Kapitel 31

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Ein letztes Mal fuhr ich mit meiner Mascara durch meine Wimpern und verstaute das kleine schwarze Gefäß, dessen blaue Aufschrift in der Abendsonne glitzerte, in meiner Schublade. Auch meinen hölzernen Handspiegel legte ich ab, bevor ich mich lächelnd um mich selbst drehte. Der Rock meines hellgrünen Kleids erhob sich und schlug Wellen. Ich hatte meine zweite Drehung noch nicht beendet, als ich schon mit meiner linken Hand eine neue Schublade öffnete. Zum Vorschein kam mein neues roségoldenes Tastenhandy, das ich erst vor ein paar Wochen bekommen hatte. Meine Eltern hatten darauf bestanden, dass ich es auf meine allererste waschechte Party mitnehmen würde. Kaum hatte ich das Handy genommen und die Schublade geschlossen, klingelte es auch schon an der Tür. Ich lächelte in mich hinein, zog meine Jeansjacke an, steckte mein Telefon in eine der Taschen und warf meine geflochtenen Zöpfe zurück. Als ich die Treppe hinunterging breitete sich ein Kribbeln in meinem Bauch aus. Maxi schaute mit großen Augen zu mir herauf und erschien sprachlos. Ein leichtes rosarot schlich sich auf meine Wangen und das Kribbeln floss bis in meine Brust aus. Meine Mutter durchbrach den Fluchtpunkt, auf den sich meine Augen visiert hatten, indem sie sich direkt vor „Tippkick“ stellte: „Ich wünsche dir ganz viel Spaß, mein Schatz.“ Ich lächelte zum Dank, doch Mama war noch nicht fertig. „Pass auf dich auf.“, sagte sie ein bisschen zu besorgt und fürsorglich. „Mir wird schon nichts passieren.“, grinste ich etwas peinlich berührt, während ich die Türklinke in die Hand nahm und sie leicht herunterdrückte. „Bitte komm nicht so spät zurück und schreib, wenn etwas passiert ist.“ Ich öffnete langsam die Haustür. „Ich kann dich auch abholen.“ Maxi und ich traten nach draußen, wo uns die lauwarme Abendluft entgegenschwappte. „Bitte trink auch nicht zu viel, okay?“ Jetzt zog ich die Tür so schnell wie möglich zu und rollte nur mit den Augen, während Maxi neben mir loskicherte. Ich boxte ihn spielerisch in die Seite und ging ein paar schnelle Schritte. „Hey, warte auf mich.“, rief mein Freund, „Deine Mutter wird es sicher nicht erlauben, dass du alleine gehst.“ Meine Schritte wurden immer schneller und gespielt beleidigt guckte ich nach vorn ohne Maxi auch nur zu beachten. Der joggte allerdings schon neben mir her und legte einen Arm um mich: „Spaß! Ich würde dich sowieso nicht alleine gehen lassen. Ich hab dich doch lieb.“ Nun konnte ich nicht mehr in meiner Rolle bleiben und grinste ihn mit leuchtenden Augen an. Das Kribbeln schwappte jetzt endgültig durch meinen ganzen Körper. Seitdem wir vor ein paar Wochen offiziell zusammengekommen waren leuchteten die Farben in Grünwald noch viel kräftiger, als sie es in diesem Sommer sowieso schon taten. Ich schwebte wortwörtlich auf Wolke 7, nein, sicherlich noch viel höher. Doch jetzt riss Maxi mich aus meinen Gedanken, indem er mich zur Seite zog: „Stopp, wir müssen hier abbiegen. Hast du etwa vergessen wo Vanessa wohnt?“ „Nein“, grinste ich, „Ich war nur in Gedanken.“ „Ach ja? An was hast du denn gedacht? Etwa an mich?“, scherzte „Tippkick“ und steckte mich mit seinem Lachen an. Schon kamen wir an der Waldfriedhofstraße Nummer 7 an, die bereits mit Luftballons und Lichterketten geschmückt war. Gedämpft drangen bereits Musik und Stimmen durch die Wände. Ich betätigte die Türklingel, doch alle anderen Geräusche übertönten sie, sodass keiner uns hörte. Maxi ging zu einem der Fenster und klopfte so laut wie er konnte. Endlich wurden wir wahrgenommen und nach ein paar Sekunden öffnete sich die Haustür. Die Gastgeberin begrüßte uns überschwänglich und bat uns herein. Tatsächlich war das ganze Wohnzimmer und Esszimmer bereits mit Gästen gefüllt. Sofort kam Raban auf uns zu und reichte Maxi ein Bier, das dieser dankend annahm. Der rothaarige Junge führte uns schließlich zum Rest der wilden Kerle. „Da seid ihr ja endlich!“, rief uns Leon entgegen, „Warum kommt ihr eigentlich fast immer zu spät?“ „Das stimmt doch gar nicht.“, protestierte ich, aber „Tippkick“ warf nun grinsend ein: „Wir wurden von Yaras Mutter aufgehalten. Sie macht sich einfach zu viele Sorgen.“ Alle brachen in schallendes Gelächter aus und ich spürte wie das Blut in meine Wangen schoss. Da klopfte mir jemand von hinten auf die Schulter. „Mach dir nichts draus.“, grinste Juli, „Meine Mutter hätte Joschka und mir damals beinahe verboten gegen die Unbesiegbaren Sieger anzutreten.“ „Und mein Vater hat uns letztes Jahr allen nachspioniert.“, ergänzte jetzt auch mein Freund. Wieder prusteten wir los. „Ja, verflixt, aber deinen Vater kann auch keiner übertreffen“, mischte sich Marlon jetzt auch ein, während er einen Arm um Horizon gelegt hatte. „Doch, nämlich die Hexe von Bogenhausen“, grinste Markus. „Will jemand noch einen Cocktail?“, fragte Fabi, der die ganze Zeit über dicht neben Juli gestanden hatte, jetzt. Ich nickte und folgte dem Jungen anschließend in die Küche. „Pass auf.“, grinste dieser, „Das wird der wildeste Cocktail, den du je getrunken hast. Nein, wilder als wild. Biestig!“ Mit diesen Worten schnappte er sich verschiedene Getränke und begann sie in ein Glas zu schütten. Zum Schluss fügte er noch Eiswürfel und eine Limettenscheibe, die er an den Rand des Glases steckte, hinzu. „Voilà, der biestige Sommernachtstraum.“, stellte Fabi mir seine Kreation vor. Vorsichtig nahm ich das schlangengiftgrüne und eiskalte Getränk an und probierte es. Ein leichter Zirbengeschmack breitete sich auf meiner Zunge aus, der sich in ein Aroma aus Waldmeister und Limette verwandelte und dennoch süßlich wirkte. Der Alkohol erzeugte ein Prickeln in meinem Hals und vollendete das Geschmackserlebnis mit einer erfrischenden Note. „Schmeckt er dir?“, platzte es nun gespannt aus dem Anführer der biestigen Biester heraus und ich nickte sofort: „Auf jeden Fall. Und der Name passt perfekt. Man fühlt sich wie in einem dichten Nadelwald in dessen Mitte plötzlich ein See auftaucht, während das kalte Mondlicht sich in ihm spiegelt.“ Ein Lächeln breitete sich auf Fabis Gesicht aus und er nickte eifrig: „Genau daran habe ich auch gedacht.“

