Kapitel 48: Vollmond

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Ich wusste nicht, wie spät es war, ich hatte jegliches Zeitgefühl hier unten verloren. Ich wusste nur, dass ich eingeschlafen war, aber nicht wie lange.

Als ich mich aufrichtete und die Arme hob brannten meine Muskeln wie Feuer und ich hätte mich am liebsten wieder hingelegt. Doch ich gab nicht auf, ich durfte es einfach nicht. Das Blut an meiner Hand war getrocknet, doch als ich die Glasscherbe wieder in die Hand nahm und erneut gegen die Wand schlug blutete es erneut und ich schrie vor Schmerz auf. Tränen rannen über meine Wangen, doch meinen Wille verlor ich nicht. Den konnte mir niemand nehmen.

Ich hatte schon ein sehr großes Loch geschaffen. Es startete vom Boden und zog sich etwa einem Meter lang nach oben und etwa einen halben Meter in die Wand hinein. Ich probierte, ob ich schon durchpasste, doch das war nicht der Fall. Die Höhe passte, da ich mich im Liegen durchziehen wollte. Aber die Lücke zwischen Gitter und Wand war noch nicht breit genug.

Ich setzte mich ein Stück in das Loch hinein und schlug weiter auf die Wand darin ein, um mehr Stück abzubrechen. Ich schob alles was abbrach jeweils nach draußen, um mir Platz zu verschaffen.

Ich schlug und schlug hatte zwischendrin bedenken, dass ich nicht meine ganzen Hand dadurch abtrennen würde. Der Schnitt wurde immer tiefer und ich wusste nicht, wie weit ich noch gehen konnte, bis ich vielleicht meine Knochen erreichte. Das Licht war zu schlecht, um irgendetwas über den Zustand der Wunde sagen zu können, doch sie brannte wie Feuer.

Ich wusste nicht, wie lange ich gebraucht hatte, um endlich genug Platz zu schaffen, aber zu meinem Glück war weder Cody noch einer seine Rudelmitglieder bei mir aufgetaucht.

Nun war der Moment der Wahrheit gekommen. Ich legte die Glasscherbe, welche, soweit ich sehen konnte, mit Blut und Dreck übersäht war, zur Seite und legte mich auf meinen Bauch. Mit meinen Händen zog ich mich vorwärts. Meine rechte Hand, an der ich den tiefen Schnitt der Glasscherbe hatte, brannte als ich den Boden berührte und sie mit meinem ganzen Körpergewicht belastete. Ich versuchte den Schmerz und den Schweiß, der von meiner Stirn tropfte, zu ignorieren.

Während ich mich durch die Lücke zog, schnitt ich mich an einer Spitzen Ecke des Erd-Steingemischs an der Seite meines Bauches und fluchte leise auf. Als ich endlich draußen war richtete ich mich auf und ging zu einer der Laternen. Ich nahm sie von der Halterung an der Wand herunter und betrachtete meine Wunden. Der Schnitt an meiner rechten Hand war sehr tief und es war ziemlich viel Dreck hineingekommen. Die Schnitte von Codys Messer, welche sich an meinem Hals und meinem Schlüsselbein befanden, konnte ich nicht ansehen. Dafür begutachtete ich aber die Wunde an meinem Bauch. Sie war zum Glück nicht so tief, wie an meiner Hand, aber sie brannte trotzdem.

Ich hielt die Laterne nach vorne und atmete noch einmal tief durch, bevor ich mich in Bewegung setzte. Zu meine Glück musste ich nur geradeausgehen, sonst hätte ich mich hier drin wahrscheinlich verlaufen. Bei jedem Atemzug brannte meine Kehle mehr. Ich brauchte unbedingt Wasser.

Ich schleppte mich weiter vorwärts, bis ich endlich an der Leiter angekommen war. Ich stieg sie nach oben. Ich hoffte nur, dass die Falltür auch offen war. Ich atmete tief durch und drückte dagegen. Sie war verdammt schwer, doch ich nahm meine letzte Kraft zusammen und stemmte mein ganzes Körpergewicht dagegen, bis sie endlich nachgab und krachend auf die Erde fiel.

Ich stieg aus dem elenden Gefängnis heraus und atmete tief durch, sodass meine Kehle trocken wurde wie die Wüste. Sofort begann ich zu husten und versuchte mit ein wenig Spucke meinen Mund wieder feucht zu bekommen.

Als ich zum Himmel sah merkte ich, wie der Vollmond gerade seinen Höhepunkt erreichte. Wenn ich Cody und den anderen nicht unbedingt begegnen wollte, musste ich sofort hier weg.

Ich rannte los.

