Ab heute beginnt für Ella ein kleines Stückchen Freiheit, denn ihre Noten sind in letzter Zeit so gut geworden, dass sie wieder zurück auf das Gymnasium wechseln kann. Hierbei hat sie sich allerdings für ein Gymnasium am Kölnberg entschieden, denn mit ihrer alten Schule will sie eigentlich nichts mehr zu tun haben. Die siebzehnjährige hat sich entschieden, auch in der Schule wieder zu sprechen, weswegen ihre Noten speziell im mündlichen auch viel besser wurden. Dana, Marie und Finn unterstützen sie bei ihrer Entscheidung, aber als Ella ihrer Freundin davon erzählt, rastet sie total aus. "Du kannst mich doch nicht auf dieser elenden Schule voller Idioten alleine lassen!", ruft Ruby wütend. "Für mich ist es eine Chance, ich möchte nicht mehr auf diese Schule gehen. Ich wurde jahrelang gemobbt und das möchte ich eigentlich hinter mir lassen.", erklärt Ella. "Aber ich habe dich nicht gemobbt. Ich bin auch auf dieser Schule und ich habe dich immer verteidigt. Jetzt willst du mich einfach so alleine lassen?", fragt Ruby mit bebender Stimme. "Ich lasse dich doch nicht alleine. Es ist lediglich die Schule, die ich wechseln möchte. Willst du wirklich, dass ich weiter unter den Idioten leiden muss?", entgegnet die siebzehnjährige. "Es ist doch eigentlich gar nicht so schlimm auf unserer Schule. Jetzt kannst du den Typen, die dich früher gemobbt haben wenigstens Kontra geben. Wenn du jetzt die Schule wechselst, sieht es so aus, als hätten die gewonnen und du würdest den Schwanz einziehen.", erwidert die mittlerweile achtzehnjährige Ruby. "Ich habe aber keine Lust mehr, ständig gegen diese unterbelichteten Idioten zu kämpfen. Außerdem bin ich in der Schule einfach unterfordert. Ich möchte später gerne studieren und das geht nun mal leider nur mit Abitur.", sagt Ella. "Du hast mir noch nie erzählt, dass du nach der Schule studieren möchtest. Das ist bestimmt wieder nur so eine fixe Idee, die du nach ein paar Wochen wieder vergessen hast. Was möchtest du überhaupt studieren?", fragt die achtzehnjährige. "Ich schwanke noch zwischen Germanistik und Psychologie.", antwortet Ella. "Du möchtest also Psychologie studieren. Dir ist schon bewusst, dass du dich damit verschiedenen Traumas beschäftigen musst, die dir vielleicht selbst etwas zu nahe gehen?", fragt Ruby. "Erstens heißt es nicht Traumas, sondern Traumata und zweitens denke ich nicht, dass die Traumata der Klienten mich triggern würden. Ich denke, gerade weil ich schon einige schlimme Situationen gemeistert habe, könnte ich den Klienten eher helfen, als jemand, der Depressionen nur aus dem Lehrbuch kennt.", bemerkt die siebzehnjährige. "Wenn du mich unbedingt in dieser blöden Schule alleine lassen willst, dann mach es. Aber erwarte bloß nicht, dass ich dir gratuliere oder so.", entgegnet Ruby gehässig und flüchtet aus der Wohnung.
Die achtzehnjährige stürmt in die Wohnung ihres Vaters und heult sich bei ihm aus. Lukas kann das ganze Drama allerdings nicht verstehen. "Schätzchen, Ella ist siebzehn Jahre alt und damit fast erwachsen. Du bist gerade mal ein paar Monate älter als sie. Denkst du nicht, dass du deine Freundin eher unterstützen solltest, statt sie einzuengen und an dich zu binden?", fragt er seine Tochter, die wie ein Schlosshund heult. "Aber wir haben uns in der Schule kennengelernt und ich habe sie immer verteidigt. Ich wollte nie auf diese Schule und sie war das Beste, was mir dort passiert ist. Sie ist das Beste, was mir überhaupt in Köln passiert ist. Ich habe einfach Angst, dass sie dann neue Freunde findet und mich vergisst.", presst Ruby zwischen den vielen Tränen heraus. "Ach Schätzchen, sie wird dich doch nicht vergessen. Immerhin wohnt ihr zusammen und ich habe das Gefühl, dass ihr euch liebt. Ist es nicht so?", fragt Lukas. "Ich weiß es nicht. Irgendwie liebe ich sie, aber ich habe das Gefühl, dass das keine Zukunft hat. Du siehst doch dass sie sich von mir abwendet. Erst ist es die Schule, dann sind es irgendwelche neuen Freunde und irgendwann wird sie mit mir Schluss machen. ", flüstert seine Tochter. "Das glaube ich nicht. Sie hat wegen dir wieder angefangen zu sprechen und immerhin wohnt ihr zusammen. Wenn sie Zweifel hätte, dann wäre sie doch gar nicht mit dir zusammen gezogen. Du musst ihr jetzt einfach sagen, dass du immer hinter ihr stehst und sie bei ihren Entscheidungen unterstützt. Sonst wirst du sie wirklich verlieren.", erklärt Lukas. Die achtzehnjährige beruhigt sich langsam und entschließt sich, dem Rat ihres Vaters zu folgen. Immerhin hatte er schon so oft Recht. Als sie wieder in ihrer eigenen Wohnung ist, teilt sie ihrer Freundin mit, dass sie hinter ihr steht, aber Ruby sagt auch, dass sie Angst hat, Ella zu verlieren. "Du wirst mich niemals verlieren. Ich liebe dich so sehr.", entgegnet Ella.
Ein paar Wochen später ist es endlich soweit. Ella steht stundenlang vor dem Schrank und kann sich nicht entscheiden, was sie anziehen soll. "Du könntest einen Kartoffelsack anziehen und würdest wunderschön aussehen.", sagt Ruby und lacht. "Danke, aber das hilft mir jetzt nicht wirklich weiter.", erwidert die siebzehnjährige. Als sie sich endlich für etwas entschieden hat, bemerkt sie, dass sie eigentlich schon längst hätte loslaufen müssen. Schnell verabschiedet sie sich von ihrer Freundin, die hier einen schönen ersten Schultag wünscht und dann rennt sie in Richtung Schule. Als sie im Sekretariat ihren Stundenplan bekommt, wird sie langsam sehr nervös. In neuen Situationen findet sie sich nicht wirklich zurecht. Zum Glück wird sie von ihrer Klassenlehrerin abgeholt. "Du musst Ella sein. Ich bin Frau Schröder und ich unterrichte deine neue Klasse in Deutsch und Sozialkunde.", erklärt sie. Ella nickt und gemeinsam machen sie sich auf den Weg zum Unterricht. Frau Schröder stellt die neue Schülerin vor. Die neuen Mitschüler von Ella schauen sie interessiert an und sie fühlt sich ein bisschen, als wäre sie ein exotisches Tier im Zoo. Trotzdem scheinen alle sehr nett zu sein, denn sie lächeln ihre neue Mitschülerin an und es ist kein überlegenes oder spöttisches Lächeln, sondern ein Lächeln, dass sie in der Klasse willkommen heißt. "Neben Benjamin ist noch ein Platz frei.", sagt Frau Schröder und zeigt auf einen Jungen im pinken Hoodie. "Frau Schröder, sie sollen mich doch nicht Benjamin nennen. Ich bin Benni.", erklärt der Junge. Ella muss grinsen und setzt sich neben ihn. "Du bist also Ella. Liege ich mit meiner Annahme richtig, dass du auf Frauen stehst?", fragt er interessiert. "Ja, aber wie kommst du darauf?", fragt Ella und sie fragt sich, ob es ihr auf die Stirn geschrieben steht. "Weißt du, Benni spürt alles. Wenn es dir schlecht geht, weiß er es, bevor du es weißt. Ich bin übrigens Mia.", erklärt ein Mädchen mit pink gefärbten Haaren.
Als Ella nach Hause läuft, kann sie es immer noch nicht fassen, in einer so tollen Klasse gelandet zu sein. In dieser Klasse sind plötzlich alle so tolerant, das kennt sie so gar nicht. Aber mit Benni, der sich bei ihr gleich als schwul geoutet hat, versteht sie sich bis jetzt am besten. Er ist quasi die männliche Version von ihr, nur trägt er vollkommen bunte und schrille Klamotten, was Ella auf einer Seite schon sehr cool findet und es auch gerne machen würde, auf der anderen Seite traut sie sich aber nicht. Benni ist eher von der gemütlichen Sorte und kein totaler Streber, was ihn gleich noch mal viel sympathischer macht. Als Ruby sie beim Mittagessen fragt, wie es in der Schule war, kann Ella gar nicht aufhören, von ihrer Klasse und dem Unterricht zu schwärmen. Zum ersten Mal fühlt sie sich nicht unterfordert. Vor lauter Euphorie bemerkt die siebzehnjährige gar nicht, dass Ruby plötzlich sehr niedergeschlagen wirkt. "Das ist ja toll. Schön, dass es dir in der neuen Schule so gut gefällt.", bemerkt Ruby. "Es ist einfach fantastisch. Vor allem mein Sitznachbar Benni, er ist so verdammt cool. Mit ihm verstehe ich mich bis jetzt am besten, aber ich denke, dass ich mich mit den anderen irgendwann auch ganz gut verstehe.", entgegnet Ella begeistert und merkt gar nicht, wie sehr das ihre Freundin verletzt.
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Silentium | LGBTQ
Teen FictionElla spricht nicht. Ihr Schmerz ist zu groß. Aber als Ruby in ihr Leben tritt, wird Ella's Entschluss auf eine harte Probe gestellt. »Unter allen Torheiten, die ein Mädchen begeht, ist immer ihre erste Liebe eine der größten.«