Kapitel 7

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„Kommst du jetzt?“, rief Andrik ungeduldig, während ich in mein Zimmer rannte, um meine Schultasche zu holen. Schnell sprintete ich die Treppe hinunter zur Haustür und öffnete diese schwungvoll. Mein Bruder folgte mir eilig, da es schon ziemlich spät war. Heute ließ die Sonne ihre letzten warmen Strahlen vor den kalten Jahreszeiten aus uns herabfallen. Das Gute Wetter hob meine Laune deutlich. Deswegen öffnete ich auch am Nachmittag die Tür des Klassenraums energiegeladen, während meine Klassenkameraden mir mindestens genauso glücklich folgten. Erst dann klingelte es zum Ende des Schultages. Ströme aus Schülern sprudelten aus den vielen Klassenräumen und mündeten im Treppenhaus zu einem reißenden Fluss. Ich traf auf Maxi, der mir lächelnd zunickte. Wir gaben uns die Hände, um uns in dem Chaos nicht zu verlieren. Wieder begannen die Schmetterlinge in mir wild umherzuflattern, sodass ich Angst hatte, ich könnte gleich abheben. Doch das tat ich nicht. Auch nicht, als wir die Schule verließen und uns schüchtern anlächelten, während wir auf meinen Bruder warteten. Von dem fehlte allerdings jede Spur, weswegen wir bald beschlossen, aufzubrechen. Maxi würde heute direkt nach der Schule mit zu mir nach Hause kommen. Darauf hatte ich schon tagelang hingefiebert. Als ich die Haustür öffnete, empfing unsere Mutter uns bereits und geleitete uns zum Esstisch, auf dem bereits drei Teller mit Nudeln und Tomatensauce vor sich hindampften. „Tippkick“ und ich stellten unsere Taschen ab, setzten uns und begannen, das Essen herunterzuschlingen. Einige Minuten später gesellte sich auch Andrik zu uns. Als unsere Teller leer waren, begaben Maxi und ich uns in den Garten und begannen, uns zu unterhalten. Wir setzten uns auf die Hollywoodschaukel und schwangen langsam vor und zurück. Ich hörte, wie es an der Tür klingelte, was ich zuerst ignorierte. Schließlich ertönten einige Stimmen, die mir ziemlich bekannt vorkamen. Als ich sie erkannte sprang ich auf und rannte durch den Garten ins Haus. Ich fiel meiner Cousine in die Arme, da ich sie lange nicht mehr gesehen hatte. Adeline erwiderte meine Umarmung liebevoll, während ich Tareks aufgeregte Stimme neben mir erkannte. Ich beugte mich zu ihm herunter, obwohl er ziemlich gewachsen war, und strich ihm durch die Haare. „Scheint so, als wäre uns die Überraschung gelungen.“, grinste meine Tante, woraufhin wir ihr alle sofort zustimmten. „Ich gehe wohl besser.“, flüsterte Maxi und huschte an mir vorbei. Gerade, als er durch die Haustür verschwinden wollte, rief ich seinen Namen. Er drehte sich fragend zu mir um und hielt noch immer die Türklinke in der Hand. „Du bist hier immer willkommen. Wir wünschen uns, dass du hier bleibst.“, ich sah mich um, wobei ich bemerkte, dass uns keiner beachtete, „Ich wünsche mir, dass du hier bleibst.“ Der Junge wurde rot und strich sich verlegen durch die Haare, bevor er sich leise neben mich gesellte. Mein kleiner Cousin stellte sich vor mich und schaute mich fragend an: „Fußball?“ Ich nickte und grinste, als ich an unser letztes Treffen dachte. Ich ging in mein Zimmer, um meinen pechschwarzen Fußball zu holen, den ich nun mehrmals in meinen Händen umherdrehte. Ich hatte so viel mit diesem Ball erlebt und war stolz, dass ich ihn mein Eigentum nennen konnte. Langsam tappte ich die Treppe wieder hinunter und blieb schließlich lächelnd stehen, um „Tippkick“ und Tarek zu betrachten, die sich glücklich unterhielten. Ich bewunderte Maxis Umgang mit Kindern wirklich sehr. Mein kleiner Cousin riss mich mit einem ungeduldigen „Komm!“ aus meiner Starre und folgte uns anschließend auf dem Weg zum Teufelstopf.

Maxi und ich hatten den Hügel vor dem Teufelstopf zuerst bestiegen und blieben lächelnd stehen. Tarek würdigte die Aussicht allerdings keines Blickes und rannte an uns vorbei. In der Mitte des Bolzplatzes blieb er mit offenem Munde stehen und drehte sich mehrmals langsam um sich selbst. „Hier spielt ihr Fußball?“, fragte er mich verblüfft. Ich lachte, als ich seine staunenden Kulleraugen sah: „Ja, hier spielen wir. Die wilden Kerle. Das ist der Teufelstopf. Gefällt er dir?“ Kurz hielt der kleine Junge inne, doch dann sprintete er begeistert schreiend los und sprang in eine kleine Pfütze am Rande des Bolzplatzes, die noch an den letzten Regen erinnerte. Ich legte meinen Fußball vorsichtig vor mir ab. Wie ein Blitz schoss Tarek an mir vorbei und klaute die Kugel. Lachend rannte ich hinter ihm her und versuchte ihm diese abzunehmen. Dies gelang mir auch bald, doch nun hielt „Tippkick“ mich auf und auch nur eine Sekunde später gehörte der Ball ihm. Er konnte ihn auch lange bei sich behalten, obwohl ich immer wieder versuchte, das Leder zu schnappen. Aber sobald wir beide außer Atem waren, nutzte mein Cousin seine Chance und nahm Maxi den Ball mit Leichtigkeit ab. Noch dazu dribbelte er mich aus und da er sowieso schon nah am Tor gespielt hatte, war es für ihn nun auch eine Leichtigkeit, die Kugel darin zu versenken. Jubelnd hüpfte er über den Platz und schlug anschließend mit Maxi ein, der ihm beeindruckt gratulierte. Ich spendierte uns drei kalte Limonaden aus Willis altem Kühlschrank, den er für uns in seinem Kiosk zurückgelassen hatte, bevor er sich auf eine kleine Weltreise begeben hatte. Die Getränke verdampften in unseren Kehlen, während wir uns verschwitzt an den Zaun des Teufelstopfes lehnten. Maxi und ich unterhielten uns angeregt. Sein Blick huschte an mir vorbei. „Bist du müde?“, fragte er Tarek sanft und lächelte. Mein kleiner Cousin rieb sich die Augen und nickte uns zu. Erst jetzt fiel mir auf, dass er die ganze Zeit über still gewesen war, was eigentlich garnicht zu ihm passte. Auch die Sonne näherte sich dem Horizont, was mir verriet, dass es schon ziemlich spät war. „Lasst uns zurück gehen.“, bot ich an und erhob mich. Gähnend stand der kleine Junge auf und sah Maxi und mich mit trüben Augen an. Ich gab ihm meine Hand, die er dankbar annahm und zog ihn geradezu hinter mir her. Später saß ich auf dem Sofa, das wir zu einem Schlafplatz umfunktioniert hatten. Nachdem Maxi sich von uns verabschiedet hatte und wir Zuhause angekommen waren, hatten wir alle zu Abend gegessen. Adeline, Tarek und ihre Eltern würden heute bei uns übernachten. Deswegen lag mein kleiner Cousin, der erneut auf eine meiner spannenden Gute-Nacht-Geschichten bestanden hatte, jetzt auch in seine Decke gekuschelt auf dem Sofa. „Meine Beine tun weh.“, jammerte er mit vor Müdigkeit roten Wangen. „Da müssen zukünftige Fußballprofis nunmal durch.“, lächelte ich und strich ihm vorsichtig durch sein blondes Haar, bevor er sanft in den Schlaf glitt.

~Meine Beine, meine Seele~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt