Ein paar Tage später hat sich die Situation zwischen Ella und Ruby so normalisiert, dass sie wieder vollkommen normal miteinander reden können und auch gerne Zeit miteinander verbringen. An einem regnerischen Sonntag, an dem Lukas arbeiten muss, schauen die beiden besten Freundinnen bei Ruby einen Film. Die siebzehnjährige lässt ihre beste Freundin den Film auswählen und Ella entscheidet sich für Charlie und die Schokoladenfabrik, da das ihr erster Kinofilm war. Auch Ruby steht total auf diesen Film, aber sie hat ihn erst gesehen, als sie zehn Jahre alt war. Die beiden Mädchen regen sich sehr darüber auf, wie die Deutschen in diesem Film dargestellt wurden. "Ich bitte dich, es isst doch nicht jeder Deutsche Weißwurst und besitzt eine Metzgerei!", regt sich Ruby auf. 'Und wenn man die Deutschen schon stigmatisiert, sollte man sich nicht unbedingt Bayern aussuchen. Ich finde sowieso, dass Bayern nicht wirklich zu Deutschland gehört, sondern eher zu Österreich. Und als sie den Namen der Stadt ausgewählt haben, dachten sie bestimmt an Düsseldorf und diese Menschen waren nicht mal in der Lage, Düsseldorf richtig zu schreiben!', schreibt Ella auf einen Zettel. "Aber es ist ein Kinderfilm und wir sollten uns eigentlich nicht so sehr darüber aufregen, weil der Film wirklich gut ist.", sagt Ruby und die beiden Teenager beruhigen sich langsam. Sie konzentrieren sich jetzt auf den film und futtern Nachos mit Käsesoße. Als der Film fertig ist, sind beide Mädchen total begeistert von dem Erlebnis. "Das waren wenigstens noch richtige Filme, wenn ich mir da anschaue, was heute für Kinder im Kino läuft, möchte ich kotzen.", meint Ruby. Ella nickt zustimmend und die beiden Mädchen tauschen sich die nächsten Minuten über ihre Kindheitshelden aus.
Den nächsten Film wählt Ruby aus und sie entscheidet sich für 'Der Vorleser'. In der achten Klasse war das ihr absolutes Lieblingsbuch und auch der Film ist ausnahmsweise mal fast so gut wie das Buch. Der Meinung ist auch Ella, die das Buch bereits in der sechsten Klasse gelesen hat und auch sie zählt es zu ihren Lieblingsbüchern. Die beiden Freundinnen schauen jetzt also den Film, den Ella zu Ruby's Entsetzen noch nie gesehen hat. Ella hat diesen Film bis jetzt aber nur nicht geschaut, damit er ihr nicht das Buch kaputt machen kann. Zu ihrem eigenen Erstaunen ist der Film wirklich fast so gut wie das Buch. Bei einer sehr traurigen Stelle kuschelt sich Ruby an Ella und sie nimmt ihre beste Freundin in den Arm. Beide Mädchen weinen und verbrauchen mindestens eine Packung Taschentücher. Ruby und Ella kuscheln sich aneinander, bis der Film fertig ist. 'Das ist so ziemlich der erste Film, der fast so gut wie das Buch ist.', schreibt Ella auf einen Zettel. "Wobei ich bei 'The perks of being a wallflower', 'In meinem Himmel' und 'Unterwegs mit Jungs' die Filme auch fast so gut finde, wie die Bücher.", ergänzt Ruby und Ella muss ihrer besten Freundin wieder einmal zustimmen. 'Aber die Harry Potter Filme sind ja echt ein Witz, oder?', fragt Ella und augenblicklich regt sich Ruby auf. "Die Regisseure waren ja mal komplette Nieten, die haben die Bücher so kaputt gemacht! Die Filme sind ja ganz schön, aber wie kann man so viel kürzen, dass wichtige Charaktere einfach nicht auftauchen? Denk doch mal an Peeves, der hätte die Filme auf eine ganz andere Ebene gebracht!", ruft die siebzehnjährige empört und Ella versucht ihre beste Freundin zu beruhigen.
Nach dem Film und der Aufregung über die Harry Potter Filme, legt Ruby Musik auf und die beiden kuscheln weiter. "Stehst du eigentlich auf Jungs oder auf Mädchen oder auf beides?", fragt Ruby interessiert. Ella zuckt ahnungslos mit den Schultern. 'Ich glaube ich verliebe mich in Menschen und achte nicht darauf, welches Geschlecht sie haben. Aber eigentlich war ich noch nie so richtig verliebt. Ich fand zwar schon mehrere Jungs und Mädchen süß, aber Liebe würde ich es nicht nennen.', schreibt sie auf einen Zettel. Ruby rutscht das Herz in die Hose, denn so hat sie viel mehr Konkurrenz, aber andererseits schlägt ihr Herz auch ein bisschen schneller, weil sie so wenigstens eine kleine Chance hat. 'Wie sieht es denn bei dir aus?', fragt Ella ebenfalls interessiert. "Mir war irgendwie schon immer klar, dass ich auf Frauen stehe. Spätestens seit ich mich mit zwölf Jahren total in Jodie Foster verliebt habe. Für meine Mutter war das natürlich nicht so toll, aber mein Vater hat mich sofort akzeptiert und dafür bin ich ihm sehr dankbar.", erklärt Ruby. 'Also hattest du schon Sex mit einem Mädchen?', fragt Ella. Ruby denkt kurz an ihre vielen weiblichen Bekanntschaften in Hamburg, dann nickt sie lächelnd. 'Und mit einem Jungen?', fragt ihre beste Freundin. "Klar, aber das war nur ein dunkles Kapitel meines Lebens. Ich habe experimentiert und bin dann zu dem Entschluss gekommen, dass Jungs es einfach nicht bringen. Sie sind so aggressiv und hektisch, Frauen sind da ganz anders.", antwortet Ruby. 'Naja, irgendwie wüsste ich schon gerne, wie das ist, wenn man jemandem vollkommen vertraut und sich fallen lassen kann.', entgegnet Ella.
Ruby ist nicht sicher, ob das ein Zeichen ist, aber sie fühlt sich in diesem Moment so gut, es fühlt sich alles richtig an und die beiden Teenager kommen sich näher. Ruby streichelt die Wange ihrer besten Freundin und küsst vorsichtig ihre Lippen. Auch für Ella fühlt sich in diesem Moment alles richtig an. Für sie ist es zwar ein komplett neues Gefühl, aber sie fühlt sich sehr wohl. Sie erwidert den Kuss und sie fühlt ein leichtes Kribbeln in ihrem Bauch. Das müssen die Schmetterlinge sein, von denen alle reden, denkt sie. Wobei sie die Vorstellung von lebenden Schmetterlingen in ihrem Bauch etwas unheimlich findet. Nach dem Kuss schaut Ruby ihre beste Freundin erwartungsvoll an. "Und, wie fühlst du dich jetzt?", fragt die sonst so laute und freche Ruby mit einer ruhigen und sanften Stimme. Ella umarmt ihre beste Freundin und lächelt. 'Es war wunderschön.', schreibt sie auf einen Zettel und Ruby lächelt. "Wie geht es jetzt weiter?", fragt Ruby vorsichtig. Ella hat schon auf diese Frage gewartet. 'Gib mir bitte noch ein bisschen Zeit. Das alles ist total neu für mich. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt schon bereit bin für eine Beziehung. Am besten wäre es, wenn wir niemandem etwas davon erzählen', schreibt Ella. Ruby hat schon so eine Antwort erwartet und sie ist auch kein bisschen enttäuscht oder traurig, denn jeder braucht am Anfang etwas Zeit, um sich über seine Gefühle klar zu werden. "Von mir bekommst du alle Zeit dieser Welt.", verspricht sie ihrer besten Freundin und Ella ist sehr erleichtert.
Als Ella weg ist, tanzt Ruby durch die gesamte Wohnung und hört die Musik, für die sie ihren Vater früher ausgelacht hat. Sie fühlt sich so gut, wie schon lange nicht mehr und als Lukas von der Arbeit nach Hause kommt, freut er sich, dass es seiner Tochter wieder besser geht. Vater und Tochter verbringen einen wunderschönen Abend miteinander und lachen so viel, wie schon lange nicht mehr. Eigentlich ist es das erste Mal seit dem Umzug, dass Lukas seine Tochter so glücklich sieht. Er freut sich wahnsinnig, dass Ruby wieder lacht und nach dem Abendessen tanzen Lukas und Ruby durch die Wohnung und hören Musik. Natürlich ahnt Lukas, dass die gute Laune seiner Tochter etwas mit der ruhigen Ella zu tun haben muss, aber er freut sich so sehr, dass Ruby glücklich ist. Vor seinem inneren Auge malt er sich schon aus, wie Ruby irgendwann zu ihm kommt und ihm erzählt, dass sie mit Ella zusammen ist. Aber im nächsten Moment hat er so eine unglaubliche Angst, dass Ruby von Ella verletzt wird oder dass seine Tochter Ella verletzt, ohne es zu wollen. Ruby ist nämlich ein ziemlicher Sturkopf und manchmal merkt sie es nicht, wenn sie jemanden verletzt hat.
Als Ella zuhause ist, legt sie sich sofort auf ihr Bett und wartet auf eine Nachricht von Ruby, die nicht lange auf sich warten lässt. In einem zweiminütigen Audio bedankt sich Ruby für den schönen Tag und verspricht ihrer besten Freundin nochmal, ihr so viel Zeit zu geben, wie sie benötigt. Ella ist so wahnsinnig dankbar, dass sie eine so tolle beste Freundin hat. Die siebzehnjährige kann ihr Glück kaum fassen und an diesem Abend umarmt sie zum ersten Mal seit langer Zeit wieder ihre Mutter. Dana freut sich über die unerwartete Zuwendung ihrer Tochter und gemeinsam mit Finn und Marie spielen sie Mensch ärgere dich nicht. Alle bemerken, dass Ella so gute Laune hat, wie schon lange nicht mehr. Dana würde sogar behaupten, dass ihre Tochter zum ersten Mal seit dem Tod ihres Opas wieder so gut gelaunt ist. Ruby und Ella schreiben sich fast die ganze Nacht, obwohl sie sich am nächsten Morgen wieder in der Schule sehen. Als Finn nachts nach unten geht, um sich etwas zu trinken zu holen, bemerkt er, dass seine Schwester noch wach ist und er freut sich so sehr für Ella. Lächelnd geht er wieder schlafen und wartet nur darauf, bis Ella ihm von dem Grund ihrer guten Laune erzählt. Auch Marie, die inzwischen schon schläft, freut sich für ihre Schwester, obwohl sie den Grund ihrer guten Laune nicht kennt.
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Silentium | LGBTQ
Dla nastolatkówElla spricht nicht. Ihr Schmerz ist zu groß. Aber als Ruby in ihr Leben tritt, wird Ella's Entschluss auf eine harte Probe gestellt. »Unter allen Torheiten, die ein Mädchen begeht, ist immer ihre erste Liebe eine der größten.«