Mit meinem Cocktail verließ ich nun wieder die Küche und schaute mich um. Mein Blick fiel direkt auf die biestigen Biester. Ich gesellte mich zu ihnen und wurde sofort von allen Seiten begrüßt. „Hat Fabi dir auch eine seiner Eigenkreationen angedreht?“, lachte Lara-Moon und ich nickte grinsend. Sara zog die Augenbrauen hoch: „Der Sommernachtstraum also?“ „Ich habe gehört, die Inspiration hatte Fabi nach einem nächtlichen Ausflug mit Juli.“, kicherte Yvette und Ayscha seufzte: „Seitdem die beiden ein Paar sind hat Fabi kaum noch Zeit für uns.“ „Ja, aber Lissi übernimmt einige Arbeiten von ihm.“, ergänzte Taylor und Enna, die sich an das schwarzhaarige Mädchen schmiegte, lächelte: „Und das macht sie ziemlich gut.“ „Aber du hast dir ja auch jemanden geangelt.“, kicherte Anna nun in meine Richtung und ich errötete: „Ja, Maxi und ich sind jetzt offiziell ein Paar.“ „Ist das da etwa sein Ring?“, quietschte Kissi und deutete auf das silberne Schmuckstück. Lissi nahm nun meine Hand: „Hat er ihn dir etwa geschenkt?“ Als ich nickte rasteten die Mädchen regelrecht aus. Ihre Worte verschwammen in einem Meer aus wie-süß-ist-das-denn’s, du-hast-echt-den-Jackpott-geknackt’s und leisem Kichern.

„Es war wirklich schön mit euch.“, lächelte Enna und verabschiedete sich zusammen mit Taylor von uns. Auch Yvette, Lissi, Kissi und Lara-Moon machten sich jetzt auf die Suche nach ihren Jacken. Da kam Vanessa auf mich zu: „Hast du vielleicht Leon gesehen? Ich kann ihn nirgendwo finden.“ Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen, doch ich entdeckte nur Raban, Joschka, Sara und Ayscha, die zusammen tanzten. In einer der weniger beleuchteten Ecken schwangen Anna und Jaromir eng verschlungen hin und her. Ich schüttelte langsam den Kopf und fragte die Unerschrockene, ob ich suchen helfen solle, doch sie winkte ab: „Nein, er ist bestimmt mit Marlon und Horizon zurückgegangen.“ Ich stimmte ihr zu und machte mich auf die Suche nach Maxi. Ich fand ihn auf dem Sofa, während er fröhlich auf den halb schlafenden Markus einredete und griff nach seinem Arm. „Tippkick“ drehte zuerst verwirrt seinen Kopf zu mir und zog mich dann lächelnd auf seinen Schoß. Doch auch aus 17cm Entfernung schlug mir seine Alkoholfahne entgegen: „Verflixt, wie viel hast du getrunken?“ „Ach, nicht so viel. Nur ein ganz kleines bisschen.“, lachte mich mein Freund an. Ich sah auf die Uhr, die bereits 1:53 Uhr anzeigte und schüttelte den Kopf: „Wir gehen nach Hause, komm mit. Markus, weißt du schon wo du heute übernachtest? Deine Eltern werden dich so bestimmt nicht ins Haus lassen.“ Ohne seine Augen zu öffnen nickte der Torwart, während Maxi protestierte und mich bat zu bleiben. Doch ich stand nur auf und zog an „Tippkick“, sodass er schwankend neben mir stand. Mühsam zerrte ich den Jungen durch das Haus und verabschiedete mich im Vorbeigehen von Vanessa, die bereits aufräumte. Sobald uns die frische Nachtluft entgegenschlug stoppten Maxis Beschwerden und er sah mich nur noch traurig an: „Warum müssen wir gehen? Ich hatte so viel Spaß.“ „Ich weiß.“, flüsterte ich und streichelte ihn über seinen Rücken, „Aber es ist schon spät und die anderen gehen auch gleich nach Hause.“ „Und du?“, schniefte er plötzlich und ich sah eine Träne, die über seine Wange kullerte, „Gehst du auch nach Hause? Ich will nicht, dass du gehst. Ohne dich ist alles immer so einsam.“ Ich seufzte. Obwohl ich wusste, dass Maxi betrunken war berührten mich seine Worte doch sehr. Schließlich kamen wir an der piekfeinen alten Allee Nummer 1 an und ich kramte den Schlüssel aus „Tippkicks“ Hosentasche. Anschließend öffnete ich die Tür und navigierte meine  Freund herein, doch der blieb nun mitten im Türrahmen stehen und schaute mich bittend an: „Bitte bleib hier. Ohne dich fehlt doch hier das wichtigste.“ Ich atmete tief ein und starrte in seine tiefbraunen Augen, dessen Pupillen immer größer wurden. Schließlich nickte ich und schloss die Tür hinter uns. Meinen Eltern schrieb ich schnell eine Nachricht, in der ich erklärte warum ich bei Maxi übernachten würde. Nachdem ich meinem Freund dreimal versprochen hatte, dass ich wirklich hierbleiben würde, hatte er sich endlich ins Badezimmer begeben. Ich zog meine Jacke aus und schüttete Wasser in ein Glas, dass ich anschließend auf „Tippkicks“ Nachttisch stellte. Auf dem Rückweg ins Wohnzimmer begegnete ich Nerv, der mir verschlafen entgegenkam. Er musste von unseren Stimmen aufgeweckt worden sein. Ich dankte leise dem Zufall, dass Herr Maximilian und die Hexe von Bogenhausen momentan auf ihren verspäteten Flitterwochen waren und von all dem nichts mitbekamen. „Ich bleibe heute Nacht hier.“, lächelte ich den kleinen Jungen an, „Geh wieder schlafen.“ Als mein Freund nach einiger Zeit endlich seinen Schlafanzug trug und sich gewaschen hatte, steckte ich ihn in sein Bett. Sanft legte ich die Decke über seinen müden Körper und schob sie vorsichtig zurecht. Ich strich ihm lächelnd durch die Haare und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Anschließend nahm ich eines seiner T-Shirts, die an mir eher aussahen wie ein Kleid, aus seinem Schrank und wollte gerade den Raum verlassen, als mein Freund flüsterte: „Ich liebe dich.“ Ich lächelte und knipste den Lichtschalter aus: „Ich liebe dich auch.“ Dann zog ich langsam die Tür hinter mir zu.

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⏰ Letzte Aktualisierung: May 23, 2023 ⏰

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