17. Kapitel

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Dies musste Cutterville bei Nacht sein. Etwas Anderes konnte ich mir nicht vorstellen. Was sollte ich denn jetzt schon wieder hier? Musste ich mir einen Mord angucken? Bei Nacht würde wohl keiner als Hexe verbrannt werden. In dieser engen Gasse herrschte gespenstische Stille. Kein Licht brannte und kein Lüftchen regte sich. Langsam tappte ich auf das Ende der Gasse zu und blieb stehen. Dort, hinter dem Haus drang ein leichter Lichtschimmer hervor. Der Boden flackerte Gelb und mir war klar, das dort, welcher Ort sich auch hinter dem Haus verbarg, ein Feuer gezündet worden sein musste. Konnte ich es mir erlauben dort zu erscheinen? Natürlich wusste ich nicht, welches Jahr wir hatten, demnach war es unwahrscheinlich, dass hier jemand war den ich kannte. Langsam schritt ich auf den Platz, blieb aber etwas abseits stehen. Das angezündete Feuer war riesig und die Menschen tanzten fröhlich herum. Sie hatten sich an den Händen gefasst und umkreisten das Feuer bei einer schnellen Musik. Es sah nicht wirklich anders aus als früher und so gefiel mir einfach dazustehen und der Menge zuzusehen. Unerklärlicherweise war ich vollkommen glücklich, auch wenn mir mein Unterbewusstsein sagte, dass hier noch etwas geschehen musste. So bewusst waren normale Träume nie, das hier hatte mir jemand geschickt. Aber vielleicht, nur vielleicht, kam mir gerade der Gedanke, hatte Evangeline diesen Traum gesendet um mich zu trösten. Dann würde nichts Schlimmes geschehen und mir war einfach nur Ruhe vergönnt.
Plötzlich hörte ich hinter mir ein leises Murmeln und etwas begann zu rascheln. Dann klackerten Absätze und eine Gruppe Mädchen kam um die Ecke stolziert. Sie hatten heitere Mienen aufgesetzt und wirkten auf den ersten Blick normal, doch irgendetwas stimmte nicht. Schnell drehte ich mich zu ihnen um, nicht ohne noch einen letzten Blick auf die tanzenden Menschen zu werfen. Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen, diese Mädchen trugen Hosen! Wussten sie nicht, dass sie bestraft würden wenn man sie sah? Ein kalter Wind kam auf und ich fröstelte. Niemand sah mich, selbst die Mädchen sahen direkt durch mich durch. Jetzt lächelten sie allerdings nicht mehr, sondern blickten wachsam um sich. Dann verschwand eine nach der anderen ins Nichts. Also waren sie Ombré! Und sie wussten sehr wohl, in welche Gefahr sie sich begaben. Am liebsten wäre ich ihnen gefolgt, aber das ging nicht, denn sie waren ja unsichtbar. Und da half es auch nichts selbst die Schatten zu rufen. Mist! Wie gerne wäre ich ihnen gefolgt um zu sehen, was sie taten. Deprimiert ließ ich mich gegen eine Wand sinken und wartete, nun wieder dem Fest folgend.
Irgendwann ertönten hinter mir Schreie und man hörte Klingen aufeinandertreffen. Also doch kein Traum von Evangeline! Ohne allzu große Eile folgte ich den Geräuschen und kam schließlich zum Ort des Geschehens. Alle Mädchen von eben kämpften gegen eine kleinere Gruppe von Iram Vindicem. Trotz der zahlenmäßigen Überlegenheit schienen die Ombré nicht siegen zu können, allerdings lieferten sie sich einen erbitterten Kampf. Meine Wenigkeit stand daneben und wusste nicht was sie tun sollte. Diese Entscheidung wurde mir dann abgenommen, als eine Horde männlicher Ombré dazustürzte. Sie entlasteten die Mädchen und schienen gewinnen zu können. Niemand hatte damit gerechnet, doch es ertönte ein lauter Knall, der zuerst von allen ignoriert wurde, aber dann schrie jemand und das klang so qualvoll, dass einen Augenblick alle Schwerter verstummten bis es weiterging. Es schien irgendein Zeichen gegeben zu haben, denn die Iram Vindicem ließen vom Kampf ab und zogen sich in die düsteren Gassen zurück. Grabesstille nahm den Weg ein auf dem wir standen, nur durchbrochen von dem leises Stöhnen eines Mädchens. Unter ihr breitete sich eine Blutlache aus, und in ihrem Bauch klaffte ein Loch. Man hatte auf sie geschossen, das war auch der Knall gewesen! Und nun kamen sie von zwei Seiten. Vermummte Männer mit erhobenen Pistolen kamen auf die Gruppe zu. Diese waren aber zu tapfer und lebten vermutlich schon zu lange hier um sich davon beeindrucken zu lassen. Sie rannten auf die Männer zu und kämpften ziemlich mutig wenn man mich fragte. Der eine richtete die Pistole auf den Jungen, der zurückgeblieben war um der verletzten Ombré die Hand zu halten und da wurde mir klar, wofür ich in diesem Traum gelandet war. Mal ganz abgesehen davon, dass ich aufwachen wollte, auf diese Art und Weise rettete ich ein Leben. Der Schuss kam, die Schmerzen auch.
Doch der Schmerz war mir bekannt und so lag ich ganz still auf dem Boden, bis die Welt um mich herum zu flimmern begann und ich endlich aufwachen durfte.

"Hallo? Erde an kleine Schwester! Du musst aufwachen." Langsam öffnete ich die Augen. "Ethan. Was willst du so früh morgens hier?" "Dich aufwecken. Und du hast einen Schlaf wie eine Tote." Mein Bruderherz! "Ach, verzieh dich." "Aber in einer halben Stunde fängt die Schule an. Ich dachte du willst vielleicht gerne mit mir hinfahren. Aber dafür müsstest du jetzt aufstehen." Sofort sprang ich aus meinem Bett auf. "Ja, klar, warte bitte." Ich ließ ihn einfach stehen und rannte ins Bad.

"So, und freust du dich schon auf heute Abend?" "Sicher." Ethan wurde leicht rot und ich wusste nicht, was ich weiter sagen sollte. "Und du deckst mich wirklich?" "Ja, versprochen." Ich musste zurückgrinsen. "Als ob ich meinen eigenen Bruder und meine beste Freundin verraten würde." "Ach, bei dir weiß man nie." "Spinner!" Mit diesen Worten stieg ich aus. Sofort kam Scarlett auf mich zu und freute sich, dass wir zusammen gekommen waren und nicht mehr zerstritten waren, sie plapperte die ganze Zeit irgendeinen Mist vor sich hin und mied den heutigen Abend ziemlich konsequent. "Und du freust dich nicht auf heute Abend?", unterbrach ich sie irgendwann als es mir zu blöd wurde, was sie zum Schweigen brachte. Mit großen Augen sah meine beste Freundin mich an. "Du weißt davon?" "Ethan ist mein großer Bruder und im Gegensatz zu deinen sind unsere Eltern heute zu Hause." "Ach so", Scarlett grinste, "also bist du sein Alibi." "Ja, so was in der Art." "Also, ich freue mich tatsächlich. Aber ich weiß noch nicht was ich anziehen soll." Ihre Augen wurden riesig, "Evelynn! Ich weiß ja noch gar nicht was ich anziehen soll!" Mein Lachen konnte ich mir nur schwer verkneifen, "Ernsthaft? Was musst du da lachen? Das ist ein ernsthaftes Problem!", ein paar noch auf dem Schulhof stehende Schüler drehten sich zu uns um, "Du musst mit mir nach Hause kommen und mir helfen. Bitte!" "Das geht nicht. Ich bin schon mit Robin verabredet." "Ach Evelynn! Ich bin deine beste Freundin und ich brauche Unterstützung. Habe ich da nicht oberste Priorität?" "Normalerweise schon, aber ich bin am Samstag durch eine Prüfung gerasselt und muss das hinkriegen. Schick mir doch einfach Bilder." Leise murrend stimmte sie zu. "Ach ja, was ist eigentlich mit Taylor? Man hört ja gar nichts mehr von ihm." "Was soll mit ihm sein?" "Also seid ihr immernoch zusammen und er lebt?" "Jaha. Natürlich." "Puh, ich hab mir schon Sorgen gemacht."

Mein Lachen brach einfach aus mir heraus und schon war ich nicht mehr Kampffähig. Robins Lache war einfach ansteckend. Anscheinend sah ich ziemlich lustig aus. "Du bist gemein! Außerdem hast du mich in dieses Outfit gesteckt! Und dazu kommt noch, dass du das gleiche anhast und ich dich nicht ausgelacht habe." Robin hatte uns beide ziemlich gut ausgepolstert, weil er meinte, dass ich Hemmungen hätte ihn zu schlagen und deswegen auch nichts lernen könne. Und jetzt stand ich hier mit einer schusssicheren Weste und einer Skihose. Außerdem eine Mütze und einen Schal, was ich ziemlich übertrieben fand. Allerdings half es tatsächlich, denn ich war wesentlich besser. Absolut affig, dass ich tatsächlich Hemmungen hatte unschuldige Ombré anzugreifen. Okay, unschuldig war das falsche Wort für einen Ombré. Robin hatte mir selbst gesagt, dass er schon einen Menschen getötet hatte.
In der Pause bekam ich geschätzte 100 Bilder mit verschiedenen Outfits geschickt von denen ich ihr meine fünf Favouriten zurücksendete.

"Okay, du darfst gehen. Schönen Abend dir." "Danke Robin. Dir auch." Kurz umarmte ich ihn noch bevor ich ging.
Zu Hause traf ich auf den gerade aufbrechenden Ethan, er hatte ein wirklich dämliches Grinsen auf dem Gesicht und wirkte glücklich. Meine Güte, die beiden waren aber auch verliebt! Schnell umarmte ich ihn noch einmal, dann begab ich mich in mein Zimmer und schrieb mit Taylor. Er erzählte mir von seinem Tag und sagte, wie beschäftigt er im Moment sei. Da musste ich an Scarlett und Ethan denken und daran, wie glücklich sie sein konnten beide noch in die Schule zu gehen. Ethan war zwar so gut wie fertig, aber dennoch hatte er keinen 24 Stunden Job. So kam mir Taylor nämlich manchmal vor. Nichtsdestotrotz wollte ich natürlich mit ihm zusammen bleiben, schließlich war er so oft bei mir wie es ging, und ich selbst hatte auch Schuld an der wenigen Zeit. Mein Training und die Schule und die gelegentlichen Besuche bei Dwyer förderten unsere Treffen schließlich nicht wirklich.


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