Primrue Mellark 3 | Kapitel 2

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Meine Finger immer noch auf meinen Ohren liegend, versuchte ich nicht zu hören, was die Gestalt vor mir sagte. Der Aufschrei war nur kurz und doch intensiv gewesen; trotzdem wollten die Hände um meine Handgelenke nicht los lassen. 
Sie waren warm und fühlte sich wie Catos an. Ein Trugbild, was mich beinahe in den Wahnsinn trieb, jedoch auch dafür sorgte, dass ich mich nicht mehr bewegen konnte. Ich konnte nicht schreien oder um mich schlagen. Alles was ich tat, war meine Ohren zu zu halten und auch meine Augen zusammen zu pressen. Vielleicht würde es irgendwann verschwinden. Wenn sie merkten, dass sie nicht durch kamen, würden sie vielleicht aufhören.
Eine weitere Stimme war neben Catos zu hören. Sie sprach nicht auf mich ein, sondern schien mit dem Trugbild zu reden. Ihn anzuweisen mich loszulassen. 
Einen Moment dauerte es, doch dann schien er der Anweisung nach zu kommen. Langsam, Finger für Finger, als wolle er nicht wirklich loslassen, entfernten sie sich von meinen Handgelenken, bis sie komplett verschwunden waren. 
Es beruhigte mich jedoch nur ein wenig. Irgendwas kam immer danach. Nio hatte immer eine neue Gemeinheit, um mich zu quälen. 
Erneut legten sich Hände an meine Gelenke, doch sie griffen nicht so behutsam zu, wie die von dem Trugbild zu vor. 
Nicht schmerzhaft, doch eindeutig kräftig, zogen sich meine eigenen Hände von meinen Ohren und Kopf weg. Ein Wimmern löste sich aus meiner Kehle, welches ich selber verabscheute. Ich konnte jedoch nicht anders. Mit zusammen gepressten Augen, wartete ich einfach auf den nächsten Schlag.
„Primrue.“, hörte ich eine weitere mir bekannte Stimme, „Ich weiß es ist schwer aber wir sind wirklich hier. Komm schon Kleines. Mach die Augen auf.“
Im ersten Moment schüttelte ich den Kopf; hielt die Lider geschlossen. Doch die neue Person gab nicht auf. Mit seinen großen Händen hielt er meine Gelenke weiter fest und drückte sie leicht nach unten, so dass ich sie nicht wieder hoch nehmen konnte. Gleichzeitig strich er aber mit dem Daumen darüber. In Simulationen hatte er dies nie gemacht, weil Nio es nicht über ihn wusste. 
Waren sie also wirklich hier? Konnte ich ihnen vertrauen? Würde ich eine erneute Enttäuschung verkraften? Was blieb mir jedoch anderes übrig. 
Ich spürte die Tränen in meinen Augen brennen, als ich langsam meine Lider hob und in das neue, und doch vertraute Gesicht schaute.
„Seit ihr wirklich hier Nex?“, brachte ich zitternd hervor und versuchte seine Regungen zu interpretieren. 
Sein leichtes Lächeln wirkte echt; seine Augen vielleicht ein wenig trauriger, als ich sie kennen gelernt hatte. 
„Wir sind wirklich hier Kleines. Wir haben es geschafft.“, erklärte er, während er mir die Zeit gab ihn zu mustern. 
Er wirkte magerer und abgekämpfter, als in Nios normalen Quälereien. 
Gleichzeitig schien er lebendiger, wie ich nach einer Weile feststellte. Echt. 
„Trius?“, versuchte ich es deswegen erneut, da er nie vorgekommen war. 
Doch Nex nickte und schaute zur Tür, wohin auch mein Blick wanderte. 
Shade stand dort und an seiner Seite der eigentliche Präsident von Panem. 
„Sie sind wirklich da, Primrue.“, versicherte er mir und seine vertraute Stimme war das Einzige, was mich wirklich überzeugen konnte. 
Zitternd holte ich Luft, als ich spürte wie die Tränen übertraten. 
Es war vorbei. Es war endlich vorbei. 
„Cato?“, flüsterte ich leise und doch schien er mich zu hören. 
Sofort erschien er wieder vor mir, als Nex ihn platz machte. 
„Ich bin hier, Primrue.“, erklärte er noch einmal.
Vorsichtig streckte er erneut die Arme nach mir aus, hielt sich aber zurück. Er schien Angst zu haben, dass ich wieder schreien würde aber ich brauchte etwas, woran ich mich festhalten konnte. 
Zu wissen, dass er wirklich hier war, gab mir die Kraft selber nach vorne zu greifen und mich an seinen Hals zu klammern. 
Sofort legten sich seine Arme stark und schützend um mich, weswegen ein erneuter Schwall Tränen aus meinen Augen trat. Cato murmelte beruhigende Worte, während weitere Schritte zu hören waren. 
Ich blickte auf, um zu sehen, wer überhaupt da war. 
Shade und Trius standen mittlerweile näher, um niemand anderen, als Finn und Bryony in dem kleinen Raum platz zu machen. An der Tür und mehr draußen, als drinnen, erkannte ich sogar Flax und schaffte es leicht zu lächeln. Sie lebten wirklich alle noch. 
„Danke Nex.“, meinte ich in die Richtung von Nios Sohn und drückte seine Hand. 
Er erwiderte die Berührung und schien ohne Worte zu verstehen, was ich meinte. 
Obwohl es nicht seine Freunde waren, hatte er sich um sie gekümmert. Er hatte sein Versprechen mir gegenüber eingehalten.
Langsam zwang ich meine lädierten Knochen nach oben und schaffte es sogar, dank Catos Hilfe. 
Vielleicht war ich im Moment nicht ganz auf der Höhe, aber mit jeder Sekunde schien mehr von meinen Lebenswillen zurück zu kehren. 
„Was jetzt?“, fragte ich deswegen in die Runde, „Ich mein, wir können schlecht hier bleiben oder?“
„Nein“, erklärte Nex und musterte mich wieder, „Denkst du, du kannst kämpfen?“
„Sie muss nicht kämpfen!“, knurrte Cato ihn sofort an, was mich aufblicken ließ. Sein Blick war hart und erinnerte eher, an den Mann, vor meinen Spielen. Gleichzeitig wirkte er verbissener. Er schien alles zu tun, um mich hier heraus zu holen und ich fragte mich, was er wohl in der Zeit meiner Gefangenschaft alles durchgemacht hatte. Was sie alle durchgemacht hatten.
Da waren zu viele Fragen und zu wenig Zeit.
„Nur weil sie gerade schwach ist, werden Nios Männer sie nicht verschonen. Ich glaub, dass weiß sie besser als wir.“, riss mich Nexs Stimme wieder aus meinen Gedanken. 
„Er hat Recht.“, meinte ich deswegen schnell, „Ich will meine Waffen.“ 
Einen kurzen Moment schienen sich die meisten von ihnen verwirrt anzusehen. Es war Finn, der fast augenblicklich zwei Dolche aus seinem Gürtel zog und sie mir hinhielt. 
„Danke.“, murmelte ich leise; konnte seinen Blick jedoch nicht lange standhalten. 
Ihm schien es nicht viel anders zu gehen, da er nur kurz nickte und sich dann auf die Wand neben sich konzentrierte.
„Nun meine Lieben.“, zog Nex die Aufmerksamkeit wieder auf sich, „Reinkommen war einfach; raus wird wohl etwas schwieriger.“ 
Seine Worte ließen mich erschaudern, jedoch nicht nur aus Angst. Die Wut über meine Folter begann in mir zu brodeln und Kräfte zurück zu bringen, die ich dachte, verloren zu haben. Sie überlagerte die Sorgen und Erinnerungen. Der Zorn ließ mich kühl und berechnend werden. Vielleicht war ich kurz davor endgültig zu brechen aber noch konnte ich nicht. Wir mussten Trius lebend hier heraus bringen, wenn wir eine Chance gegen Nio haben wollten. Wir mussten überleben.
„Heißt das ich darf den Idioten endlich die Schädel einschlagen und muss nicht mehr an ihnen vorbei schleichen?“, erkundigte sich Flax, wodurch alle zu ihn schauten. 
Bryony schüttelte nur gutmütig den Kopf, während Shade und Finn grinsen mussten. Sie wirkten vertraut mit einander, was mir nur einen neuen Stich des Zorns gab; weil Nio mir dies vorenthalten hatte. 
Nex seufzte nur, nickte dann aber in Flax Richtung. 
„Gut. Wurde auch endlich Zeit.“, sprach der ehemalige Diplomat aus Distrikt 7 mir regelrecht aus der Seele.

Primrue Mellark 3 | Ungewolltes VermächtnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt