noch genauso wütend wie vorher. Das Knurren der beiden Wildtiere vermischte sich und ließ mir die Haare im Nacken zu Berge stehen. Der Wolf machte ein paar Schritte auf ihn zu und traf ihn mit seinen Krallen im Gesicht. Der Bär schüttelte sich und brüllte. Vor Schreck hielt ich mir die Ohren zu und rutschte mit dem Rücken an einen Baumstamm. Verdammte scheiße war das Brüllen laut! Ich hatte das Gefühl mir würde jeden Moment das Trommelfell platzen.

Doch eins war mir klar: das war eine Sache zwischen dem Wolf und dem Bären. Auge um Auge. Ich sollte lieber davonrennen, doch meine Gliedmaßen waren steif vor Angst. Ich wagte es mich nicht auch nur einen Zentimeter zu bewegen oder meinen Blick von dem Geschehen zu wenden. Wenn ich nur eine Sekunde unaufmerksam wäre, dann konnte ich mich definitiv von meinem Leben verabschieden.

Der Bär sprang auf den Wolf zu, doch dieser duckte sich gekonnt und ging zu einem Angriff über. Der Schwarzbär schien seine Geduld zu verlieren, traf den Wolf mit seiner Pfote am Bauch, sodass dieser mit einem dumpfen Schlaf gegen einen Baumstamm gestoßen wurde. Er gab ein wehleidiges Geräusch von sich welches mich wieder in die Realität zurück holte. Er hatte schmerzen und war vielleicht sogar so schwer verletzt, dass er nicht wieder aufstehen konnte. Der Bär machte bedrohliche Schritte auf ihn zu und knurrte weiter. Mich hatten die beiden schon vollkommen vergessen.

Dies war meine Chance, um davon zu rennen, doch ich konnte den Wolf nicht hierlassen. Panisch blickte ich mich um. Ich hatte nicht viele Möglichkeiten. Ich hob einen Stein vom Boden auf und schnappte mir noch einen Stock dazu. Mit wackeligen Beinen stand ich auf. Ich musste jetzt stark sein. Der Wolf hatte mir wahrscheinlich das Leben gerettet und jetzt war ich an der Reihe mich zu revanchieren. Auch wenn das wahrscheinlich die dümmste Idee meines elenden Lebens war.

»Hey du Mistvieh! Hier bin ich!«, schrie ich, holte aus und traf den Bär mit dem Stein am Kopf. Ein ziemlich dumpfes Geräusch erklang. Ein bisschen klang es auch als wäre der Schädel des Bären hohl gewesen. Dieser schüttelte erneut den Kopf und wand sich dann knurrend mir zu. Ein toller Plan war das von mir gewesen. Ein halbstarkes Mädchen mit einem Stock gegen einen ausgewachsenen Schwarzbären. So viel zum Thema achtet auf die Tiere und reizt sie nicht. Die Belehrung, die wir noch am Morgen von Mr King bekommen hatten, nützte nun auch nichts mehr.

Als er mir gefährlich nahe kam begann ich wie wild mit dem Stock zu wedeln, in der Hoffnung ihn damit auf Abstand zu halten. Das war jedoch keine gute Idee gewesen. Wütend setzte er zum Sprung an. Ich konnte mich gerade noch zur Seite ducken als absprang. Krachend stieß er gegen den Baum hinter mir und brauchte kurz, um sich wieder aufzurappeln. Ich schwankte bedrohlich, schaffte es jedoch noch mich auf den Füßen zu halten. Ich nutzte die Chance und rannte zu dem Wolf der schwer atmend an dem Baum lag.

»Es wird alles wieder gut, aber du musst aufstehen«, flüsterte ich leise als ich mich vor ihn gekniet hatte. Doch es war sinnlos. Ich hätte ihn genauso gut anschreien können. Beides brachte überhaupt nichts. Mir lief eine Träne über die Wange, ich konnte sie nun nicht mehr lange zurückhalten. Der Wolf schaute mich aus seinen warmen grauen Augen an. Am liebsten hätte ich ihn gestreichelt, doch ich wusste, dass man das bei einem wilden Tier nicht tun durfte.

Der Bär hatte sich in der Zeit wieder gefangen und kam nun knurrend auf uns beide zu.

In Panik ignorierte ich einfach alles was ich über das Verhalten gegenüber wilden Tieren wusste. Ich musste hier weg und den Wolf würde ich sicherlich nicht zurücklassen. Ich griff vorsichtig unter die Vorderbeine des Wolfes und begann ihn rückwärts davon zu ziehen. Er wimmerte dabei, was mich dazu brachte ihn wieder abzulegen. Er hatte schmerzen, aber ich konnte ihn auch nicht hierlassen. Zum Tragen war er jedoch zu schwer, oder ich zu schwach. Wahrscheinlich traf beides zu, doch ich konnte darüber nicht weiter nachdenken. Ich brauchte einen Plan, und zwar schnell.

Ich sah mich um. Der Bär kam immer näher und Hilfe war nicht in Sicht. Wir saßen in der Falle. Erneut schnappte ich mir einen Stock und stellte mich zum Angriff bereit hin. Nun war es eine Sache zwischen dem Bär und mir. Der Wolf hatte alles getan was er konnte. Nun stand ich Auge um Auge mit dem Bär im Wald.

Ich holte gerade zu einem erneutem Schlag aus, als ein ohrenbetäubender Schuss ertönte.

Avianna Hope - im Land der Wölfe | ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt