Reeperbahngeschichten

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In den Ferien fahren die beiden Teenager nach Hamburg. "So, jetzt zeige ich dir meine große Liebe.", erklärt Ruby und zeigt Ella ihr ganz persönliches Hamburg. Ella, die schon immer mal nach Hamburg wollte, möchte natürlich die Sehenswürdigkeiten der Stadt sehen, was Ruby ein bisschen stört, aber irgendwie kann sie es auch verstehen, denn Hamburg hat so viel zu bieten und wenn man das erste Mal dort ist, ist man natürlich ein bisschen überfordert und möchte das sehen, was einem vertraut ist und was man vielleicht schon im Internet gesehen hat. "Natürlich können wir uns die Sehenswürdigkeiten anschauen, die jeder Tourist sieht, aber danach zeige ich dir Dinge, die ein normaler Tourist nicht sieht.", gibt Ruby nach. Nach der Elbphilharmonie, der Rickmer Rickmers, dem alten Elbtunnel und dem Hamburger Hafen, finden sich die beiden Mädchen in der Speicherstadt wieder. Für Ruby ist das, als alles noch in Ordnung war, Alltag gewesen und sie kann nicht verstehen, dass Ella so wahnsinnig begeistert ist. Andererseits hat sie schon ein bisschen Verständnis dafür, denn Köln ist wirklich nicht so schön.

Da Ruby immer ungeduldiger wird, möchte Ella jetzt Ruby's Hamburg sehen. Die gebürtige Hamburgerin führt das kölsche Mädchen zuerst zum Gängeviertel, dann zur roten Flora, einem Haus, das sie in ihrer frühen Jugend sehr geprägt hat. Die Rote Flora ist ein autonomes Kulturzentrum und ehemaliges Theater im Schanzenviertel, das seit 1989 besetzt wird. Das Gebäude ist ein Anlaufpunkt für die linke Szene. "Mit vierzehn war ich zum ersten Mal in der Roten Flora und ich war total begeistert. Dort waren so viele nette Menschen und ich muss sagen, dass die Rote Flora mein politisches Denken beeinflusst hat. Ich würde mich nicht als linksradikal bezeichnen, aber ich bin doch eher links und habe kein Verständnis für Menschen, die rechts sind. Ich meine, wie kann man Menschen hassen, die aus ihrem Land fliehen mussten, weil sie sonst getötet worden wären? Oder wie kann man Menschen hassen, die für ihre Familie einfach etwas Besseres wollen und deswegen nach Deutschland kommen? Wenn wir irgendwohin auswandern würden, weil es dort mehr Geld oder zum Beispiel eine bessere Krankenversorgung oder sonst was geben würde, da würden wir nicht von den Einwohnern des jeweiligen Landes gehasst und angegriffen werden, einfach weil wir weiß und Deutsch sind. Wir sind privilegiert und deswegen finde ich, man hat kein Recht, jemanden nach seiner Herkunft, seiner Religion oder seiner Hautfarbe zu beurteilen.", beendet Ruby ihren Vortrag. Ella nickt zustimmend, denn auch sie versteht nicht, wie man Menschen hassen kann, die sich ein besseres Leben wünschen und dieses Leben in Deutschland verbringen wollen.

Um Ella's Mut auf die Probe zu stellen und um sie auch vielleicht ein kleines bisschen zu erschrecken, beschließt Ruby, mit ihrer besten Freundin ins Dungeon zu gehen. Im Dungeon begegnet man den düstersten Gestalten aus sechshundert Jahren Hamburger Geschichte, wie zum Beispiel Maria Katharina Wächtler, die ihren Mann in handliche Päckchen verpackte, dem 'kopflosen' Piraten Klaus Störtebeker oder dem Richter der Inquisition, in dessen Sündenregister sich der ein oder andere wieder findet. "Bist du bereit, dich in Hamburgs dunkle Vergangenheit entführen zu lassen? Ich warne dich vorher, es sind wahre Geschichten und es gibt düstere Gestalten, die die schlechte alte Zeit wieder zum Leben erwecken.", warnt Ruby ihre beste Freundin und Ella hat jetzt schon ein bisschen Angst, aber vor Ruby will sie nicht als Schisser dastehen. Also nickt sie begeistert, aber eigentlich ist sie schon sehr nervös. "Viel Spaß und macht euch nicht in die Hose.", sagt der Mann, der den beiden die Karten verkauft und lacht gruselig. Ella schaut Ruby ein bisschen verängstigt an, aber sie nimmt die Hand ihrer besten Freundin. "Ich beschütze dich.", verspricht sie und Ella ist jetzt ein kleines bisschen beruhigt.

Den nächsten Tag verbringen die Mädchen auf St. Pauli. Dort besuchen sie zuerst das Millerntor-Stadion, danach das Panoptikum, ein Wachsfigurenkabinett, das vor über hundertdreißig Jahren sein Zuhause auf dem Spielbudenplatz gefunden hat. Einige Wachsfiguren machen Ruby auch heute noch Angst, besonders die medizinische Abteilung, aber Ella ist begeistert, denn sie trifft auf Charaktere, die in American Horror Story vorkamen. Begeistert zeigt sie auf Edward Mordrake und Ruby lächelt. Der Mann mit den zwei Gesichtern hat ihr früher ziemlich Angst gemacht, aber seit der vierten Staffel von American Horror Story hat sie keine Angst mehr vor ihm. Gebannt schauen sie sich das böse Gesicht auf seinem Hinterkopf an und es hat tatsächlich Ähnlichkeiten mit dem Gesicht in der Serie. Danach besuchen sie noch den legendären Penny aus der Spiegel-Doku. Ruby hat diesen Laden tatsächlich noch nie von innen gesehen, aber seit die Doku auf YouTube viral ging, hat sie sich vorgenommen, wenigstens einmal dort reinzugehen. Auch Ella hat die Doku gesehen und die beiden hoffen sehr, auf Harald Krull, den 'Kapitän zur See' zu treffen. Leider treffen sie weder auf ihn, noch auf einen anderen aus der Doku. "Wahrscheinlich ist er schon tot, immerhin war die Doku von 2007, damals sah er auch nicht so wirklich frisch aus und ich glaube als Alkoholiker hält man nicht so lange durch.", sagt Ruby etwas enttäuscht.

Silentium | LGBTQWo Geschichten leben. Entdecke jetzt