11. Kapitel

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"Und du bist sicher, dass der Traum von dem Iram Vindicem kommen muss und er nicht nur eine Ausgeburt deiner Fantasie war?" Taylors Stirn war zu Falten zusammengezogen und er wirkte immer besorgter. Ich saß an ihn gelehnt auf dem Bett und dachte über meinen Traum nach. Hatte ich mir alles nur ausgedacht? Das wäre unglaublich beruhigend, wirklich. "Weißt du, ich denke, solange es nur einmal passiert solltest du es ignorieren." Es wunderte mich, dass Taylor so gelassen blieb und nicht überbesorgt war wie sonst. Man merkte, dass er es nicht gut fand was ich träumte und das er mich wegen dem Kram, den ich gesehen hatte, bemitleidete. Eigentlich wollte ich das nicht, aber im Moment brauchte ich einfach Ruhe, weswegen ich auch nicht zickig wurde, sondern nur mit den Schultern zuckte. "Aber dann hätte Evangeline doch nicht so reagiert oder? Sie wäre genauso gelassen geblieben und wäre nicht besorgt gewesen. Sie war ziemlich beschäftigt und trotzdem meinte sie, wenn es nochmal passiert solle ich mich sofort bei ihr melden." "Punkt für dich. Vielleicht weiß sie ja etwas, was wir noch nicht wissen. Vielleicht gibt es noch andere Wesen auf dieser Welt, die dir diese Träume schicken können. Vielleicht hat irgendein anderer Ombré es auf dich abgesehen." Da war er wieder, der überbesorgte Taylor wie ich ihn kannte und liebte. "Hör mal, ich muss jetzt zum Training. Ich hab eine Privatstunde bei Robin um die anderen einzuholen." "Und das macht er freiwillig?" "Stell dir vor, ja das macht er tatsächlich. Seit diesem Essen letztens ist er immer netter geworden. Mittlerweile mag ich ihn schon fast." "Cool, immerhin merkst du, dass er nicht so schlimm ist wie du immer dachtest." "Ja, ich muss jetzt mal gehen. Wir sehen uns später. Übrigens, diese kleinen Goblins hier scheinen mich alle wirklich zu hassen." "Ach, die kriegen sich garantiert wieder ein. Müssen sie ja irgendwie. Immerhin sind sie hier so etwas wie Bedienstete." "Ach quatsch, so blind wie du kannst selbst du nicht sein", ich lächelte, um ihm zu zeigen, dass ich es nicht böse meinte, "die werden hier genauso sehr geachtet wie du und ich." Auch er lachte jetzt, "Wir sehen und später." Dann küsste er mich zum Abschied und ich ging zum Training.

"Du musst härter zuschlagen. Das ist eine Puppe, der kannst du nicht wehtun." "Ich-weiß!", dieses Mal schlug ich härter zu, aber immer noch bewegte sich die Puppe kein Stück nach hinten. "Komm, an dem Ding hast du doch irgendwas präpariert. Die wäre schon längst umgeflogen wenn du da nichts verändert hättest." Robin lachte, "Okay, du hast mich erwischt." Er grinste und bückte sich um irgendwas an der Puppe zu verstellen. "So, dann versuch es jetzt nochmal." Ich riss meine Hand nach vorne und mein Schlag drückte die Puppe nach hinten. Worüber ich vorher allerdings nicht gedacht hatte war, dass diese Puppe natürlich wieder zurück kam und nach vorne schnellte. Damit warf sie mich auf den Boden und ich blieb halb lachend, halb weinend liegen. Scheiß Puppen! Ich kämpfte definitiv lieber mit realen Menschen. Auch Robin konnte sich mittlerweile nicht mehr halten vor lachen und war kurz davor sich auf dem Boden zu kugeln. "Jetzt hilf mir hoch du Idiot!" Ich streckte ihm meine Hände hin und er zog mich hoch. "Dann mal weiter. Fußkick. Dieses Mal versuchst du mich zu treffen. Aber die Betonung liegt auf 'du versuchst'."

"Und? Wie war's?", Taylor war nach unten gekommen, denn ich hatte Evangeline darum gebeten, noch in Brownsville zu Abend essen zu dürfen da mein Vater mit der restlichen Familie auf die Keys zu einem Geschäftsessen gefahren war und ich keine Lust dazu hatte, Rileys Eltern über den Weg zu laufen. Meine Erlebnisse gerade halfen mir so sehr beim Vergessen, dass ich die Erinnerungen, die dort aufkommen würden, nicht wollte. Evangeline hatte natürlich zugestimmt.
 "Ach, mir hat es ziemlich Spaß gemacht, aber ich hoffe in Zukunft noch besser zu werden." "Soweit ich von Robin gehört habe machst du ja schon große Fortschritte." "Ach wirklich? Was hat er denn so über mich gesagt?" "Im Grunde nicht viel. Er meinte nur, deine Unfähigkeit sei doch nicht so groß wie er bisher gedacht hatte." "Wie nett." Taylor ließ diesen Kommentar unerwidert und gemeinsam spazierten wir nach unten in den Speisesaal. Auf dem Weg kamen wir an einem kleinen Goblins vorbei und ich versuchte mutig ihn anzulächeln, aber es funktionierte einfach nicht. Er starrte finster drein, so wie zuvor.

Beim Essen saß Robin uns gegenüber und ich unterhielt mich mit ihm über das heutige Training. Er schien wirklich davon überzeugt, dass ich Fortschritte machte und war ziemlich positiv gestimmt. Er lachte viel mit mir und die Unterhaltung beinhaltete keine peinlichen Pausen. Taylor hatte sich mit einem anderen Ombré, dessen Name ich nicht kannte, unterhalten . Er schien mir aber ziemlich nett und ich war froh, dass Taylor sich auch hier Freunde suchte. Schließlich wohnte er hier den ganzen Tag, da sollte ich eigentlich nicht mehr bekannte hier haben als er. Ich vermutete zwar, dass ich nicht besonders viel mitbekam von dem,  was er hier tat, aber so wie es aussah knüpfte er Kontakte.
Als ich gerade wieder ziemlich laut lachte, da Robin mir eine Geschichte über einen ehemaligen Schüler erzählt hatte, sah Taylor zu mir herüber. Ich lächelte ihn an, aber sein gewohntes Grinsen kam ein paar Sekunden zu spät. War er irgendwie sauer weil ich beim Essen nicht wirklich viel mit ihm geredet hatte? Oder hatte er nur ein bisschen überlangsam geschaltet?  "Evelynn? Noch da? Ich hab dich gefragt was du morgen machst." Ich blinzelte und sah Robin an. "Was?! Ach so, ehh, ich denke ich werde mal wieder etwas mit Scarlett und Zoe unternehmen nachdem ich bei meinem Psychologen war." "Was wollt ihr machen?" "Wir wollten ins Kino gehen und Zoe muss sich noch irgendwo ein Kleid besorgen. Ich denke ich wird ihr ein bisschen dabei helfen." "Richtiger Menschenkram also?" Wieder musste ich lachen. "Ja, kann man so sagen." "Wie geht's dir eigentlich? Also weil du ja immer noch zu diesem Typen musst." "Ach, es wird besser. Ich denke ich muss bald vielleicht nur noch einmal die Woche dahin. Zumindest hoffe ich es."

Zoe kam aus der Umkleidekabine und Scarlett pfiff durch die Zähne. "Das sieht einfach fantastisch aus! Ich sag's doch. ich bin die perfekte Stylingberaterin. Vielleicht sollte ich das später zum Beruf machen. Oder nein! Ich hab die Idee! Ich breche einfach die Schule ab und fang jetzt damit an. Als ob dieser Unterricht was bringen würde." Zoe sah zu mir herüber und ich sah zurück. Kurz versuchten wir ernst zu bleiben, aber dann brach es aus uns heraus. Wir bekamen einen fürchterlichen Lachanfall und nachdem Scarlett daran gescheitert war empört zu gucken, lachte auch sie mit. Danach runzelte Zoe die Stirn. "Mhh, ich weiß nicht. Meinst du nicht, dass dieses Kleid ein bisschen zu freizügig ist. Du weißt doch, das ist nicht so meins." Nun mischte ich mich ein. "Quatsch, das Kleid ist toll. Es steht dir unglaublich gut. Zauberhaft siehst du aus." Und das stimmte. Das von Scarlett ausgesuchte Kleid war blassblau und verlief nach unten hin in ein nachthimmelblau. Am Rücken hatte es eine größere Aussparung und wirklich lang war es auch nicht. Das störte Zoe vermutlich ein bisschen. Ihre Wangen  hatten mittlerweile einen leichten Rosaton angenommen. "Gut, wenn ihr meint, dann nehm ich es. Wir machten uns auf den zur Kasse und ich musste grinsen. Zoe und Scarlett waren so furchtbar unterschiedlich: Die eine mochte Mode, der anderen war das tägliche Auswählen ihrer Outfits schon zu viel. Scarlett war aufgeweckt, laut und redete furchtbar gern, Zoe war still, schüchtern und hörte lieber zu. Ich kannte Scarlett länger, aber dafür, dass ich bisher eher weniger mit ihr zu tun hatte, mochte ich Zoe fast genauso gerne. In diesem Moment dachte ich, wie froh ich darüber sein konnte, dass ich die Beiden hatte.

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