Ich wusste nicht in welche Richtung ich gehen musste, oder ob hier irgendwo ein Weg war. Ich rannte einfach. Ich ignorierte die Trockenheit in meiner Kehle und den stechenden Schmerz in meinen Beinen. Meine Ausdauer war nie die Beste gewesen, doch ich dachte gar nicht daran stehen zu bleiben.

Erst als ich ein lautes Wolfsheulen hörte blieb ich abrupt stehen. War das Cody? Oder war das Damien gewesen? Vielleicht war es auch ein ganz normaler Wolf gewesen. Ich wusste es nicht und ich konnte auch nicht darauf warten, bis ich es herausfand. Ich ging weiter, diesmal jedoch in einem ruhigen Tempo, um wieder zu Atem zu kommen.

Ein dumpfes Knurren ließ mich zusammenfahren, sodass sich jedes einzelne kleine Härchen in meinem Nacken und auf meinen Armen aufstellte. Langsam drehte ich mich um. Eigentlich wollte ich es gar nicht sehen. Am liebsten hätte ich meine Augen geschlossen gehalten und hätte es stumm über mich ergehen lassen.

Doch ich konnte nicht. Mit weit aufgerissenen Augen drehte ich mich um und starrte in ein rotglühendes Augenpaar. Es war genau auf meiner Augenhöre und starrte mich forschend an. Das war Cody in Werwolf Gestalt. Ich erkannte es sofort an den roten Augen und der Körperhaltung. Es war unwahrscheinlich, dass außer seinem Rudel noch andere Werwölfe hier waren und Ted oder Joel hätten gelbe Augen gehabt.

Nichts von Cody war mehr wiederzuerkenne. Er stand aufrecht, doch seine Füße bestanden aus großen Tatzen und an seinen Händen prangten scharfe Krallen, mit denen er mir innerhalb von Sekunden die Kehle aufreißen könnte. Seine Ohren waren spitzer und seine Wangen mit dunklem Fell bedeckt. Sein Mund war spitzer und glich eine Maul und auch seine Nase war die eines Wolfes geworden. Seine Spitzen Zähne blitzten im Mondlicht auf und ich sah, wie einzelne Sabberfäden auf den Boden tropften. Ich war unfähig mich zu bewegen. Er war sowieso schneller als ich und hatte hier im Dunkeln wahrscheinlich auch eine bessere Sicht als ich.

Ich erinnerte mich an seine Worte. Er brauchte mich lebend. Aber wahrscheinlich nicht als Mensch, sondern als Werwolf. Ich würde zu einer Bestie werden. Ich würde zu einem Monster werden und könnte nie wieder jemandem unter die Augen treten, ohne mich selbst dafür schämen zu müssen. Mein Leben würde nie mehr so werden wie zuvor.

Ich hörte mich selbst schluchzen und spürte, wie eine feuchte Träne meine Wange hinunter rann und sich in meinem Mundwinkel sammelte, sodass ich den Salzigen Geschmack auf meinen Lippen spüren konnte.

Ich hatte keine Chance mich auf das vorzubereiten, was jetzt kam. Blitzschnell schoss er nach vorne, packte mich mit seinen Zähnen am Oberarm und riss mich zu Boden. Ein brennender Schmerz breitete sich an der Stelle aus. Er knurrte und riss an meinem Arm herum. Wenn er das weiter gemacht hätte, dann wäre mein Arm wahrscheinlich nicht mehr an meinem Körper gewesen. Das Blut rann aus der Wunde und ich spürte, wie sich das Gift des Werwolfes in meinem inneren ausbreitete. Erst an meinem Arm, der zu schmerzen begann, dann immer weiter in dem Rest meines Körpers, bis er meinen Kopf erreichte. Ich versuchte jegliches Geräusch zu unterdrücken, doch der Schmerz wurde immer schlimmer. Meine Augen hatte ich weit aufgerissen und erschrak mich, als blitzschnell etwas über mich drüber sprang und Cody angriff. Ich konnte nicht wirklich erkennen was es war, doch ich vermutete, dass es sich um ein Tier handelte.

Für einen kurzen Moment war ich dadurch abgelenkt gewesen und hatte den Schmerz für ein paar Sekunden vergessen. Doch ich verlor schnell das Interesse an dem was mit Cody geschah und spürte den Schmerz plötzlich schlimmer als zuvor. In meinem Kopf staute sich ein verdammt großer Druck an und ich hatte das Gefühl er würde gleich explodieren. Es brannte in meinem Kopf, als würde das Gift jede einzelne Zelle dort verbrennen, bis nichts mehr übrig war. Der Schmerz schien mich komplett zu übermannen, bis ich es nicht mehr aushielt.

Ich schrie. 

Avianna Hope - im Land der Wölfe | ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt