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𝓟𝙰𝚁𝚃𝙽𝙴𝚁 𝙸𝙼 𝓚𝚁𝙸𝙴𝙶
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🄽och Stunden nachdem Silvius gegangen war, saß ich unbewegt auf dem Bett, das, wie so vieles hier, einst meiner Mutter gehört hatte, und versuchte, die klaren Gedanken zurück in meinen leeren Kopf zu locken. Meine Wangen waren von einem Film getrockneter Tränen überspannt, den ich langsam mit Bewegung meiner steifen Kaumuskulatur einreißen ließ.

Ich hatte mich immer für ein starkes Mädchen gehalten. Für emotional strapazierbar und relativ furchtlos. Doch in kürzester Zeit war ich hier eines Besseren belehrt worden. Nicht nur das Wunderland hatte mich austicken lassen, auch Silvius hatte es soeben geschafft, mich wie ein Kleinkind zum Heulen zu bringen. Es war dieses Gefühl der Ratlosigkeit gewesen, das mich übermannt hatte. Die Verzweiflung, nicht zu wissen, was man tun sollte, gepaart mit dem Drang, etwas tun zu müssen.

Vielleicht war auch einfach alles zusammengekommen, das ich in den letzten Tagen in mir aufgestaut hatte: das Internat, das Verlassenwerden, die Alpträume, die Realität wurden. Dann diese verrückte, neue Welt, die sich mir aufzwang und die Geschichte meiner Mutter, die den Ball nun mir zuspielte und erwartete, dass ich losstürmte, Hindernisse ausdribbelte und ein Tor schoss. Nur wollte ich kein Tor schießen. Ich wollte nicht mal losstürmen oder dribbeln. Nein, ich wollte den Ball stehen und liegen lassen und den Platz verlassen, wie ich es immer getan hatte. Weglaufen. Aufgeben. Beziehungsweise alles vermeiden, das mich eventuell dazu bringen würde, aufzugeben oder zu verlieren. Mich einfach aus allem raushalten. Jetzt, wo ich das retrospektiv reflektierte, war das alles andere als furchtlos.

Mit einem schweren Ausatmen vergrub ich mein Gesicht in den Händen, ehe ich mich aufraffte und im Bad mit kühlem Wasser aufweckte. Anschließend starrte ich auf mein Spiegelbild und fragte mich, ob ich mich in meinem Leben überhaupt je irgendeiner Herausforderung gestellt hatte. Ich beklagte mich stets, wie langweilig und öde doch das Leben war, dabei war ich es, die es passiv an sich vorüberziehen ließ. Wenn ich wirklich Aufregung und das Abenteuer suchen würde, dann wäre diese Detektei und alles, wofür sie stand, ein wahrgewordener Traum. Doch stattdessen fühlte ich mich von ihr gestört. Gestört in der Bequemlichkeit meines ach so öden Alltags. Und da wurde mir klar, dass mein Genörgel nichts als leere Beschwerde gewesen war. Denn jetzt, als Aufregung in mein Leben trat, wagte ich das Abenteuer nicht.

Sicherlich war ich nicht die Einzige, die große Reden schwang, um die Schuld für das aufregungslose Leben woanders zu suchen. Doch die Erkenntnis über mich selbst enttäuschte mich ungemein. Das Gesicht, das mich im Spiegel anstarrte, schien nicht mehr das meine zu sein und als ich zurück ins Zimmer ging, zu dem Gemälde meiner Mutter sah, war sie nicht länger die Einzige, die für mich eine Fremde war.

Ihre Geschichte, meine Geschichte, schien so weit entfernt. Mein innerer roter Faden hatte sich so sehr zu einem festen, verknoteten Knäuel verflochten, dass ich ihn verloren hatte.

Diese magische Welt wuchs mir über den Kopf. Ich war geblieben, weil ich neugierig gewesen war, weil ich mehr über mich und meine leibliche Familie hatte erfahren wollen. Jetzt kannte ich die Wahrheit und sie hatte sich als riskant und gefährlich entpuppt und ich mich als zu feige.

Warum konnte ich nicht wie andere Menschen eine Geldsumme, ein Grundstück oder ein paar alte Möbel erben? Warum musste es gerade für mich so etwas abgedrehtes sein?

Das Erbe eines magischen Wappens, das mich als Feind eines verborgenen Ordens brandmarkte, der realgewordene Bücher versiegelte und bewachte. Eines Ordens, der einst mit Stolz und Ehre in seiner Aufgabe aufgegangen und inzwischen eine Ruine seiner selbst war. Von innen verraten, vergiftet, verrottet.

𝓑𝐮̈𝐜𝐡𝐞𝐫𝐬𝐞𝐞𝐥𝐞Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt