Überrascht drehte ich mich zur Treppe um, da ich davon ausgegangen war, alleine im Haus zu sein. Frieda sah ziemlich ertappt aus. Und total süß, mit den zerzausten Haaren und dem hellblauen Pyjama. „Guten Morgen, hab ich dich geweckt?", fragte ich leicht zerknirscht. Sie schüttelte gehemmt mit dem Kopf und kam langsam näher zu mir. „Wo sind die Anderen?". Sie schaute sich suchend um. „Sind einkaufen, deine Mutter hat sich beschwert, dass wir keinen frischen Lachs, Croissants vom Bäcker und Sekt Zuhause haben. Und weil meine Mutter es nicht eingesehen hat, am Montagmorgen nur deswegen loszufahren, hat sie sich ein Taxi gerufen, um in die nächste Stadt zu gelangen.", antwortete ich und verdrehte die Augen. „Und was ist mit Lotte?". Sie klang besorgt. „Ist mit meiner Mutter im Dorf. Keine Sorge, bei ihr ist sie gut aufgehoben.". Ich widmete mich wieder dem zerbrochenem Ei auf dem Boden. „Ich kann dir helfen ... also, wenn du es möchtest.". Frieda stand plötzlich mit hoch getüddelten Haaren neben mir. Ich hatte gedacht, sie würde einfach wieder gehen. „Ach, das geht schon. Aber im Kochen bin ich echt eine Niete! Vielleicht hast du ja mehr Begabung im Pfannkuchen backen?". „Allerdings.", flüsterte sie und ihre Lippen verzogen sich zu einem honigsüßen Lächeln. Ich verschränkte die Arme. „Was soll das denn heißen?". Sie schmunzelte und widmete sich dem Teig. „Das ich einfach besser Pfannkuchen machen kann als du, höchstwahrscheinlich...". „Dann erwarte ich jetzt aber besonders gute!", sagte ich und schwang mich auf den Küchentresen hinter ihr. Insgeheim wunderte ich mich über ihre plötzliche Selbstsicherheit, aber stille Wasser waren ja bekanntlich tief.
„Hat dir der morgendliche Ausblick eigentlich gefallen?", fragte ich Frieda und lugte ihr gespannt über die Schulter, als sie die erste Portion Teig in die heiße Pfanne goss. Sie ließ vor Schreck die Kelle fallen und errötete. „Etwa so atemberaubend?", hakte ich nach und strich mit meiner Hand über ihre Schulter. Ihr Gesicht begann zu glühen und sie räusperte sich nervös. Ich bemerkte die Hitze, die ihr Körper auf einmal ausstieß. „Ähm, ja. Er war ... sehr schön, wunderschön.", stammelte sie. „Das freut mich zu hören. Sowas siehst du ja auch nicht alle Tage. Blühende Wiesen und Kornfelder sind ja total neu für dich. Ich bin damit aufgewachsen, hab mich leider dran gewöhnt. Fühlt sich bestimmt wie ein Abenteuer für dich an, oder?". Sie zuckte mit den Schultern. „Hm, also ich lese ehrlich gesagt lieber von-.". Schockiert unterbrach ich sie: „ Moment mal, du liest lieber von Abenteuern, anstatt sie selbst zu erleben?!". „Aus deinem Mund hört sich das so an, als wäre ich die totale Langweilerin, aber ich bin halt auch einfach ein Durchschnittsmensch.", gab sie zerknirscht zu und wendete den ersten Pfannkuchen. „Was ist denn ein Durchschnittsmensch?", erkundigte ich mich. „Ein Durchschnittsmensch eben. Nicht auffällig hübsch, kein besonderes Talent, in der Schule und vom Charakter her ganz passabel. Ein Durchschnittsmensch ist jemand, der oft übersehen wird.". Ich musterte Frieda für eine Weile und dachte nach. Für mich war sie nicht einfach nur ein „Durchschnittsmensch". Klar, sie war auf den ersten Blick unscheinbar, aber ich war immer noch fest davon überzeugt, dass ihre Seele umso bunter war. „Ich glaube, du bist kein Durchschnittsmensch, Frieda. Du bist eher wie eine Krabbe, deren wahre Schönheit man erst erkennt, wenn sie aus ihrem Muschelhaus gekrochen kommt.". Sie grinste geschmeichelt und goss die nächste Portion Teig in die Pfanne. „Du vergleichst mich also mit einer Krabbe?". Ich musste lachen. „Du könntest auch gut ein Gänseblümchen sein, es wird oft übersehen, aber jeder freut sich darüber!".
Ich überlegte, mit welchem Thema ich erneut ein Gespräch mit Frieda beginnen könnte, während sie gegenüber von mir am Tisch ihren Pfannkuchen sorgfältig mit Apfelmus bestrich. „Wenn du keine Abenteuer im Sommer erlebst, was machst du dann?". „Es gibt einen gemütlichen Coffeeshop direkt an der Alster. Dort sitze ich und lese, oder zeichne Menschen, die in meiner Nähe sitzen. Wenn wir in den Urlaub fahren, dann eigentlich jedesmal nach Frankreich. Meine Mutter ist dort aufgewachsen und meine Großeltern wohnen noch immer dort.", antwortete sie. „Und hast du dort jemanden, der sehnsüchtig auf dich wartet? Eine klein Liaison vielleicht?", die Frage hatte ich mir einfach nicht verkneifen können. Sie lächelte verlegen und schaute auf ihren Teller. Oh je, kein gutes Zeichen! „Ja, hatte ich, aber ist schon lange her. Ihr Name war Camille und sie hat mich gegen die blonde Strandschönheit eingetauscht.". „Camilles brechen immer Herzen, weißt du das denn nicht?". Sie schaute mich an und schmunzelte. „Naja, spätestens jetzt weiß ich es ja.". Ich würde sie niemals gegen ein 0815-Mädchen eintauschen. „Anderes Thema: Erzähl mir etwas über dein Lieblingsbuch!", forderte ich sie auf und biss genüsslich in einen der Pfannkuchen, die ihr echt gut gelungen waren. Frieda holte tief Luft und redete auf einmal wie ein Wasserfall. Ohne Punkt und Komma, ohne Bedachtheit , komplett durcheinander und mit voller Begeisterung sprudelten die Wörter aus ihr hinaus. Und ich hing durstig an ihren Lippen, saugte jeden Satz auf, versuchte mir alles zu merken.
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𝐖𝐚𝐬 𝐟𝐮̈𝐫 𝐢𝐦𝐦𝐞𝐫 𝐢𝐬𝐭
General FictionOder was bleibt, wenn der Sommer endet? Über Maja, die Sonnenschein in menschlicher Form gleicht, und Frieda, die mistendes genauso geheimnisvoll wie das Meer ist. Gemeinsam erleben sie zahlreiche, unvergessliche Marmeladenglasmomente und Postkarte...