Kapitel 17

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Aufgeregt verließen wir auf unseren Fahrrädern den Teufelstopf. Im Gepäck hatten wir unsere Zelte, da wir die erste warme Frühlingsnacht gemeinsam im Teufelstopf verbracht hatten. Doch diese Wärme wurde nun von kaltem Regen abgelöst, der unsere Kleidung durchnässte. Aber das bemerkten wir kaum, denn unsere Augen hefteten wir auf die Straße vor uns und unsere Gedanken waren eindeutig bei den bevorstehenden Ereignissen. Wir traten noch schneller in die Pedale, denn wir wollten auf keinen Fall zu spät kommen. Das konnten wir uns jetzt nicht leisten. Von weitem konnte ich bereits unser Ziel sehen und gab wie die anderen noch mehr Gas. Außer Atem stellten wir unsere Fahrräder vor dem Fußballplatz ab. Leon schaute angespannt auf seine lederne Armbanduhr: „Noch fünf Minuten.“ Ich schluckte ängstlich und auch der Rest der wilden Kerle schien nervös zu sein. Da legte Vanessa ihre Hand vorsichtig auf Leons Schulter: „Wir schaffen das. Denkt doch mal daran, wer wir sind. Die wilden Kerle. Unser Name ist unter allen Fußballmannschaften bekannt und eines Tages sind wir die besten Fußballspieler der Welt. Dafür leg‘ ich meine Beine ins Feuer!“ „Meine Beine“, hob ich lächelnd den Kopf und Maxi sah mir entschlossen in die Augen, „Meine Seele“, Leon vollendete unsere Worte schließlich, „und mein ganzes Herz.“ Schweigend standen wir da. Minuten vergingen und fühlten sich an wie Stunden. Die Kirchturmuhr schlug zehn, doch wir warteten. Unsere Fußballtrikots kleben durchnässt an unseren Körpern und die Kälte zog bis in unsere Knochen, sodass wir zitterten. Da erwachte Marlon aus seiner Starre: „Krumpelkrautrüben, lasst uns gehen. Wir haben verloren.“ Doch gerade als sein Bruder ihm missmutig zustimmen wollte, hörten wir das Quietschen von Fahrradreifen auf dem nassen Asphalt. Bevor wir überhaupt reagieren konnten standen sie schon vor uns und waren mindestens einen Kopf größer als wir. Spöttisch schauten sie auf uns herab, während wir erschrocken zu ihnen hinaufsahen. Alle von ihnen trugen grüne Trikots und große weiße Buchstaben bildeten die Worte Grünwalder Ritter. Das letzte Mal als wir vor ihnen gestanden hatten, waren wir übermüdet und schlapp gewesen. Doch jetzt loderte das Feuer der Entschlossenheit in unseren Augen und wir strotzten nur so vor Energie. „Wollt ihr jetzt spielen oder nicht?“, fragte uns der Anführer der Grünwalder Ritter mürrisch, während er Leon zur Seite schubste und sich seinen Weg zum Spielfeld bahnte. Ängstlich schweigend folgten wir seiner Mannschaft, als wären wir Gefangene in unserem eigenen Territorium.

„Halbzeit!“, hallte eine Stimme über das rutschige und durchnässte Fußballfeld. Langsam schlichen wir vom Platz. Die Kälte schien unsere Knochen steifer zu machen, während die unzähligen Regentropfen unsere Trikots zu orange-schwarzen Gewichten umfunktionierten. Es stand 7:2 für die Grünwalder Ritter, die sich auf der anderen Seite des Stadions bereits ihres Sieges sicher waren. „Terrortouristischer Bärenbauchspeck!“, fluchte Joschka besorgt und vergrub sein Gesicht in den Händen, „Wir werden wieder verlieren. Die Grünwalder Ritter sind viel besser als wir.“ Nerv, der zusammen mit dem Jungen aus meiner Klasse auf der Auswechselbank gesessen und sich das Dilemma ebenfalls angeschaut hatte, pflichtete ihm ängstlich bei. „Kacke verdammte, sag so etwas nicht.“, fuhr Leon ihn an und sein Bruder stärkte ihm den Rücken, „Wir sind keine Versager! Wir gewinnen dieses Spiel, das verspreche ich euch.“ Doch Raban traute Marlons Worten nicht. Er schaute auf seine Füße und ließ seinen Blick dann auf den Fußballplatz schweifen: „Aber der Regen hat das ganze Feld durchnässt. Wir rutschen ständig aus und verlieren den Ball. Wie sollen wir so spielen?“ Wir alle nickten gedankenverloren, doch plötzlich leuchteten Joschkas Augen begeistert auf: „Wir müssen einfach um die Pfützen herumspielen und den Ball in der Luft behalten. Das haben wir vor ein paar Wochen im Teufelstopf auch geschafft.“ „Daran habe ich überhaupt nicht gedacht, verflixt.“, lachte Leon und boxte Joschka in die Schulter, „Dafür gehst du für mich auf den Platz.“ Nachdem er den Satz beendet hatte gingen die Grünwalder Ritter bereits zu ihrer Seite des Spielfelds und stellten sich auf. Maxi legte seine Hände auf Nervs Schultern, lächelte sein berühmtes lautloses grinsendes Lächeln und deutete auf das Stadion: „Nun geh schon.“ Das ließ sich der kleine Junge nicht zweimal sagen.

Wir jubelten. Joschka hatte unser achtes Tor geschossen und damit unseren Spielstand mit 8:8 ausgeglichen. Die letzten Minuten der zweiten Halbzeit liefen und wir hatten uns so sehr angestrengt, dass unsere Trikots nicht mehr nur mit dem Regen, sondern auch unserem Schweiß getränkt waren. Der Ball gehörte unseren Gegnern, die uns schweratmend gegenüber standen und plötzlich gar nicht mehr so mächtig aussahen. Langsam joggten sie auf uns zu, während sie die Kugel hin und her passten. Raban grätschte in den Stürmer der Grünwalder Ritter hinein und schlitterte über den Rasen, während der Ball genau auf mich zuflog. Ohne zu zögern nahm ich das Leder an und schoss mit einem Fallrückzieher quer über das Spielfeld und direkt auf das Tor unserer Gegner. Doch der Torwart der Grünwalder Ritter konnte meinen Schuss tatsächlich abwehren, jedoch beachtete er dabei nicht die Richtung, in die das Leder flog. Es lag jetzt direkt vor Nervs Füßen und der blonde Junge zielte erneut auf das Tor unserer Gegner. Dieses Mal schickte er den Ball direkt ins Netz und nur eine Sekunde später endete die zweite Halbzeit. Wir sprangen umher und jubelten so laut, als hätten wir gerade die Weltmeisterschaft gewonnen. „Ich habe es euch doch gesagt.“, grinste Marlon uns an, „Alles ist gut…“ Lachend beendeten wir seinen Satz und schrien unseren Schlachtruf, sodass das ganze Stadion erbebte und die graue Wolkendecke aufbrach. Überglücklich rannten wir über das sonnenbeschienene und vom Regen glitzernde Spielfeld, während wir die Grünwalder Ritter, die auf ihren Positionen enttäuscht und geschlagen am Boden lagen, einfach hinter uns ließen. Schließlich hatten wir auf Camelot einen Sieg zu feiern. Wir stiegen auf unsere bepackten Fahrräder. Ich wollte den wilden Kerlen gerade folgen, als ich Maxis Stimme hinter mir hörte. Mein bester Freund sah mich schüchtern an, sodass ich langsam von meinem Fahrrad abstieg: „Was gibt’s?“ „Tippkick“ nahm all seinen Mut zusammen und sprach dann leise, aber bestimmt: „Wo soll ich anfangen? Mein Vater und die Hexe von Bogenhausen heiraten bald, verrückt oder? Wie auch immer, mein Vater hat mir erlaubt auf der Hochzeitsfeier eine Begleitung mitzubringen. Hättest du vielleicht Lust?“ „Es wäre mir eine Ehre.“, lachte ich und errötete leicht. Maxis Augen begannen zu leuchten,  so sehr freute er sich. Sein Blick fiel auf unsere Fahrräder und er grinste: „Jetzt lass uns den anderen hinterherfahren, sonst vermissen sie uns noch.“

~Meine Beine, meine Seele~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt