2. Mädels Abend

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Buenos Aires, 4 Jahre später

Es war der Geburtstag meiner ABF und sie veranstaltete eine Übernachtungsparty. Und natürlich gehörte zu jeder Übernachtungsparty der neueste Tratsch und Geheimnisse. Ich stöhnte genervt auf, als das jemand vorschlug. „Kommt schon. Wir spielen einfach  Wahrheit oder Pflicht ohne Pflicht.“ Die Mehrheit war dafür und somit war ich überstimmt.

Wir setzten uns im Kreis auf den Boden und Marla, meine beste Freundin erklärte die Regeln. „So, jetzt schreibt jeder von euch auf einen Zettel eine Frage auf und werft den Zettel dann hier in die Mitte. Am besten so, dass nicht jeder sehen kann, was ihr geschrieben habt, logischerweise. Dann liest immer einer vor und alle müssen auf die Frage wahrheitsgemäß antworten. Auch derjenige, der vorliest.“ Ich nickte. So schwer war das ja nicht, aber so verdammt unnötig. Wenn ich nicht wollte, dass Leute etwas von mir erfuhren, würde auch dieses dämliche Spiel das nicht aus mir herausbekommen.

Aber auf mich hörte ja keiner und so schrieb jeder – auch ich – eine Frage auf ein Stück Papier und legte es in die Mitte vom Kreis. Marla fing an und las den ersten Zettel vor. „Hattet ihr schon mal Sex?“ Einstimmiges Kopfschütteln. Marla lachte. „Ich glaube, die Fragen sind nicht für unser Alter gemacht.“ Meinte sie und warf den Papierfetzen hinter sich.

Jetzt zog die nächste einen Zettel. „Wann hatte ihr euren ersten Kuss? Und mit wem?“ Urgh! Wenn ich bloß an meinen ersten Kuss dachte, wurde mir augenblicklich schlecht. Ich war fast 13 und es war Luca, der Vollidiot aus meiner Klasse, der mich geküsst hat, ohne dass ich es wollte. Die erste fing an zu beichten. „Also ich war  11. Und es war mit Marco, meinem damaligen Freund.“ „Bei mir war es an meinem 12. Geburtstag, das weiß ich noch. Und es war ein Junge, in den ich total verknallt war, heute aber nicht einmal mehr seinen Namen weiß.“ „Ich habe meinen ersten Kuss auch von meinem ersten Freund bekommen und ich glaube, da war ich auch so in dem Alter.“ Lauter schöne Erfahrungen, dachte ich mir, nur ich habe so eine Horrorgeschichte.

„Und was ist mit dir, Tini?“ fragte Marla. Wie Jorge damals, war sie die einzige, die mich so nannte. Aber natürlich! Jorge!

„Ich war erst 10.“ Log ich. Die anderen pfiffen und raunten. „Schaut euch die an!“ meinte eine. „Und es war Jorge, mit dem ich damals zusammen war, am Tag als die Sommerferien zu Ende waren – für mich zumindest – und ich wegmusste. Wir saßen auf einer Klippe und sahen uns den Sonnenaufgang an und es war einfach perfekt!“  „Awwwww!“ machten alle und ich lächelte bei den Erinnerungen.

Ich hätte ihn damals echt küssen sollen. Er hätte mein erster Kusspartner sein sollen, nicht das Ekelpaket Luca. Von Jorge hatte ich seitdem wirklich nichts mehr gehört, aber die Kette hatte ich immer noch. Zwar hatte ich den Wollfaden durch eine richtige Kette ersetzt, aber der Anhänger hing immer noch daran. Meinen Eltern hatte ich nie erzählt, dass wir zusammen waren – ich wollte mir das nicht durch ihre Sprüche von wegen ‚In seinem Alter wollen Jungs nur das eine‘ und ‚Du bist viel zu jung für ihn‘ nicht kaputtmachen lassen – und deswegen war die Kette der einzige Beweis, dafür dass ich mir Jorge nicht nur eingebildet habe, sondern, dass es wirklich real war. Sein Lachen, seine Berührungen, unser Beinahe-Kuss am letzten Tag…

„Das ist so süß! Wieso hast du mir das nie erzählt?“ wollte Marla wissen und riss mich aus meinen Gedanken. „Ja, keine Ahnung. Du hast mich nie gefragt.“ „Doch, das habe ich. Tausendmal. Aber du hast immer gesagt, du willst darüber nicht reden.“ Ja, vielleicht deswegen, weil ich realisiert hatte, wie dumm ich damals war, ihn nicht zu küssen. „Es war halt sehr schmerzhaft. Ich habe ihn seitdem nie wieder gesehen und diese Kette hier ist da einzige, das ich von ihm noch habe.“ Sagte ich und zeigte den anderen das ‚Beweisstück‘.

Die kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus und ich beschloss endgültig, meinen wahren ersten Kuss zu verdrängen und weiterhin vorgeben, dieser Kuss sei der richtige gewesen. Es war ja eh keiner dabei gewesen. Der einzige, der außer mir die Wahrheit kennt, ist Jorge und der wird ja wohl schlecht den anderen die Wahrheit verraten können.

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