Kapitel 10

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Kapitel 10

Die nächsten Tage trafen sich Henry und Toni wieder regelmäßig am Kaffeewagen, auch wenn das Wetter immer schlechter wurde. Die Temperaturen sanken, der Himmel wurde grauer und ein kalter Wind frischte vom Hudson her auf. Aber das hielt sie nicht davon ab, nach Henrys Vorlesung gemeinsam einen Kaffee zu trinken, durch den Park zu schlendern und zu reden. Etwa eine Woche nach Tonis Entschuldigung liefen sie gerade durch den Park, als sie von einem Platzregen überrascht wurden. Sie sprinteten über die Wege, bis sie den Washington Arch erreicht hatten, wo sie sich völlig durchnässt unterstellten. Toni strich sich die nassen Haare aus der Stirn und sah in den Himmel. „Das sieht nicht so aus, als ob es bald aufhören würde."

Henry schniefte und sah ebenfalls hinaus. „Nicht wirklich, nein." Seine blonden Haare waren durch den Sprint durch den Regen ganz zerzaust, und kleine Wassertröpfchen klebten an seinen Wimpern. Seine Haare kringelten sich leicht durch die Nässe und Toni fragte sich, wie es sich anfühlen würde, durch sie hindurch zu streichen. Sein Atem stockte in der Brust, als er Henry ansah. Ich kann es nicht glauben, dachte er, dass dieser wunderschöne Mann hier bei mir steht. Mit mir zusammen sein will. Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Henry hob die Augenbrauen. „Was ist?"

„Nichts", sagte Toni, verbarg sein Grinsen hinter seinem Kaffeebecher und drehte sich wieder zum Regen. Noch andere Parkbesucher hatten unter dem Arch Schutz gesucht, um sie herum wurden Jacken zugeknöpft, Köpfe geschüttelt und Taschentücher hervorgekramt. Wenn sie alleine gewesen wären, dachte Toni wehmütig, hätte dies ein richtig schöner Moment sein können. Nur sie beide, unter dem Arch, den prasselnden Regen als Hintergrundmusik. Aber dies war New York und hier war man nie irgendwo alleine. Toni wurde in dieser Auffassung nur bestätigt, als eine Gruppe von Touristen – erkennbar an ihren Turnschuhen, Rucksäcken und durchweichten Stadtplänen – lautstark diskutierend in den Schutz des Arch marschiert kam. Toni seufzte. Er stellte sich noch etwas dichter an die dicken Steinmauern und verschränkte die Arme vor der Brust. An seiner Seite sah Henry wieder hinaus in den grauen Himmel, bevor er auf seine Uhr sah.

„Ich muss langsam los", sagte er und sah Toni entschuldigend an. Seine blauen Augen blieben einen Moment an Tonis Mund hängen und er trat einen zögernden Schritt näher, doch dann drehte er sich wieder zum Regen. Henry hatte Tonis Worte wohl nicht vergessen, dass er in der Öffentlichkeit keine Gefühle zeigen wollte. Als Toni sah, wie Henry die Hände zu Fäusten ballte und in seine Hosentaschen steckte, unterdrückte er eine Welle von Bedauern. Anscheinend fiel es Henry genauso schwer wie ihm, seine Gefühle unterdrücken zu müssen. Wut stieg in Toni auf, auf sich selber, seinen Vater, die Mafia und ganz New York im Allgemeinen. Hier stand ein Mann der ihn mochte und er stieß ihn weg.

Er kannte Henry mittlerweile gut genug um zu wissen, dass Henry seine Gefühle immer offen zur Schau stellte, dass er sich nicht versteckte und keine Probleme damit hatte, zu sein wer er war. Dass Toni es ihm praktisch verboten hatte, seinen Gefühlen in der Öffentlichkeit Ausdruck zu verleihen, musste schwer für ihn sein. Toni stieß sich von der Wand ab und trat neben Henry, näher, als er es normalerweise getan hätte. Er drückte seine Schulter kurz an Henrys.

„Soll ich dich begleiten?"

Henry sah ihn an, gab ihm einen Schubs zurück, doch dann schüttelte er den Kopf. „In dem Regen? Du müsstest schwimmen, bis du bei deinem Auto bist. Außerdem würden deine schicken Schuhe ganz durchweichen." Er deute auf Tonis Lederschuhe, die er unter seiner dunkelblauen Stoffhose trug. Er hatte sich heute gegen einen Anzug und für dunkle Stoffhosen, ein weißes Hemd und einen beigen Cardigan unter seinem Mantel entschieden. Toni musste zugeben, dass der Regen seinem Outfit nicht guttun würde. Trotzdem sagte er: „Das macht mir nichts aus. In meinem Schrank stehen noch zehn andere Paar von diesen Schuhen." Er meinte es todernst, doch Henry lachte nur.

Corleone - Anthony & HenryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt