30. Kapitel

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"Was steht denn jetzt drin?", niemand vor dem Museum hatte uns bemerkt oder in irgendeiner Weise als Einbrecher identifiziert, also waren wir abgehauen und zu unserem Hotel zurückgekehrt. Dort saßen wir jetzt in unserem Zimmer auf dem Bett, hatten Lysander gerade die ganze Geschichte erzählt und wollten den Hinweis jetzt öffnen, Lysander war wohl der Neugierigste von uns dreien. Taylor und ich waren beide so müde, dass uns im Moment eigentlich gar nichts mehr interessierte. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es mittlerweile drei Uhr nachts war. Kein Wunder, dass mir da die Augen immer wieder zufielen. Jedes Mal musste ich mich dann daran erinnern, wie man sie wieder öffnete. "Jetzt mach schon", Lysander war ganz hibbelig, er war ja auch nicht in ein Museum eingebrochen. Warum eigentlich nicht? Hätte er das für uns übernommen, dann wäre er jetzt mal hundemüde und wir würden ihn stören. Wobei, wir sprachen hier von Lysander, also vermutlich nicht. "Ich bin auch dafür, dass du das Teil jetzt endlich öffnest, dann kann ich nämlich endlich pennen." Taylor grinste müde. Also faltete ich das Papier auseinander, es war in meiner Hosentasche ganz schon geknüllt worden:

Bleibe noch in New Orleans, im östlichen Teil der Stadt gibt es ein Riesenrad. Dort musst du suchen, doch wird dir das, was du vorfinden wirst vermutlich nicht gefallen.
Du kommst immer näher. Aber wir kommen dir ebenfalls näher.

"Das ist ja mal ein direkter Hinweis. Das gefällt mir. Ich würde sagen, wir gucken morgen früh direkt mal nach, wo es hier ein Riesenrad gibt. Da ist der Bereich in dem wir suchen müssen ja auch ziemlich eingeschränkt", ich musste lächeln. Jetzt konnte ich endlich schlafen. Und dieses Mal musste ich mir noch nicht einmal Sorgen darum machen, dass wir morgen ein blödes Rätsel lösen mussten um unsere Reise ins Ungewisse fortzusetzen. Ich wusste einfach, was zu tun war. Und das war für mich eine wilkommene Abwechslung.

Warum konnte ich nicht einmal eine Nacht in Frieden durchschlafen? Warum musste ich immer träumen?  Ich befand mich direkt vor einer Tür, die aus stabilem Metall zu bestehen schien. Als ich mich umdrehte um nachzusehen, ob mir die andere Richtung mehr nutzen bringen könnte, verschwamm alles vor meinen Augen und ich sank langsam zu Boden. Also kroch ich solange halbblind herum, bis die Tür wieder vor mir lag. Sofort wurde alles wieder scharf und ich konnte aufstehen. Also musste ich ja wohl eintreten. Meine Hand drückte die Klinke herunter und ich musste mich mit meinem vollen Gewicht dagegenlehnen, um überhaupt etwas bewirken zu können. Ein schmaler Gang führte von der Tür weg, die Wände waren mit Metall verkleidet und alles wirkte sehr kalt und unfreundlich. Langsam folgte ich dem Gang, auch wenn ich nicht wirklich Lust hatte auf das, was mich erwartete. Der Gang wurde breiter und plötzlich stand ich in einer riesengroßen Lagerhalle. Hinten an der gegenüberliegenden Wand saß jemand. Sein Kopf war auf die Brust gesunken und es schien, als schliefe er, aber ich wusste ohne Zweifel, wer er war.
"Ethan!", rief ich und rannte los. Ich hatte vergessen, dass das hier alles nur ein Traum war, hatte vergessen, dass ich mich hier vermutlich in Gefahr begab. Und wenn ich mich erinnert hätte, dann wäre es mir egal gewesen. Zumindest Letzteres. Ich begann zu weinen. Die Freudentränen rannen mir über die Wangen und wollten nicht mehr aufhören zu fließen. Kurz bevor ich meinen Bruder erreichte, stoppte ich. Dann besah ich ihn mir noch einmal genauer: Er sah nicht gut aus. Er war dünn und sah erschöpft aus. Obwohl seine Augen geschlossen waren, konnte ich die Augenringe mehr als deutlich erkennen, als ich seinen Kopf sanft anhob. Ethan schien mich trotz der Berührung nicht zu bemerken, also schüttelte ich ihn leicht und, als er dann immernoch nicht reagierte, verpasste ich ihm eine leichte Ohrfeige. Es wirkte nicht. Er war furchtbar bleich und als er die Augen dann endlich aufschlug, waren sie ziemlich glasig. Und das Schlimmste war, sie blickten durch mich hindurch. Er erkannte mich nicht, das wusste ich. Allerdings waren seine Augen auf irgendetwas fixiert und so drehte ich mich langsam um. Ein Iram Vindicem kam auf ihn zu. Schnell stellte ich mich vor meinen Bruder, aber der Mann trat einfach durch mich hindurch. Und da fiel es mir wieder ein: Das hier war ein Traum und nicht echt. Es geschah zwar in diesem Moment, aber an einem anderen Ort, irgendwo auf dieser Welt. Und ich konnte nichts tun, als dieses Monster Ethan hochhob und ihm eine heftige Ohrfeige verpasste. "Willst du nicht endlich reden?", motzte er. Mein Bruder schüttelte trotzig seinen Kopf. Der Iram Vindicem schlug noch einmal zu, dieses Mal mit der Faust. Seine Finger waren hinterher blutig, aber es schien ihm egal zu sein. Ihm war nur wichtig, dass er meinen Bruder verletzte. Und das tat er: Als er ihn nun mit voller Wucht gegen die Wand schlug sah ich, wie ein roter Fleck auf der Wand zurückblieb und mein Bruder in sich zusammensackte. "ETHAN!" Ich schrie und sank neben ihm auf die Knie, aber nun konnte ich ihn nicht mehr berühren, es war, als hielte eine unsichtbare Wand mich davon ab. Das machte mich wütend, sie hielt mich von dem ab, was ich im Moment am dringendsten wollte. Und wie auf Befehl schien die Welt um mich herum wieder zu verschwimmen und ich merkte, dass ich bald aufwachen würde. Ich war mir nicht sicher, ob ich aufwachen wollte. Einerseits wollte ich bei Ethan bleiben, andererseits fiel es mir wahnsinnig schwer ihn so zu sehen. Die Entscheidung wurde mir abgenommen, als mal wieder alles schwarz wurde. Eine Stimme dröhnte laut in meinem Kopf: "Du kommst uns immer näher Evelynn. Nimm dich in Acht!" Ein stechender Schmerz durchzuckte mich und ich wachte auf.

Weinend schlug ich die Augen auf. Taylors Gesicht war über mir und sah panisch aus. Neben ihm stand Lysander: "Ich hab doch gesagt, wenn die so heulen kann, dann lebt die noch." Doch trotz meines leichten Schockzustands sah ich ihm an, dass auch er sich Sorgen gemacht hatte. "Taylor. Wir müssen uns beeilen. Ich hab von Ethan geträumt, da war Ethan und sie haben, und sie haben, sie haben ihn...", ein heftiges Schluchzen durchfuhr mich und ich konnte nicht fortfahren. Taylor nahm mich in die Arme und ich begann sein T-shirt zu durchnässen, "Pst, es wird schon alles gut. Aber du musst mir sagen, was du geträumt hast. Du hast also deinen Bruder gesehen und deiner Reaktion zufolge ist etwas Schreckliches passiert. Aber was denn? Haben sie ihm etwas angetan?" Ich nickte nur. "Oh nein, Evelynn, das tut mir so leid. Wir finden ihn sicher bald." Dann küsste er mich auf die Stirn und ich wusste, dass er Lysander einen ratlosen Blick zuwarf. Trotz meines Schluchzens versuchte ich, einen anständigen Satz zu bilden: "E,Er war in einer Lagerhalle. Bestimmt irgendwo bei dem Riesenrad. Taylor, jetzt finden wir ihn bald. Wir müssen uns beeilen. Kannst du den Computer nicht direkt anmachen? Schlafen kann ich jetzt eh nicht mehr." Wortlos löste Taylor sich von mir und tat, worum ich ihn gebeten hatte. Nach einer Weile krabbelte ich zu ihm und sah ihm über die Schulter. "Da, da ist ein Riesenrad. Und da steht eine große Halle daneben. Das muss es sein!", Taylor drehte den Kopf zu mir, "Dann lass uns mal nachsehen, wo genau das ist." "Das macht auch alles Sinn! Sie haben mir geschrieben, dass mir das, was ich vorfinden werde nicht gefallen wird. Sie haben meinen Bruder verletzt und wissen, dass mir das nicht gefällt. Das muss es sein. Wenn wir das Riesenrad finden, dann finden wir auch meinen Bruder." In meiner Stimme lag nicht so viel Freude, wie darin liegen sollte, denn im Moment war ich einfach nur eines: Verzweifelt.

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