2. 𝔅𝔢𝔰𝔠𝔥ü𝔱𝔷𝔢𝔯𝔦𝔫𝔰𝔱𝔦𝔫𝔨𝔱 𝔢𝔯𝔴𝔞𝔠𝔥𝔱

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An diesem schönen sonnigen Tag hatte auch Draco Malfoy nicht erwartet, dass etwas Merkwürdiges, Eigenartiges passieren würde. Doch auch bei ihm begann alles mit einem klitzekleinen Schlüssel, der in seiner Hosentasche auftauchte.

Er entdeckte ihn allerdings erst, als er sich abends seinen gepunkteten Pyjama anzog und die Hose über einen Stuhl in der Ecke seines Zimmers legen wollte. Da fühlte er einen Widerstand. Neugierig zog er den Gegenstand hinaus, doch als er einen winzigen silbernen Schlüssel erblickte, zuckte er nur mit den Schultern und steckte ihn wieder ein.

In der Nacht quälten ihn schreckliche Träume. Er rannte durch einen engen Gang, der immer enger zu werden schien. Die Wände links und rechts von ihm näherten sich schnell, schneller an. Draco stolperte in einem noch höheren Tempo auf das Ende des Ganges zu. Dort stand ein Stuhl, über deren Lehne eine Hose lag. Draco spürte ein mächtiges Verlangen, in die Hosentasche zu greifen und den Schlüssel herauszuzerren und diesen dann nie wieder loszulassen. Außerdem konnte ihn einzig und allein der Schlüssel retten. Die Wände engten ihn ein, rückten immer näher. Dracos Herz schlug so heftig, dass er befürchtete, es würde gleich platzen. Der Schlüssel! Er musste zum Schlüssel, um sein Leben, ja um sein Herz zu retten! Der Schlüssel war seine einzige Hoffnung. Er musste zum Schlüssel, er musste!

Ein Ruck fuhr durch Draco, als die Wand auf ihn einkrachte. Seine rechte Schulter und sein Rücken schmerzten. Sein Herz pochte immer noch, als würde es gleich zerspringen. Er würde sterben, wenn er nicht diesen Schlüssel in die Finger kriegte. Konnte man an Herzschmerz sterben? Draco befreite sich von der Last über ihn, hastete durch sein aufgeräumtes Zimmer zu dem Stuhl und griff nach der Jeanshose, die er gestern getragen hatte. Ohne vorher zu überlegen, was er tat, riss er die Tasche auf und zerrte den Schlüssel hervor. Dieser Schlüssel würde ihn davor bewahren, einsam und an Herzschmerz zu sterben. Der Schlüssel gehörte ihm und er gehörte zum Schlüssel. Er hielt ihn an seine Brust gedrückt, umschloss den Schlüssel mit seinen Händen, beschützte ihn.

Erst jetzt erkannte er, dass er aufgewacht war und sich sein Traum mit der Realität verschmolzen hatte. Er war geschlafwandelt, hatte gespürt, wo der Schlüssel auf ihn warten würde. Er war zu ihm gekrochen. Dabei hatte er seine Decke mitgezogen, die sein Nachttischchen umgestoßen hatte. Dieser war auf seiner Schulter und auf seinem Rücken gelandet. Mittlerweile war der Schmerz verebbt.

Plötzlich schien es, als würden sich smaragdgrüne Lettern von dem Schlüssel lösen. In der Luft direkt vor Dracos Nase fügten sie sich zu Wörtern und Sätzen zusammen.

HÜTE UND BESCHÜTZE MICH UND ICH BESCHÜTZE DICH. HÜTE UND BESCHÜTZE MICH NICHT UND ICH BESCHÜTZE DICH NICHT.

Draco wusste nicht ganz, was er damit anfangen sollte, doch ab dieser Sekunde war sein Beschützerinstinkt erwacht. Er passte auf den Schlüssel auf, ließ ihn nicht mehr aus den Augen, trug ihn die nächsten Stunden immer bei sich und achtete darauf, dass seine Eltern den Schlüssel nicht fanden. Er las sich die Zeilen tausendmal und öfter durch, seine Augen huschten immer wieder zu der Botschaft, bis sie sich schließlich auf einem Pergament verfestigte.

In der Nacht durchsuchte er seine Regale und Schränke. Schließlich fand er, wonach er sich gesehnt hatte. Er legte nun eine gefundene, silberne Kette um den Hals und schob sie unter seine Kleidung, an der der Schlüssel als Anhänger hing. Er trug den Schlüssel direkt über seinem Herzen, welches sich sofort beruhigte.

Draco strich wieder und wieder über das Pergament mit der Botschaft. Dann entschied er sich, jenes Blatt mit seiner Haut zu verschmelzen. Sein Vater hatte Draco schon in seiner Kindheit sehr viele, darunter auch manche nützlichen Zauber sowie Flüche beigebracht. Draco benutzte diese Zauber oft in allen möglichen Situationen, zum Beispiel wenn er etwas rasch verstecken musste, eignete sich ein Zauber besonders gut. Diesen wendete Draco nun an. Er  murmelte »commixtio«, tippte auf das Pergament und auf seinen Arm und das Pergament verband sich mit Dracos Haut. Die smaragdfarbenen Buchstaben leuchteten auf Dracos blasser Haut. Er zog sich ein langes Oberteil an und wartete. Er wünschte sich, noch einmal einzuschlafen, doch dafür brannte zu stark eine unaufhörliche Aufgeregtheit in ihm. Er fand einfach keine Ruhe.

Als er schließlich aufstand, um das Frühstück mit seinen Eltern einzunehmen, trug er immer noch den Pullover mit den langen Ärmeln. Die Sonne schien in sein sonst so tristes Zimmer hinein. Draco prüfte noch einmal die Zeit auf seiner Uhr und stieg dann die eleganten Mamortreppen hinab in das Esszimmer. In diesem großen Raum saßen seine Eltern und warteten schon auf ihn.

»Guten Morgen, Sohn«, meinte sein Vater.

»Guten Morgen, verehrter Vater. Guten Morgen, liebste Mutter.«

»Draco, was hast du da an?«, fragte Narzissa Malfoy mit hochgezogenen Augenbrauen.

Dracos Blick senkte sich kurz, um seine Klamotten zu erblicken, dann fanden seine Augen wieder die seiner Mutter.

»Ich trage einen Pullover und eine Jeanshose«, antwortete er.

»Aber es ist doch viel zu warm für einen Pullover. Schau bitte nach draußen und du wirst sehen, dass die Sonne scheint und dir viel zu warm sein wird.«

Draco zerbrach sich den Kopf, eine Ausrede zu erfinden, warum er bei diesem heißen Wetter ein langärmliges Oberteil angezogen hatte, ohne dabei zu verraten, dass Buchstaben auf seinem Arm prangten.

»Nun, ich werde mich selbstverständlich noch umziehen, sollte es mir zu warm werden.« 

Er lächelte vorsichtig, um seine Mutter zu beruhigen, aber nicht zu sehr. Er hatte schon als Kind gelernt, nicht zu stark zu lachen oder lächeln, nicht zu sehr zu weinen, nicht zu viel zu reden, sich nicht zu laut zu benehmen. Im Manor verhielt Draco sich ganz anders in Hogwarts und sprach anders als in dem Schloss. 

Manchmal war er dankbar für seine Erziehung, da er ausgezeichnete Manieren besaß, an anderen Tagen hasste er seine Eltern, das Manor und alles, was mit ihnen zu tun hatte, auch seine Erziehung. An diesen Tagen fühlte er sich eingeengt, seine Eltern drängten sich näher zu ihm, schlossen ihn ein, gaben ihm nicht genug Freiheit, nahmen ihm seine Individualität. Bisher hatte Draco keinen Ausweg zwischen diesen festen Wänden gesehen, doch jetzt erinnerte er sich an seinen Traum. Zwei Wände, die auf ihn zudrückten, seine Freiheit und seinen Platz in dieser Welt erstickten, doch in seinem Traum war ein Ausweg erschienen. Möglicherweise rettete der Schlüssel ihn vor seinen schrecklichen Eltern, die er hasste und liebte und schenkte ihm ein beruhigendes Leben in Freiheit, wo er sein konnte, wer er wollte.


𝔐𝔢𝔦𝔫 𝔖𝔠𝔥𝔩ü𝔰𝔰𝔢𝔩 𝔷𝔲 𝔡𝔢𝔦𝔫𝔢𝔪 ℌ𝔢𝔯𝔷𝔢𝔫 (Dramione)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt