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𝓦𝙰𝙲𝙷 𝙰𝚄𝙵!
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🅉ehn, neun, acht sieben, sechs...

Es war ungefähr vier Uhr nachmittags. Ich saß in der hintersten Reihe im Klassenzimmer und hatte meinen Kopf schräg in die rechte Hand gestützt, damit er nicht wegkippte, sollte ich vor Langeweile einschlafen. Obwohl es sich um die letzte Stunde handelte, in der die Konzentration der Schüler längst als verloren galt, hatten wir Mathe. Die einzigen Zahlen, die mich beschäftigten, waren allerdings diejenigen, die über der Tafel die Uhr nummerierten. Sehnsüchtig feuerte ich den längeren Zeiger an, indem ich im Kopf die letzten Sekunden dieser Stunde herunterzählte.

...fünf, vier, drei, zwei, eins...

Lautes Klingeln schallte pünktlich wie immer durch die Klassen und läutete das Ende der Unterrichtsstunde sowie das Ende dieses Schultages ein. Erleichtert, meinen Kopf von der bereits ganz tauben Hand heben zu können, streckte ich mich, schob mit einer gekonnten Bewegung all meine Sachen in meinen Rucksack und manövrierte mich noch vor allen anderen aus dem Raum.

Heute war es so weit.
Ich konnte meine Sachen packen und alles vorbereiten, um morgen zeitig den Bus zu nehmen und von diesem Internat zu verschwinden. Die Woche war beinahe herum. Morgen hatte ich Geburtstag, morgen würde ich achtzehn werden und mein Leben selbst in die Hand nehmen.

Gekonnt ignorierte ich die lautstarke Beschwerde des bebrillten Lehrers in meinem Rücken, der wie jedes Mal den armseligen Versuch startete, die unaufhaltsame Schülerhorde davon zu überzeugen, dass er es war, der den Unterricht beendete. Bei den meisten Lehrkräften konnte man sich unser Manöver nicht erlauben, doch der Mathe-Heinie war einfach nicht ernst zu nehmen mit dieser bescheuerten Fliege unter dem Kinn und seinem schiefen Stimmchen, das ich mit jedem Schritt über den Flur weiter hinter mir verklingen ließ.

Wie von selbst steuerte ich den Weg entlang, den ich die letzte Woche über sehr häufig gegangen war: den direkten Weg zu meinem Zimmer. Naja, genau genommen zu meinem und Ceces Zimmer, die glücklicherweise trotz oder gerade wegen ihrer quietsch-fröhlichen Art ein äußerst sozialbedürftiger Mensch und viel draußen war. Das Zimmer hatte ich somit bis zum Abend stets für mich allein gehabt. Die ersten Tage hatte Cecilia noch versucht, mich zu integrieren und meinen Wunsch, fortzugehen, im Glanze Paulis verblassen zu lassen. Inzwischen hatte sie sich gegenüber meinem Starrkopf geschlagen geben müssen, obwohl sie überaus hartnäckig und schwer niederzuringen gewesen war, was ich zugegebenermaßen angesichts meiner recht unzugänglichen Persönlichkeit an ihr bewunderte.

Ich bog um eine Ecke und erreichte einen Gang, den ich nur sehr ungern benutzte. Ich hatte immer versucht, ihn so gut es ging zu vermeiden, ungeachtet des Umwegs. Doch von den Räumen für Mathematik aus war ihm leider nicht auszuweichen, wollte ich nicht durch die Brandschutztür zum Hof und im gesamten Gebäude den Alarm auslösen.

Der Grund, warum ich besagten Gang so verbissen mied, war der, dass auf ihm die Bibliothek lag.
Gut, es war vielleicht ein wenig lächerlich, doch die Nacht, in der ich sie mit Cece das erste Mal besucht hatte, ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Dieses unheimliche Flüstern...

Seither hatte ich keinen Fuß mehr in diese schaurige Bücher-Herberge gesetzt und wenn möglich einen weiten Bogen darum gemacht. Zum Unmut meiner Krabbelkäfer, aber den ignorierte ich diktatorisch.

Auch dieses Mal kam ich mir wie ein kleines Kind vor, als ich die Beine in die Hand nahm und zu laufen begann. Mit verkniffenen Augen rannte ich am offenen Eingang zur Bibliothek vorbei, schneller und immer schneller, sodass ich beinahe über meine eigenen Füße stolperte. Erst die Wand am anderen Ende des Ganges hielt mich auf, abrupt und unsanft. Blinzelnd richtete ich meine mindestens genauso schaurige Schuluniform und stapfte hastig zur Treppe.

𝓑𝐮̈𝐜𝐡𝐞𝐫𝐬𝐞𝐞𝐥𝐞Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt