26. Kapitel

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"Das kleine Ding da?" "Das überhöre ich jetzt mal!", sagte der kleine Goblin und trat neben mich. Er reichte mir gerade mal bis zum Knie. Ich fand ihn zwar ganz süß, aber wollte der Kerl mir jetzt auf Schritt und Tritt folgen? Keine Privatsphäre mehr? Dann wäre das wohl eher ein Fluch als Magie. Und wenn ich schon mit so einem rumlaufen musste, warum konnte der nicht so aussehen wie die anderen und nicht so klein und mickrig? Würde der Goblin noch wachsen? Plötzlich wurden die Augen des Kleinen groß: "Ist das Schokolade? Oh mein Gott, ich liebe Schokolade. Krieg ich welche? Biiiiiitte!" Na super, kindisch war er also auch noch. Meiner Meinung war er doch groß genug um selbst zum Tisch zu gehen und sich welche zu holen. "Ja klar. Hol dir welche." "Sehr witzig", Lysander sah zu mir hoch, seine großen Augen sahen wirklich hundewelpenmäßig süß aus. Ich verdrehte die Augen: "Ja, okay, ich hol dir welche."  Ich kannte dieses Wesen nichtmal eine Stunde, mochte ihn noch nichtmal und stand schon total unter seinem Pantoffel. Und das wegen seiner Augen! War das zu fassen?! Ich gab Lysander die Schokolade, er stopfte sie sich in den Mund und nahm dann meine Hand. "Ich glaub wir sollten uns unterhalten. Dein Freund kann ja unten bleiben oder in sein Zimmer gehen oder was auch immer."  "Wer?" "Dein Freund, der Typ mit den schwarzen Haaren, sieht aus wie ein Italiener. Ich hab keine Lust darauf seine Fragen auch noch beantworten zu müssen. So wie der guckt hat dem nämlich keiner was erzählt." "Äh, ja. Dann lass uns gehen. In mein Zimmer", schlau war er also auch noch. Ich hob meine Stimme, "Hey, also wir gehen jetzt mal. Taylor ich komm später zu dir." Kaum zu fassen was ich hier gerade tat! Ich ging mit diesem Goblin, der jetzt wohl mein bester Freund werden sollte, um mich mit ihm zu unterhalten. Gott, ich hatte vor zu meinen Eltern zurückzugehen. Was sollte ich da mit dem Kerlchen?

"Also, was willst du wissen?", seine piepsige Stimme klang trotz meiner nicht ganz so herzlichen Behandlung immernoch freundlich. "Wie alt bist du?" "16 Monate." "Ah, ja, und ehm, wächst du noch?" "Nö, wieso?" "Ich dachte nur, weil die anderen Goblins irgendwie größer sind." "Jetzt hör mal zu Lynn. Nur weil ich kleiner und vielleicht auch schwächer bin, heißt das nicht, dass ich nutzlos bin. Vielleicht hab ich ja dafür mehr Hirn? Und du kennst mich noch gar nicht. Woher denn auch? Vielleicht bin ich ja ganz nett." Irgendwie konnte ich ihn mit seiner hohen Stimme nicht ernst nehmen, auch wenn er jetzt gerade zum ersten mal leicht unfreundlich wurde. Obwohl er so klein war und wirklich manchmal kindlich wirkte hatte er diese Ernsthaftigkeit in den Augen und in dem was er sagte, dass man ihn für erwachsen halten konnte. Und irgendwie, nach dieser ernsten Ansage von ihm, fühlte ich mich so, als könnte ich tatsächlich mit ihm klarkommen. "Na gut, dann nächste Frage, wo kommst du so plötzlich her? Ich bin mir ziemlich sicher dich bisher noch nicht gesehen zu haben. Und noch wichtiger, wo wohnst du ab jetzt?" "Na, da wo ich vorher auch gewohnt hab. Unten gibt's das gleiche wie für euch hier nochmal für uns. Nur dass wir zu viert in einem Zimmer sind und nicht allein. Aber das ist okay. Es war nur ein bisschen deprimierend, dass alle schon Ombré hatten  und ich nicht. Weil du nicht bestanden hast und so." Super, daran wollte ich ganz sicher erinnert werden.
Wir saßen noch eine ganze Weile in meinem Zimmer und redeten. Und der kleine Kerl wurde mir immer sympathischer.
Die Tür wurde leise aufgeschoben und Taylor steckte den Kopf ins Zimmer. "Evangeline will keine Zeit verlieren. Wir müssen über den Brief und deinen Bruder reden." Lysander, dem ich meine gesamte Geschichte eben mit ein paar kleinen Lücken erzählt hatte, sprang sofort auf. "Na dann lasst uns gehen." Er grinste Taylor an und stolzierte an ihm vorbei. Ich musste grinsen, obwohl ich mich immernoch ein bisschen weigern wollte ihn zu mögen, was nebenbei bemerkt wahnsinnig schwer war, denn wer konnte einen kleinen Hundewelpen nicht mögen, wenn er ihn sah. Und ja, Lysander erinnerte mich eben an ein kleines Fellkäuel. Nur eben ohne Fell.

"Ich halte es für das Beste, wenn ihr morgen loszieht. Dann verliert ihr nicht das Wochenende. Allerdings müssen wir erstmal rausfinden, wohin ihr überhaupt müsst und das haben wir letztes Mal schon nicht hinbekommen." "Na dann ganz von Vorne, der Ort an dem du deine erste Liebe kennengelernt hast?" Lysander schaltete sich ein: "Ohh, erfahren wir jetzt wie ihr zwei euch kennengelernt habt?" Taylors Gesicht wurde ernst. Jep, eben beim Erzählen hatte ich die ganze Riley-Taylor-Sache ausgelassen. "Ehm, Nein. Der Typ hieß Riley, aber wie zur Hölle soll ich denn rausfinden wo ich den kennengelernt habe? Die Hälfte der Zeit hab ich ja nichtmal mitbekommen!" "Ehm, also ich will mich ja nicht einmischen, aber das hat Evangeline doch nur in eure Hirne gepflanzt oder? Also hast du ihn ja dann im Grunde genommen schon selbst kennengelernt. Und das war wo?", Lysander klang so klug und er war der einzige, der noch objektiv auf die Sache schauen konnte. "In der Schule. Oh mein Gott, in der Schule! Das ist es! Mein Spanischlehrer ist doch bei den Iram Vindicem. Der könnte da was versteckt haben." Taylor meldete sich zu Wort: "Du vergisst, dass er schon eine ganze Weile gefeuert ist. Der kommt da nicht mehr einfach so rein." "Stimmt. Egal. Es ist die Schule. Sie muss es einfach sein. Und der zweite Ort? Was steht da drin? Oh man, ich fühl mich echt wie in einer total verzerrten Schnitzeljagd." "Da steht: Den Ort den du am meisten hasst. Und dann sollst du deine Position suchen. Irgendwer eine Ahnung, was das bedeuten soll?" Absolut nicht, nein. Was gab es denn für einen Ort, den ich gehasst hatte? Ich dachte an das zuvor Gesagte zurück und plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. "Spanisch!" "Ehm, nein Evelynn. Englisch. Wir sind hier in Amerika." "Ach, du Idiot", ich schlug Taylor mit dem Arm in die Seite, "Ich meinte mein Spanischklassenzimmer. Ich war nirgendwo so ungern wie in diesem Unterricht. Und das passt auch, so von wegen Schnitzeljagd, dieser Hinweis meint gar nicht zwei verschiedene Orte, sondern nur einen!" "Und die eigene Position suchen bedeutet dann-" "Mein Sitzplatz!" Irgendwie wurde ich von einer leicht unangebrachten Begeisterung gepackt, aber ich konnte das nicht aufhalten. "Dann passt es ja auch gut, dass Wochenende ist. Ich nehme an, da halten sich in eurer Schule nicht so viele Schüler auf oder?" Evangeline klang auch froh darüber, dass wir endlich wussten, wohin ich gehen musste. "Moment Mal. Wir müssen in die Schule einbrechen oder?" "Ach Gott, Evelynn. Jetzt stell dich nicht so an. Das merkt doch keiner." Der kleine Lysander schob wieder seine Hand in meine, es schien als würde er das gerne machen. "Ist ja samstags, oder sonntags. Das kriegt keiner mit. Außerdem, wenn du deinen Bruder finden willst, dann wirst du das wohl tun müssen. Und genau genommen gehst du ja da zur Schule, bist also befugt das Schulgelände zu betreten und dann ist das kein Einbruch mehr." Ich musste Lachen. Gegen diese Logik kam ich nicht an.

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