9. Kapitel

87 10 0
                                    

Celeste beruhigte mein Gewissen nachdem ich ihr von der Geschichte erzählt hatte. „Ach was, der wollte nur eine Show abziehen. Was er gesagt hat stimmt zwar, aber er leidet da im Moment nicht mehr so drunter. Der wollte dir ein schlechtes Gewissen machen." Aber da war ich mir nicht so sicher.

Taylor stieß einen seltsamen Laut aus und bohrte seine Holzwaffe in die Brust der Puppe. Normalerweise hatte ich keine Zeit um ihm beim Training zuzugucken, aber heute war Freitagabend und er hatte mich von zu Hause abgeholt. Meine Mom war allerdings erst zu beruhigen gewesen, als er ihr versichert hatte, dass er gut auf mich aufpassen und mich morgen Abend wieder zurückbringen würde. Wir hatten ihr erzählt, dass ich mein Zimmer an der Akademie mal ausprobieren wollte, aber in Wirklichkeit schlief ich viel lieber bei Taylor. Mom war es aber mittlerweile offenbar egal ob ich mit Taylor in einem Bett schlief oder nicht.

Mein Freund hörte auf zu trainieren und kam zu mir herüber. "Wird das nicht langweilig für dich?" "Och, ich bin froh hier zu sein und nicht alleine zu Hause in meinem Zimmer. Außerdem bist du ja hier." „Ja, das macht ja alles besser. Hör mal, geh doch besser zu den anderen Ombré. Ich muss gleich nochmal weg." „Willst du mich loswerden?" „Nein, Evelynn. Ich bin doch später wieder da, aber auch wenn du es zu vergessen scheinst, habe ich eine Arbeit zu erledigen." Er grinste, da es anscheinend ziemlich offensichtlich war, dass ich nicht wollte, dass er um diese Uhrzeit noch vor die Tür ging. Denn auch wenn er ein Teil der Schweizer Garde war, waren wir hier immer noch in Miami. Und in Miami waren Mörder, Dealer und leider auch Sektenmitglieder täglich unterwegs. „Mir wird schon nichts passieren. Wir sehen uns später." Taylor küsste mich und ließ mich allein im Trainingsraum zurück. Ich seufzte und erhob mich von der Matte auf der ich bisher gesessen hatte. Das war eigentlich nicht wirklich meine Abendplanung gewesen. Aber unten bei den Ombré würde es sicher auch lustig werden. Bisher hatte ich mit fast niemandem länger als fünf Minuten geredet, nur Celeste und Robin waren Ausnahmen. Und mit Robin hatte ich meistens bissige Bemerkungen getauscht. Unten setzte ich mich in einen Sessel und beobachtete die anderen. Zwei Mädchen, deren Namen ich nicht kannte, saßen direkt am Kamin und tratschten über irgendwelche Bilder, die sie sich gegenseitig auf dem Handy zeigten. Die Jungs verhielten sich ziemlich kindisch, vermutlich hielten sie es allerdings für cool, und machten sich vor den Mädchen zum Affen. Das war auch bei Ombré nicht anders. Evangeline saß in einer Ecke und hielt ein ziemlich dickes Buch in der Hand. Hätte nur noch eine Zauberkugel gefehlt, dann wäre das Bild der klassischen Hexe perfekt. Mangels besserer Möglichkeiten ging ich zu ihr und setzte mich neben sie. „Hallo Evelynn. Wie geht es dir?" „Gut. Darf ich mal was fragen?" „Aber immer doch." „Warum unterrichten sie uns nicht? Warum muss Robin das machen?" „Das ist doch logisch. Ich bin alt und habe nicht mehr die Kondition dazu. Außerdem habe ich wichtige Dinge zu erledigen, die meine volle Aufmerksamkeit erfordern. Also habe ich Robin -der mindestens genauso gut kämpfen kann wie ich- damit beauftragt." „Was für wichtige Dinge?" Meine Neugier war geweckt. Mit fiel auf, dass ich mich bisher überhaupt nicht darum gekümmert hatte, was Evangeline in der Zeit tat, in der sie nicht bei uns anderen war. „Alles zu seiner Zeit Evelynn. Alles zu seiner Zeit." Vermutlich war ich ihr zu Nahe getreten, aber sie schien nicht beleidigt, eher amüsiert.

Die Wochen vergingen schnell und jede verlief genau gleich ab. In der Schule lief ich mit Zoe und manchmal mit Scarlett herum. Dies führte allerdings dazu, dass auch Ethan und David bei uns saßen und die beiden nervten mich bis auf die Knochen. Manchmal ließen sie beleidigende Bemerkungen los die schon fast an Mobbing grenzten und manchmal behandelten sie mich wie eine schwer gestörte Person. Okay, das war ich ja vielleicht auch, aber diese Art von Mitleid war ätzend, vor allem wenn sie von meinem Bruder kam. Mein Probemonat war mittlerweile vorbei und meine Eltern hatten einem dauerhaften besuch der „Kampfschule" zugestimmt. Heute war allerdings ein leidiger Montag, was hieß, dass ich zu Morrison musste.

HexenjagdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt