"Was für ein geiler Abend!", ruft Ella ihren neuen Freunden zu. Mia und Benni stimmen ihr zu und die drei Teenager tanzen weiter. "Hey Ella, da ist ein ziemlich schnuckeliges Girl, das dich die ganze Zeit anschaut.", bemerkt Mia. "Bist du sicher, dass sie nicht Benni oder dich anschaut?", fragt die siebzehnjährige voller Selbstzweifel. "Ich glaube dass man Benni schon ansieht, dass er schwul ist und genauso wird man mir ansehen, dass ich hetero bin. Aber du, meine Liebe, du strahlst einfach die pure Gayness aus, genau wie Benni. Euch steht es auf die Stirn geschrieben!", brüllt die achtzehnjährige Mia. "Komm schon, sie ist doch voll süß. Also für ein Mädchen.", versucht Benni seine Freundin zu überzeugen. Mia hat in der Zwischenzeit für jeden zwei Shots geholt. "Ella, ich bin neidisch auf dich. Als ich siebzehn war, bin ich auch schon feiern gegangen, aber den harten Alkohol habe ich nie bekommen, da niemand meiner Freunde volljährig war.", ruft Mia und erinnert sich an das letzte Jahr zurück. "Also ich kam mit fünfzehn schon an harten Alkohol, in der Schwulenszene gehört das zum guten Ton. Vielleicht hätte ich meinen Affären sagen sollen, dass ich noch nicht volljährig war, aber geschadet hat es ja niemandem.", entgegnet Benni. Die drei Teenager lachen. Ella kippt zwei Shots Tequila runter und läuft selbstsicher auf das Mädchen zu. Dank dem Alkohol fühlt sie sich mutig. "Hey, möchtest du tanzen?", fragt die siebzehnjährige. Das Mädchen nickt. Die beiden tanzen direkt eng umschlungen und nach ein paar Minuten verschwinden sie auf der Toilette. Benni und Mia grinsen sich gegenseitig an. "Die hast du ja gut hinbekommen. An ihrem ersten Schultag war sie noch total schüchtern und nach ein paar Wochen mit dir ist sie der größte Frauenheld.", brüllt Mia. "Sie muss sich einfach mal austoben. Ella hat gerade ihre erste große Liebe verloren. Außerdem war diese Beziehung schon so ernst, so erwachsen. Die erste Beziehung sollte nicht so sein. Jetzt will sie leben und ich finde das super. Wenn sie das jetzt nicht macht, wird sie es in ihren Zwanzigern bereuen, denn dann ist man erwachsen und man kann so ein Verhalten nicht mehr rechtfertigen.", entgegnet Benni. Mia muss ihm zustimmen, denn sie hat sich nach ihrer ersten Beziehung auch ausgetobt und an diese Zeit möchte sie eigentlich nicht zurückdenken. "Hast du schon jemanden gefunden, der dir gefällt?", fragt Benni. "Ich möchte es lieber ruhig angehen lassen. Und du? Hast du schon einen süßen Typen entdeckt?", fragt Mia und zwinkert ihm zu. "Ich möchte es tatsächlich auch etwas ruhiger angehen lassen und ich weiß ganz genau, wie falsch sich das anhört, wenn ich das sage. Ich glaube dass ich in letzter Zeit etwas langweilig geworden bin. Aber ich bin froh, dass es Ella wieder besser geht. Sie hat es wirklich verdient", entgegnet Benni.
Aus der letzten Kabine der Damentoilette ertönt ein leises Stöhnen. "Wow, das war fantastisch. Werden wir uns wieder sehen?", fragt das Mädchen, während sie ihre Hose hochzieht. Ella zuckt mit den Schultern. "Ich schreibe dir mal meine Nummer auf. Ich heiße übrigens Nina.", sagt sie und holt einen Stift aus ihrer Tasche. Ella hält ihr teilnahmslos den Arm hin und geht dann wortlos nach draußen. Nina schaut ihr total verträumt hinterher. "Wie war es? Warst du aktiv oder passiv?", fragt Benni, als die siebzehnjährige wieder bei ihren Freunden auftaucht. "Es war ganz nett. Aber ich denke nicht, dass ich sie wiedersehen werde. Sie hat mir trotzdem ihre Nummer aufgeschrieben. Ich war natürlich aktiv. Oder denkst du, dass ich jeden an meinen Körper lasse?", entgegnet Ella. "Hoffentlich hat sie sich nicht in dich verliebt.", gibt Mia zu bedenken. "Das ist ziemlich unrealistisch. Mich liebt niemand.", entgegnet Ella und denkt an Ruby. Die siebzehnjährige bricht in Tränen aus. Benni nimmt sie sofort in den Arm und geht mit ihr nach draußen. "So, jetzt hörst du mir mal genau zu. Nur weil diese blöde Kuh dich verlassen hat, bedeutet das noch lange nicht, dass dich niemand liebt. Du bist so wundervoll, auch wenn du es momentan nicht siehst. Ich liebe dich zum Beispiel, als wärst du meine Schwester. Und das Girl von vorhin hat dich regelrecht angehimmelt. Mach dich nicht kleiner, als du bist.", sagt Benni. "Warum hat sie mich verlassen?", fragt Ella. "Weil sie eine egoistische Bitch ist, die jeden für ihr geliebtes Hamburg verlassen hätte. Sie hat sogar ihren Vater verlassen. Und du hast ja erzählt, dass sie sich mit ihm immer besser verstanden hat, als mit ihrer Mutter.", erklärt der neunzehnjährige. Langsam beruhigt sich Ella. "Ruby ist wirklich eine blöde Bitch.", sagt Ella. "Natürlich ist sie das. Und genau das wollte ich hören. Lass dir von ihr nicht den Abend versauen.", entgegnet Benni und die beiden Freunde gehen wieder rein. Mia hat ein schlechtes Gewissen und umarmt Ella. Als Benni mit ihr draußen war, hat die achtzehnjährige Wodka-Redbull geholt.
Die siebzehnjährige verbringt fast jeden Abend auf einer anderen Party. Mit ihrem Freund Benni entdeckt sie die Clubs der LGBTQ-Szene. Mit ihrem schüchternen Lächeln und der unnahbaren Art schlägt sie dort ein wie eine Bombe. Mittlerweile hat sich auch ihr Style geändert. Die siebzehnjährige schminkt sich jetzt und kleidet sich etwas femininer. Ihre Bandshirts hat sie in einen Karton gepackt und auf den Dachboden gebracht. Ihre Freizeit verbringt sie meistens bei Benni und manchmal schwänzen die beiden auch die Schule, um shoppen zu gehen. Benni hat von seinem Vater eine Abfindung von zehntausend Euro bekommen, als er die Familie verlassen hat. Seine Mutter finanziert ihm eine eigene Wohnung. Es ist aber keine kleine Wohnung in einem sozialen Brennpunkt, sondern eine total schöne Penthousewohnung im Herzen der Stadt. Ella möchte lieber nicht wissen, wie viel diese Wohnung kostet. "Was ist eigentlich mit deinem Vater? Siehst du ihn regelmäßig?", fragt Ella eines Morgens, als die beiden aufwachen und eigentlich zu dieser Zeit in der Schule sein sollten. "Frag am besten nicht. Er hat meine Mutter und meine beiden Schwestern vor drei Jahren verlassen und das ist auch besser so. Ich kam nie besonders gut mit ihm klar. Er ist zwar mein Vater, aber nur auf dem Papier.", entgegnet Benni. "Kann es sein, dass alle Väter scheiße sind? Abgesehen von Ruby's Vater natürlich, denn er ist irgendwie eine Ausnahme. Lukas hat sich immer um uns gekümmert, aber mein Vater ist scheiße, dein Vater ist scheiße. Vielleicht liegt es an den Vätern, dass wir uns nicht mit ihnen verstehen.", überlegt die siebzehnjährige. Benni kann ihr nur zustimmen. Der neunzehnjährige denkt an seine Kindheit zurück. Seit er sich erinnern kann, haben seine Eltern gestritten. Er fragt sich wirklich, warum sie dann noch zwei weitere Kinder bekommen haben. Seine zwei jüngeren Schwestern kamen mit ihrem Vater immer klar, aber Benni war das schwarze Schaf der Familie, schon als kleines Kind. "Ist alles in Ordnung?", fragt Ella und holt ihren Freund zurück aus seiner Vergangenheit. "Ja, es geht mir gut.", antwortet er.
Zuhause macht sich Dana Sorgen um ihre Tochter. "Hast du in letzter Zeit etwas von deiner Schwester gehört?", fragt sie ihren ältesten Sohn beim Mittagessen. Er schüttelt den Kopf. "Sie hat sich schon seit Tagen nicht bei mir gemeldet. Ich weiß nur, dass sie jetzt wohl öfter bei einem Jungen aus ihrer Klasse übernachtet.", antwortet Finn. "Sie ist wirklich kaum noch zu Hause. Ich mache mir solche Sorgen um sie.", entgegnet Dana. "Ruf sie doch einfach mal an.", schlägt Finn vor. "Mir wäre es eigentlich lieber, wenn du das machst. Denn du hattest schon immer eine besondere Verbindung zu ihr. Von mir wäre sie nur wieder total genervt.", erwidert Dana. Finn versucht seine Schwester anzurufen und sie nimmt tatsächlich ab. Das ist sehr ungewöhnlich für sie, denn Ella hasst telefonieren. Die beiden Geschwister reden kurz, aber so intensive Gespräche wie noch vor ein paar Monaten, haben sie jetzt nicht mehr. Finn bemerkt, dass seine Schwester sich verändert hat. Sie ist jetzt erwachsen geworden und sie braucht ihn nicht mehr. Das macht ihn zwar traurig, aber auf der anderen Seite freut er sich auch für sie. Er bemerkt, dass Ella ihm nur das nötigste erzählt. Als er aufgelegt hat, erzählt er seiner Mutter davon. Auch Dana freut sich, dass Ella jetzt offensichtlich erwachsen geworden ist, aber sie vermisst ihre Tochter. Die siebzehnjährige ist von dem Gespräch mit ihrem Bruder sichtlich frustriert. Als Benni fragt, was denn los wäre, antwortet sie nur knapp, dass Finn sie wahrscheinlich nur kontrollieren wollte. "Ich wette mit dir, dass meine Mutter ihn dazu angestiftet hat.", sagt sie genervt. "Man kann sich seine Familie leider nicht aussuchen.", entgegnet Benni. Irgendwie vermisst Ella die tiefgründigen Gespräche mit ihrem Bruder, aber andererseits denkt sie auch, dass sie sich von ihm zu weit entfernt hat. Sie wüsste gar nicht, über was sie mit ihm reden sollte. Die siebzehnjährige realisiert, dass sie jetzt erwachsen wird.
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Silentium | LGBTQ
Teen FictionElla spricht nicht. Ihr Schmerz ist zu groß. Aber als Ruby in ihr Leben tritt, wird Ella's Entschluss auf eine harte Probe gestellt. »Unter allen Torheiten, die ein Mädchen begeht, ist immer ihre erste Liebe eine der größten.«