21. Kapitel

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Narin Arslan POV

19:05 Uhr. Die Stille, die im Auto war, war lauter als das, was wir eigentlich sagen wollten. Ich schaute aus dem Fenster, es war recht kühl. Zu so einem Tag, würde auch nur solch ein Wetter passen. Meine Gedanken kreisten nur an einen Moment, nur an eine Person. Egal wie sehr man wollte, gab es Sachen im Leben, die man nie vergessen konnte, egal was passierte. Erinnerungen waren immer da und leider konnte man nichts rückgängig machen. Wenn ich meine Zukunft vorhersehen könnte oder mir mein Schicksal durchlesen könnte, es von oben betrachten könnte, dann würde ich meine Entscheidungen ganz bestimmt anders treffen. Mir selbst für alles die Schuld geben, das konnte ich am besten. Meine Wangen waren noch immer nass, aber mit dem Weinen hatte ich schon längst aufgehört. Nach einiger Zeit hielt der Wagen an, die Türen öffneten sich, die Jungs stiegen aus. Anschließend stieg ich aus. Unsere Blicke waren genauso leer wie der eine Platz im Auto, der eine Platz am Esstisch und der eine Platz im Büro. Jemand fehlte und wir konnten nichts ändern. Plötzlich schien das Haus noch riesiger als es war und stiller als je zuvor. Die Jungs teilten sich in ihren Zimmern auf; jeder brauchte jetzt seine Zeit. Ich folgte Enes, in so einem Moment wollte ich ihn nicht alleine lassen; egal ob zerstritten oder nicht. Er öffnete seine Tür und ließ sie für mich offen. Ich ging ihm hinterher, schloss die Tür und setzte mich auf das Bett. Währenddessen nahm er die Zigarettenschachtel, die auf dem Tisch lag und ging auf sein Balkon. Ich war mir sicher in der nächsten Zeit würde aus einer Schachtel viel mehr werden. Ich schaute zu wie er den giftigen Rauch ausstieß. Da er das Licht nicht angemacht hatte, sah ich nur die Umrisse seines Gesichtes. Er fing an seine zweite Zigarette zu rauchen. Seufzend stand ich auf und ging auf ihn zu. Er schaute gradeaus, als würde er dort etwas sehen, etwas sehr besonderes. Dabei schaute er nur ins Leere. Er bemerkte meine Blicke nicht, oder dass ich neben ihm stand, bis ich meine Finger an seine Zigarette setzte und diese aus seinem Mund nahm. Er sagte nichts. Er wehrte sich nicht. Ich nahm seine Hand und zog ihn mit mir ins Badezimmer, wo ich erstmal das Licht anmachte. Vor dem Spiegel stehend fing ich an das Oberteil von ihm aufzuknöpfen. Währenddessen stiegen mir die Tränen, aber ich bemühte mich nicht zu weinen. Das Hemd fiel von seinen Schultern runter, sodass er oberkörperfrei vor mir stand. Er hatte hier und da kleine Narben, die mit Blut übersehen waren. Es war aber nicht sein Blut, sondern die von seinem Engsten. Sogar an seinen Händen klebte das Blut seines Bruders, welche ich versuchte reinzuwaschen. Ich nahm von einer Schublade ein kleines Handtuch raus und machte es nass. Nach ungefähr fünf Minuten war ich dann fertig. Er hatte immer noch nichts gesagt. Zurück im Zimmer setzte er sich auf die Bettkante, während ich ihm ein neues Shirt aus seinem Schrank nahm. Als ich mich vor ihm stellte und ihm das Shirt vorhielt, reagierte er nicht darauf. Ich hatte ihn wirklich noch nie so gesehen wie jetzt; seine Reaktion war auch berechtigt. Deswegen versuchte ich ihm sein Shirt anzuziehen. Ich richtete es noch und fuhr mit meiner Hand durch seine weichen Haare. Meine Hand blieb an seiner kalten Wange stehen und plötzlich nahm er seine Hand und hielt meine. Er schloss seine Augen. Ich wusste er war innerlich am zerbrechen und ich wollte für ihn dasein. Ich stellte mich zwischen seinen Beinen und umarmte ihn. Es fühlte sich so an als würde die Zeit stehenbleiben, aber ich wusste ganz genau er würde von dieser Trance erwachen und in die kaltblütige Realität blicken. Enes und ich hatten wirklich Unterschiede, aber gleichzeitig waren wir uns so ähnlich. Ich wusste er hatte eine gute Beziehung zu seiner Familie und war nicht wirklich gewöhnt daran andere zu verlieren. Ich meine er ist Enes Meral, er verliert nie. Aber manchmal, finde ich, vergaß er selbst, dass er auch nur ein Mensch war. Umso mehr tat es mir leid; hätte ich das an erster Stelle nicht erwähnt, dann wären wir jetzt nicht in dieser Lage. Mir war bewusst, dass ein Teil der Jungs wirklich gebrochen wurde und ich fragte mich wann sie sich gewöhnen würden. Denn sowas vergaß man nie; ein Mensch vergisst nie. Entweder es lernt zu vergeben, nachzutragen oder zu tun als wäre alles gut, obwohl es nicht so ist, aber es vergisst nie. Man gewöhnt sich nur daran; dass es passiert ist und dass man es akzeptieren muss, um einigermaßen weitermachen zu können. Wann würden wir uns daran gewöhnen? Niemals vergessen, aber uns gewöhnen. Das war das Einzige, was uns übrig blieb.

güzelim. || mero ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt