1. Ankommen

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Immergrüne Wiesen rauschten vorbei

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Immergrüne Wiesen rauschten vorbei. Nur noch vereinzelt traten Häuser mit Reetdach auf, die Landschaft bestand vermehrt aus Kornfeldern und Weiden mit Schafen. Ich stöpselte die Kopfhörer raus, ließ mein Fenster herunterfahren und wand mein Gesicht aus dem Fenster. Die Luft war frisch, salzig und viel kühler, als vorhin noch in Hamburg. „Da ist das Meer!", rief meine kleine Schwester Lotte ganz aufgeregt und schlug mit ihren niedlichen Patschehändchen gegen die Fensterscheibe. „Charlotte, du machst doch die ganze Scheibe dreckig! Deine Hände sind noch voller Schokolade! Das darf ich nachher wieder sauber machen!", meckerte meine Mutter vom Fahrersitz aus. Sie war so gut wie dauergestresst, egal ob sie frei hatte oder zur Arbeit ins Büro musste. Vielleicht hatte sie das endlich selbst gemerkt und deswegen kurzerhand Urlaub an der Ostsee in einer kleinen Pension gebucht. Fernab von Verkehrslärm, Menschenmassen und verschmutzter Luft. Ein bisschen Erholung vom hektischen Alltag würde uns allen nicht schaden.

Mein Vater dagegen reiste seit neun Monaten mit einer Gruppe aus freiwilligen Ärzten durch Afrika, um abgelegenen Dörfern mitten in der Wildnis zu helfen. Wann er wieder nach Hause kommen würde oder wo genau er sich aufhielt, war ungewiss. Ich vermisste ihn, denn er war mit einem wesentlich ruhigerem Gemüt gesegnet, als meine Mutter, die schnell dazu neigte, hysterisch zu werden.

Wir fuhren durch ein kleines Küstendorf, immer mehr ins Nirgendwo, bis um uns herum nur noch das Meer auf der linken und Wildblumenwiesen auf der rechten Seite waren. Ein schiefer Wegweiser zeigte auf einen unebenen Weg aus Sand und Kieselsteinen. Von weitem konnte man bereits ein Haus mit Reetdach erkennen. Das musste die Pension Pusteblume sein.

Als wir aus dem Auto ausstiegen, wurden wir sofort von lautem Vogelgezwitscher und Meeresrauschen begrüßt. Direkt vor uns lag ein duftender Rosengarten, in dem sich lauter summende Bienen und Hummeln tummelten. Er sah ziemlich verwunschen aus und wirkte so, als hätte man der Natur ihren freien Lauf gelassen. Das blau angestrichene Gartentor öffnete sich quietschend und eine Frau mittleren Alters mit unzähligen Sommersprossen am ganzen Körper trat hervor. Sie trug weite, bunt gemusterte Kleidung und ihre naturroten Haare waren mit Tüchern nach oben gebunden. Barfuß kam sie freudig auf uns zu gehüpft, ihr zahlreicher Schmuck klimperte bei jeder Bewegung. „Namaste ihr Lieben und herzlich willkommen!", rief sie voller Energie und umarmte uns stürmisch. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich war positiv überrascht, während meine Mutter ihre Nase rümpfte. Sie hielt nichts von Hippies oder locker eingestellten Menschen und verglich diese gerne mit den Obdachlosen auf Hamburgs Straßen, denen sie natürlich auch kein Geld spendete. „Ach Mama, nicht jeder will gleich von dir geknuddelt werden!", rief eine weitere, Stimme lachend. Ich drehte mich um und erblickte ein Mädchen, das den Weg zum Strand hochgelaufen kam. Wahrscheinlich hatte sie gerade im Meer gebadet, denn ihre roten Locken waren noch feucht und unter ihrem geblümten, kurzen Sommerkleid konnte man einen Bikini erahnen. Irgendwie konnte ich nicht wegsehen, ich musste sie einfach anstarren. Wie ein wunderschönes Gemälde im Museum, von dem man einfach nicht genug bekommen konnte. Und sie war Kunst.

Das Mädchen zog mich in ihren Bann, ich war gefesselt von ihrer Ausstrahlung. Es wirkte beinahe so, als würde sie wirklich leuchten. Mindestens so strahlenden wie die Sonne, die gerade auf uns hinab schien. Sie trat zu uns, legte einen Arm um ihre Mutter und sprach: „Bitte entschuldigt das übergriffige Verhalten meiner Mama, sie ist einfach sehr ... berauschend. Ich bin übrigens Maja.". In diesem Moment trafen sich unsere Augen zum ersten Mal. Es kam mir so vor, als würde die Welt kurz still stehen, als hätten die Vögel aufgehört zu zwitschern und als wenn auch der Wind nicht mehr die Blätter rauschen ließ. Die Uhren waren stehengeblieben, eine Minute der Unendlichkeit. Für die Ewigkeit.

Verstört schaffte ich es, meinen Blick von ihr zu lösen. Was war das gewesen? Mein Herz klopfte wie wild und in meinem Bauch kamen Achterbahngefühle hoch. Was auch immer es war, ich wollte es nicht haben. Es machte mir Angst.

𝐖𝐚𝐬 𝐟𝐮̈𝐫 𝐢𝐦𝐦𝐞𝐫 𝐢𝐬𝐭Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt