31. Kapitel

37 6 0
                                    

"Vor zehn Jahren gab es in New Orleans einen Freizeitpark, der dann aber wegen einer zu geringen Anzahl an Besuchern geschlossen wurde. Die Hauptattraktion war das große Riesenrad, mit dem man einen Blick bis aufs Meer hatte. Aber auch mehrere Achterbahnen und ein großes Restaurantangebot hatte den Freizeitpark bei den Anwohnern von New Orleans bis dahin sehr beliebt gemacht. Heute wird das große Gelände von einer Privatfirma als Hauptsitz benutzt, die größeren Geräte wie zum Beispiel das Riesenrad sind allerdings noch an Ort und Stelle. Ab und zu verirrt sich noch ein Tourist dorthin, aber ansonsten ist es ruhig geworden um die einst größte Attraktion von New Orleans", Taylor las mir den ganzen Artikel vor, obwohl ich das auch sehr gut selbst hätte tun können. Es gefiel mir aber, seine Stimme so ruhig zu hören. "Na dann auf. Jetzt können wir doch schon wieder los oder? Es ist doch schon wieder hell. Wir gehen jetzt direkt dahin!" "Evelynn, was hältst du denn davon, dass wir erstmal was essen gehen? Hier gibts bestimmt Frühstücksbuffet." "Ja aber-" "Ohne Essen sind wir nicht stark genug. Du sagst doch selbst, dass dort Iram Vindicem sind. Und wie willst du gegen die ankommen, wenn du schwach bist? Unausgeschlafen bist du ja schonmal. Du brauchst Kraft. Wir gehen jetzt Frühstücken. Und dann ziehen wir los. Und dieses Mal nehmen wir Lysander mit. Ich denke wir können jede Hilfe gebrachen." Widerwillig ließ ich mich von ihm zum Frühstück mitschleppen.

Ich war satt, pappsatt. Mein Bauch war überfüllt und ich fühlte mich träge. So war ich bestimmt auch nicht fitter als vorher. "Können wir jetzt los. Die haben meinen Bruder." "Ja, wir gehen jetzt. Hast du die Dolche?" "Natürlich." Zudem trug ich meine Uniform, die ich eigentlich nur so mitgeschleppt hatte. Jetzt gaben mir die Lederjacke und die Stiefel ein Gefühl von Sicherheit, denn ich hatte Angst. Angst vor den Iram Vindicem, denn dieses Mal würde ich mich selbst retten müssen. Ich vermutete, dass keine Evangeline kommen würde um mich zu retten. Ich stand auf und marschierte aus dem Restaurant unseres Hotels. Dann lief ich zügigen Schrittes nach draußen. Zu Fuß konnten wir nicht gehen, dafür war der Weg zu weit, aber ein Taxi wollten wir auch nicht holen, der Taxifahrer hätte dann eventuell etwas mitbekommen können. Also suchten wir nach der nächsten Bushaltestelle und stiegen dann einen Kilometer vor unserem eigentlichen Ziel aus. Den restlichen Weg ließen wir schnell hinter uns.
Vor einem hohen Zaun waren wir gezwungen stehen zu bleiben. Es war nur eine leichte Sicherung, immerhin konnte diese Sekte sich sehr gut selbst verteidigen. Zuerst mussten wir eine Weile am Stahlgitter entlang gehen, aber schließlich fanden wir ein Tor, das zwar mit Ketten gesichert war, Taylor aber ohne Probleme so weit aufschieben konnte, dass wir drei durch die entstandene Lücke auf Gelände schlüpfen konnten. Lysander spazierte einfch aufrecht durch das Tor, aber bei Taylor und mir waren einige Verrenkungen nötig, bis wir den ehemaligen Freizeitpark betreten konnten.  Wie man bei einem Freizeitpark erwarten konnte, war es ein sehr weitläufiges Gebiet und in der Ferne konnte ich neben dem Riesenrad eine ziemlich große Halle erkennen. Da musste es sein! Taylor und Lysander waren mir plötzlich völlig egal und ich rannte nur noch auf die Halle zu, so lange, bis Taylor mich von hinten packte und aufhielt. "Sag mal bist du völlig verrückt?! Wir sind vermutlich drauf und dran ins Hauptquartier der Iram Vindicem zu spazieren und du rennst einfach los? Spinnst du?" "Sorry", ich beruhigte mich langsam, obwohl das viele Rennen dafür gesorgt hatte, dass ich ziemlich laut am Keuchen war. Taylor atmete völlig ruhig, er hatte ja aber auch mehr Übung als ich. "War wohl einfach eine Kurzschlussreaktion." "Ja, das denke ich auch." "Na, dann ab rein. Auf in die Höhle des Löwen."

Es war genau wie in meinem Traum, die Tür war ziemlich schwer und ich musste mich mit meinem gesamten Gewicht an sie hängen, um sie einen Spalt breit aufzubekommen. Taylor half mir und schließlich konnten wir ohne Probleme eintreten. Dann stellte sich uns aber ein Problem in den Weg, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Zwei Iram Vindicem traten vor uns -sie hatten vermutlich am Eingang wache halten müssen- und griffen an ohne zu zögern. Sie trugen keine Pistolen bei sich, also kamen meine Kampfkünste endlich mal zum Einsatz. Es tat weh, als er mich mit seiner Faust traf, aber ich dachte daran, dass ich meinen Bruder noch heute wiedersehen würde und das verschaffte mir die notwendige Motivation um weiterzukämpfen. Als Taylor seinen erledigt hatte, wollte er mir zu Hilfe kommen, aber wie sich herausstellte, war das gar nicht nötig. Mit einem gezielten Schlag meinerseits ging der Iram Vindicem K.O. "Wow, ich bin stolz auf dich. Aber jetzt komm, schnell weiter." Anders als in meinem Traum, führte nicht ein Gang geradeaus zur Halle, sondern mehrere verwinkelte Gänge. Es dauerte wesentlich länger, und jedes Mal, wenn ich glaubte angekommen zu sein, führte ein weiterer Gang seitlich ab und wir mussten ihm folgen. So langsam hatte ich das Gefühl, keine Ahnung mehr zu haben, wo wir hergekommen waren. Und ich wusste, dass ich alleine nicht mehr hier rausfinden würde. Vielleicht hatten wir uns schon heillos verlaufen und würden hier nie mehr rausfinden? "Leise fragte ich Taylor, ob er noch eine Ahnung hätte, wo wir waren, doch mein Freund runzelte nur die Stirn und schüttelte den Kopf. "Keinen blassen Schimmer." Lysander schaltete sich in unser Gespräch ein: "Also ich bin mir sicher, dass das hier wie ein Labyrinth aufgebaut ist. In der Mitte befindet sich dann die Halle, von der du geträumt hast." "Und woher willst du das wissen?", zischte ich. "Das spüre ich einfach. Aber ich bin mir sicher", der kleine Goblin wirkte ernst, nicht so leichtsinnig wie sonst, also glaubte ich ihm. "Müssen wir dann nicht einfach nur immer rechts gehen?" "Nein, das ist eine Möglichkeit um wieder beim Ausgangspunkt zu landen. Die Mitte findest du dabei nicht zwanghaft." "So ein Mist. Und was machen wir jetzt?" "Ausprobieren. Lysander? Wenn du spürst, dass das hier ein Labyrinth ist, spürst du vielleicht auch, wo die Mitte ist?", Taylor lächelte leicht spöttisch, so recht glauben schien er Lysander nicht zu können. "Nein, das nicht, aber ich höre ziemlich viele Iram Vindicem, darum gehe ich davon aus, dass dort die Mitte ist." "Wie meinst du das?" "Ich höre. Mit meinen Ohren. Wenn ihr Mal leise wärt und lauschen würdet, könntet ihr die auch hören." Also waren wir drei vollkommen still, und tatsächlich: Ich hört leise Stimmen und Schritte, die von den Wänden hallten. "Na dann los!" Wir eilten den Gang entlang und mussten gar nicht mehr lange suchen, bis wir vor einer weiteren Tür standen. In der Mitte der Tür befand sich eine Glasscheibe und ich spähte vorsichtig durch sie hindurch. Dabei versucht ich meinen Bruder zu finden. Die Tatsache, dass ich ihm so nah war, ließ mich euphorisch grinsen. Das Gespräch im Innern der Halle bekam ich nur so am Rande mit:
"Wir müssen sie unbedingt schnappen. Sie ist eine größere Gefahr als alles andere." "Ja, das stimmt. Wenn sie will und sich mit Ihr zusammentuen sollte, dann kann sie unsere gesamte Gemeinschaft vernichten!" "Ich bin auch dafür, sie gefangen zu nehmen. Obwohl sie sich im Moment sehr zurückzuhalten scheint. Ich jedenfalls habe schon lange nichts mehr von ihr gehört." "Ja, du Idiot. Das liegt aber daran, dass sie nicht bei ihrem kleinen "Freund" ist, der uns sonst immer mit Informationen füttert." "Ja, da magst du wohl recht haben. In der letzten Nachricht, die gekommen ist, stand nur, dass sie jetzt irgendwo in der Weltgeschichte herumreist." Ein höhnisches Lachen folgte.

Moment mal? Sprachen die etwa von mir? Es schien so, und dann hatte ich keine guten Chancen, sollten sie mich in die Finger kriegen. Und wie es aussah würden sie das, denn ich konnte nicht unbemerkt in die Halle, so viel stand fest. Ratlos drehte ich mich zu Taylor um, der mittlerweile auch durch die Tür spähte. Bis jetzt hatte ich meinen Bruder nicht entdecken können, also ließ ich meinen Blick noch einmal durch den gesamten Raum schweifen.
Und dann traf mich die Erkenntnis, die mein Gehirn vernebelte und Denken für mich unmöglich machte: Er war nicht hier. Sie hatten meinen Bruder gar nicht hierher gebracht, sondern mich nur mit dem Traum in eine Falle locken wollen. Er war nicht hier. Ethan war nicht hier. Etwas anderes konnte ich nicht mehr denken. Stille Tränen mir über die Wangen und vor lauter Enttäuschung fiel es mir schwer zu atmen. Taylor musste auch verstanden haben, denn er streichelte mir sanft den Rücken. "Ich denke wir sollten abhauen. Dein Bruder ist nicht hier."
"Ich denke, dafür ist es zu spät." Wir schreckten beide hoch, die Stimme kam mir bekannt vor. Unbemerkt hatten sich zwei Iram Vindicem angeschlichen und standen jetzt mit gezückten Schwertern direkt vor uns.

HexenjagdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt