T H I R T Y - F O U R

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Mein Atem kam nur stoßweise vor Anstrengung aus meinem Mund heraus.
Der muffige Geruch des Treppenhauses drang mir in die Nase und meine eiligen Schritte hallten von den nahen Wänden wider, dazu war all dies auch nur spärlich beleuchtet von den paar nackten Glühbirnen die an ihnen hingen.
Mit jeder Sekunde, jeder hinter much gebrachten Treppenstufe wuchs meine Sorge und Angst um Stücke mehr, jede von ihnen kam mir vor wie eine Ewigkeit.
Es schien kein Ende zu geben.
Kein frischer Lufthauch drauf in dieses stickige Treppenhaus und fast kam es mir so vor, als wäre all das eine Einbildung, ein Missverständnis, ein Fehler.
Dachte, dass Jakob nicht der Schreiber war und meine Mutter nicht tot, das ich nicht in einem Internat lebte, sondern noch immer in unserer viel zu kleinen Wohnung, dass es keinen peinigenden Ex-Freund gab, der auf Rache aus war, es keine tödliche Herzkrankheit für mich gab.
Und doch, der stechende Schmerz, die getrockneten, salzigen Tränen auf meinen Wangen und der viel zu schnell gehende Atem ließen es nicht leugnen, nichts einbilden, es war real. Mehr als real.
Das wenige Licht von weiter unten reichte kaum mehr bis hier herauf, das einzige was mich weiter die Treppen hinaufstürmen ließ, war Jakob und die nahe Ungewissheit seines, unseres, Schicksals.
Es war zum Verrückt werden.
Wenn uns beiden doch derselbe Gedanke kam, dass ich um mein Leben kämpfen muss, doch er es freiwillig beenden will, es nicht möchte, warum tat er das?
Warum wollte er das?
Ein verzweifelter Schrei entkam mir, ich hatte einen Teil der Kontrolle, einen Teil der Selbstbeherrschung verloren, vergrub meine Fingerspitzen in meinen langen, wirren Haaren und rannte die Treppen noch schneller als zuvor nach oben.
Dieser Typ war einfach von allen guten Geistern verlassen.

Der Sprint die Stufen nach oben war ein Werk der Ewigkeit, es schien, als hätte sich die ganze Welt gegen mich und meine Rettungspläne verschworen.
Als ich in der nächsten Kurve beinahe durchs Ausrutschen hinfiel, dachte ich nur noch, dass dieses ganze Hochhaus kein Ende hätte.
Zugleich schwor ich mir, dass ich Jakob eigenhändig meine Meinung würde, sollte er sich nur einen Spaß erlauben und auf dem Dach ein Picknick geplatzt haben. Und ich würde wirklich nicht meine Hand ins Feuer legen und schwören, dass ich dabei nicht handgreiflich werden könnte.
Obwohl, mir fehlte bereits sämtliche Energie, ich war völlig ausgelaugt.

Und doch, mit einem Mal drang ein Strahl Sonnenlichts durch einen Spalt in der Decke und schien auf etwas metallisch glänzendes.
Eine Leiter.
Sie war der Schlüssel zu meinem Ziel.
Mit einem leichten Schub neuer Energie rannte ich auf sie zu, erklomm sie in einem Rekordtempo.
Mit einer Handbewegung schmiss ich die Klappe zum Dach auf und krabbelte aus dem schmalen Spalt heraus.
Ein wildes Schneeflockentreiben und stürmischer Wind begrüßten mich und ich musste meine Hand als Schirm über meine Augen halten, um etwas besser zu sehen.
Und nein, das war alles nicht eine Verarsche, kein Picknick, sondern purer Ernst.
Denn nicht weit von mir entfernt, direkt auf den Rand zugehend, war eine Silhouette.
Jakobs Silhouette, denn ich kannte keinen sonst mit diesem schmächtigen Körper.
Er stand mit dem Rücken zu mir und ging immer weiter, immer näher zum Abgrund.
"Jakob!", schrie ich und lief auf ihn zu, wollte ihn vom Springen abhalten.
Überrumpelt wirbelte er zu mir herum, riss seine Augen weit auf, als er mich erkannte - und kniff sie zusammen.
"Bitte tu' es nicht", flehte ich ihn an und machte dabei einige kleine Schritte auf ihn zu.
"Du kannst mich nicht davon abhalten, Wally", knurrte er, als er sich von der Überraschung meines Auftauchens erholt hatte.
Mir traten Tränen in die Augen, doch ich ließ sie nicht frei, ließ sie nicht erneut über mein Gesicht herunterrollen.
"Du kannst mich nicht verstehen! Ich möchte es nicht mehr, ich möchte es einfach nicht mehr! Ich kann mit meiner beschissenen Vergangenheit, mit allem, einfach nicht leben!
Sieh mich nur an, ich bin einfach ein idiotischer Volldepp der aus Unachtsamkeit erzeugt und ausgesetzt wurde! Ich habe nichts verdient, ich habe niemanden verdient!", er schrie mich an, seine Verzweiflung in der Stimme war nicht zu überhören.
Doch dann stieß er ein kaltes Lachen aus.
"Sieh es ein, ich bin nicht zu retten.
Ich leb doch nicht einmal, habe es auch nie!"

Die Worte aus seinem ersten Brief.

"Jakob, bitte!", versuchte ich es noch einmal.
"Bitte, du bist auch ein Mensch. Du wirst nicht von allen anderen gehasst, du hast doch genauso wie alle wahre Liebe verdient!"

Jakob stieß ein hämisches Lachen aus.
"Arme, kleine verzweifelte Wally. Wie naiv und voller Verzweiflung deine Gedanken und Worte doch sind.
Liebe gibt es nicht, gab es nie und wird es nie geben, dafür bin ich der lebendigste Beweis!"
Die letzten Worte spuckte er mit voller Kälte beinahe aus, als würden sie ihn zutiefst anwidern, verletzen.

"Dann erkläre mir doch einmal anders, warum ich gerade hier bei dir bin!", fuhr ich ihn an, an den Grenzen meiner Nerven angekommen.

Scharf sog er die kalte, klare Luft ein und ich wurde so blass wie der Schnee um uns herum, als ich verstand, was ich da gerade soeben gesagt hatte.
Hoffnung keimte in mir auf. Hoffnung darauf, dass diese Worte ihn umstimmen würden.

Doch kurz darauf wandte er sich einfach von mir ab, tat die letzten paar Schritte auf den Abgrund zu.
"Und doch kommst du zu spät, Wally."

Mit diesen Worten ließ er los und sprang.

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