6. Kapitel

134 12 0
                                    

"Och Taylor, komm schon. Ich finde die Idee gut." Taylor saß auf meinem Bett und las sich den Brief jetzt bestimmt schon zum vierten Mal durch. "Ich weiß nicht. Dir geht es doch sowieso schon nicht wirklich gut. Du solltest mal ein bisschen langsam machen. Ich würde in ein paar Monaten nochmal über dieses Angebot nachdenken." "Nein, ich will aber auch so kämpfen können wie zum Beispiel Robin. Selbst Max kann das besser als ich. Und du würdest außerdem auch Vorteile haben. Schließlich kannst du da bestimmt auch noch was lernen." "Evelynn. Deine Eltern wären davon nicht sehr begeistert. Das weißt du." Ich begann zu grinsen, sein Widerstand hatte Risse bekommen. "Ich bin doch nicht blöd. Du willst da auch hin." "Natürlich. Aber ich denke eben an deinen Zustand, daran, wie angeschlagen du bist." "Dann vergiss meinen Zustand, was ist das eigentlich für ein blödes Wort?! Wenn du nicht dahin willst, dann mach ich es eben alleine." "Du weißt, dass du dann vielleicht deine Schule und damit auch Scarlett und Zoe verlassen musst?" "Das ist ja mal ein Argument", meine Stimme quoll über vor Sarkasmus, "ich würde die beiden bestimmt nie wieder sehen. Wahrscheinlich würde ich an den Nachmittagen und Wochenenden durchgehend lernen." Taylor seufzte, "Mach was du willst." Triumphierend strahlte ich ihn an. Ich hatte gewonnen. "Grins nicht so blöd." Aber auch er lächelte jetzt, froh darüber, dass unsere kleine Diskussion zu Ende war. Fragte sich nur, was meine Eltern davon hielten, denn erfahren mussten sie es.

Meine Mutter seufzte. "Ich verstehe nicht, warum das sein muss Evelynn, aber wenn du dir das antun willst, dann mach es. Ich wäre allerdings froh, dich zu Hause noch ab und zu mal zu sehen." Mein Vater meldete sich zu Wort: "Also ich finde die Idee gut, aber du solltest dringend abklären, ob das wie ein Internat läuft oder nicht. Vielleicht fährst du einfach mal dorthin. Morgen." Ich stimmte ihm zu, auch wenn ich viel lieber noch heute, am besten direkt, zu Evangeline gefahren wäre. Ich war gerade dabei nach oben zu gehen, als meine Mutter nochmal anfing zu sprechen, "Evelynn, denk bitte daran, dass es sein kann, dass du dann deine Schule verlassen musst. Und auf dieser Schule, für die du jetzt diese Einladung bekommen hast, was uns natürlich freut, da dort nur wenige Schüler aufgenommen werden, wäre alles neu für dich. Du würdest dort wahrscheinlich kaum jemanden kennen." "Ist mir klar Mom. Mach dir nicht so viele Sorgen. Ich kann schon auf mich selbst aufpassen." Damit wandte ich mich zum gehen, aber ich meinte noch zu hören wie Dad meiner Mom noch etwas zuflüsterte, "Da bin ich mir nicht so sicher. Eigentlich ist es doch immer Taylor, der auf sie aufpasst. Sie verlässt sich viel zu sehr auf ihn."

Zoe hatte eben angerufen, sie war krank und lag mit riesiger Langweile im Bett. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass ihr irgendetwas gefehlt hatte, aber sie hatte sich eben wirklich nicht gut angehört. Sie hatte gehofft, dass ich sie besuchen könne, aber ich hatte ihr mitgeteilt, dass ich noch etwas erledigen musste. Gestern Abend war es zu spät gewesen, aber heute wollte ich Evangeline besuchen um herauszufinden, wie sie sich das Ganze vorstellte. Ich wollte unbedingt dort zur Schule gehen, wollte all das lernen, was Robin und die anderen auch konnten. Ich wollte so sein wie sie. Ich hatte fest beschlossen, dorthin zu gehen und da würden mich meine Eltern oder Taylor auch nicht aufhalten. Mal ganz abgesehen davon, dass ich so ziemlich abgelenkt war und nicht an meine Probleme denken würde. Aber erstmal musste ich zu Mr. Morrison.

"Guten Tag, Evelynn. Darf ich fragen wo sie bei unserer letzten Sitzung waren?" "Eh, ja, ich war bei einer Freundin und hab Sie und die Zeit völlig vergessen." "Und jetzt bitte die Wahrheit." Ich seufzte und verdreht die Augen. Was hatten diese Psychologen bloß, dass sie einen immer durchschauen konnten. "Ich war auf dem Friedhof und dann bei einer Frau, die sich um mich kümmert." "Also doch. Evelynn, es ist nicht gut für sie, zu diesem Riley zu gehen. Das reißt die Wunde nur immer wieder auf." "Ich weiß ja, aber es geht nicht anders. Es kann aber sein, dass ich wenigstens teilweise eine Lösung gefunden habe. Die Frau gestern hat mir nämlich einen Platz auf ihrer Schule angeboten und ich werde dann wohl nicht mehr so viel Zeit haben." "Das freut mich. So tun sie etwas sinnvolles und lenken sich gleichzeitig ab. Ich denke allerdings, sie sollten das so schnell wie möglich regeln und deswegen würde ich unsere heutige Sitzung jetzt schon beenden." Erfreut lächelte ich meinen Therapeuten an und ging, auch wenn es mir so vorkam, als hätte er mich loswerden wollen. Vielleicht war ich ihm einfach zu verrückt.

Das Gespräch hatte mich ein wenig nachdenklich gestimmt. Warum war Mr. Morrison so begistert von der Idee, wenn Mom und Dad sie so schrecklich fanden? Sagte sein psychologisches Handbuch etwa irgendetwas von Beschäftigung in Schulform für Jugendliche? Der Wälzer war so dick, dass es ziemlich gut sein konnte und Mr. Morrison blätterte sowieso dauernd in diesem Ding herum. Vermutlich wollte er nachschlagen, was in meinem Fall zu tun war und hatte die Sitzung deswegen so früh beendet, ich war nicht einmal zehn Minuten dort gewesen und seine nervigen Fragen, die er normalerweise jedes Mal stellte, hatte er auch vergessen.

"Hallo Liebes. Ich hatte gehofft, dass du heute noch hierher kommen würdest. Ich weiß, du hast jede Menge Fragen. Aber lass mich bitte zuerst reden, denn ich denke, dann klärt sich das Meiste, wenn nicht sogar alles. Zuerst einmal", sie führte mich in den großen Speisesaal, wo in den Ecken jeweils ein kleiner Goblin stand und mich anstarrte, "denke ich, dass das Internat keine gute Lösung für dich ist. Vielleicht wenn du mit der Schule fertig bist. So lange ist das ja nicht mehr. Meine Idee wäre, dass du an jedem zweiten Wochentag hierhin kommst, natürlich direkt nach der Schule. Am Wochenende solltest du allerdings ganztägig hierhin kommen. Du wirst Kampfunterricht bekommen, genauso wie Taylor, und wenn du willst auch ein eigenes Zimmer, wie gesagt würde ich dich allerdings bitten es nicht dauerhaft zu beziehen." Die Tür öffnete sich und Robin trat herein. "Ein Glück. Vierundzwanzig Stunden am Tag ist es mit der garantiert nicht auszuhalten." Evangeline blieb zu meiner Überraschung völlig ruhig. "Robin, ich verstehe zwar nicht ob und was zwischen euch vorgefallen ist, aber bitte legt euren Streit nieder und vertragt euch um meinetwillen. Evelynn wird jetzt regelmäßig hier sein und du, Robin, wirst dich benehmen. Auch wenn du hier eine höhere Stellung hast als die anderen, musst du sie alle fair und freundlich behandeln." Robin war wütend, das sah man ihm an, wütend darauf, dass Evangeline ihn vor mir getadelt hatte. Insgeheim freute ich mich darüber und ich war kurz davor zu Grinsen. Aber ich wusste, dann würde Evangeline auch mit mir schimpfen und das wollte ich nicht. Nicht, bevor ich hier überhaupt einmal unterrichtet worden war.

HexenjagdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt