Kapitel 2

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Kapitel 2

Der nächste Tag war sonnig, angenehm warm und eine leichte Brise wehte durch die Straßen New Yorks. Toni hatte einen Termin mit einem der Caporegime gehabt, der seiner Ansicht nach auch mittels einer E-Mail hätte erledigt werden können. Aber manche der Capos waren paranoid, was E-Mails anging. Sie befürchteten, dass ihre Kommunikation von den Behörden überwacht wurde. Daher wurden die meisten Informationen auf dem klassischen Weg geteilt. Indem man sich traf. In Tonis Augen völlige Zeitverschwendung, wenn man auch einfach telefonieren oder eine E-Mail schreiben konnte.

Als er auf die Straße trat unterdrückte er ein Gähnen und setzte seine Sonnenbrille auf. Eine klassische Wayfairer, die er sich in Europa gekauft hatte und die er abgöttisch liebte. Es war fast fünf Uhr am Nachmittag und er musste erst gegen zweiundzwanzig Uhr im Corleone sein. Genug Zeit also, sich noch einen Kaffee zu gönnen und die Sonne zu genießen. Er glitt aus seinem dunkelblauen Jackett, rollte die Ärmel seines weißen maßgeschneiderten Hemdes hoch und schwang sich das Jackett über die Schulter. Dann sog er die spätsommerliche Luft tief in seine Lungen und schlenderte über die Straße zum Washington Square Park hinunter.

Dort befand sich die Elmer Holmes Bobst Library, die Hauptbibliothek der New York University. Und vor der Bibliothek stand einer der besten Kaffeewagen New Yorks, zumindest nach Tonis Ansicht. Nicht nur war der Kaffee immer schön stark, sondern der Kaffeewagen hatte auch eine breite Palette an Kaffeespezialitäten, von Mocca, über Espresso bis hin zu Caramel Crunch Vanilla Latte. Nicht dass Toni jemals einen solchen Kaffee bestellen würde, aber er mochte die Tatsache, dass er die Möglichkeit dazu hatte.

Auf dem Weg zum Washington Square begegnete Toni dem einen oder anderen Anwärter seines Vaters. Es waren ausnahmslos junge Leute. Anwärter standen in der Hierarchie der Mafia auf der untersten Stufe. Sie waren in die Geschäfte der Mafia – der Familie – nicht eingeweiht und kannten weder Toni noch den Don persönlich. Sie erledigten in der Organisation kleinere Aufgaben, ungefährliche und niedere Tätigkeiten. Sie späten Geschäfte aus die ihr Schutzgeld nicht zahlten, dealten mit Drogen auf dem Campus und den Straßen von New York, erledigten kleine Botengänge und machten ganz allgemein die Drecksarbeit. Da sie nichts von den Interna der Familie wussten, war es kein Problem, wenn sie verhaftet wurden. Alle Anwärter hofften, eines Tages als Soldat in die Mafia aufgenommen zu werden, aber Toni wusste, dass es nur ganz wenige schaffen würden. Die Organisation musste klein bleiben, damit sie beherrschbar blieb.

Über den Anwärtern standen die Soldaten. Diese waren als vertrauenswürdig eingestuft und in die Mafia aufgenommen worden. Dafür mussten sie einen Eid ableisten, den es schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts gab. Die genaue Zeremonie war streng geheim, und Toni hatte sie auch erst einmal miterlebt, als Luca zum Soldaten befördert wurde.

Luca war nur wenige Monate ein Anwärter gewesen, denn sein Vater war ein Caporegime – ein Captain der Mafia. Die Capos standen über den Soldaten und gaben diesen die Befehle des Underbosses und des Boss' weiter. Jeder Capo leitete eine eigene kleine Armee von Soldaten, die ihm treu ergeben waren. Die Capo kümmerten sich um ihre Leute, sowohl im positiven wie im negativen Sinn. Leistete ein Soldat gute Arbeit, belohnte der Capo ihn, beispielsweise mit einem kleinen Anteil am Drogengewinn oder mit einem schicken Auto. Aber wenn ein Soldat Mist baute, war es die Aufgabe des Capo ihn zu bestrafen.

Die Capos mussten dem Don gegenüber Rechenschaft ablegen und den interessierte es nicht warum etwas nicht so gelaufen war, wie er es befohlen hatte. Baute ein Soldat Mist, fiel dies auf den Capo zurück, der dafür vom Don bestraft wurde. Tonis Vater war ein strenger Boss, der keine Fehler duldete. Ausreden oder Erklärungen interessierten ihn nicht. Daher waren auch die Capos streng zu ihren Soldaten. Fehler wurden nicht geduldet. Machte ein Soldat zu viele Fehler, musste man sich um ihn kümmern. Die meisten verschwanden einfach, ohne jemals wieder gesehen zu werden. Eigentlich unterschied sich die Mafia nicht von einem der großen börsennotierten Unternehmen. Nur eben, dass die Mafia nicht legal arbeitete und man nicht kündigen konnte.

Corleone - Anthony & HenryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt