Kapitel 27

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Nervös klopfte ich mit meinen Fingerspitzen auf den Boden. Die Sonne war gerade aufgegangen und das Spiel gegen die Silberlichten sollte in Kürze starten. Ich war in einem leeren Zelt aufgewacht, da Maxi bereits den anderen wilden Kerlen bei der Vorbereitung geholfen hatte. Außer ihm waren nämlich auch Markus und Raban schon längst wach gewesen. Nur noch Leon schlief friedlich ein paar Meter neben uns. Aber damit waren wir eindeutig zu wenig. Wo war der Rest der Mannschaft? Warum fehlte von ihnen jede Spur? Ich hatte mich neben „Tippkick“ gesetzt und auf eine Antwort gehofft. Doch der Junge saß nur schweigend neben mir und starrte gebannt auf den Boden. Noch immer bewegte ich meine Finger unruhig hin und her. Sie schmerzten vor Nervosität und Angst. Ohne mich anzusehen nahm Maxi meine rechte Hand und legte sie auf seinen Oberschenkel. Mit seiner linken Hand drückte er sie leicht und zupfte mit der anderen ungeduldig das kurze Steppengras aus dem Untergrund. Da bewegte sich Leon langsam. Er schlug die Augen auf und sah „Tippkick“ verschlafen an: „Maxi, wo sind die anderen?“ Der Junge schaute auf: „Weg, genauso wie du es gesagt hast.“ Ich schnappte nach Luft. Das konnte ich nicht glauben. Nein, das wollte ich nicht glauben. Der Rest der Mannschaft würde uns niemals im Stich lassen. Das wusste ich so sehr wie Herr Maximilian Geld liebte. „Also, worauf warten wir noch? Schlagen wir sie mit ihren eigenen Waffen.“, unterbrach Markus unser Schweigen. Diese Sätze sprach er mit all dem Mut aus, der in diesem Moment in seinem Herzen aufflackerte wie der beschädigte Scheinwerfer eines Motorrads. Raban schaute sich bereits mit seinem Fernglas um, während Leon sich ungläubig aufrichtete. „Tja, anders wird es nicht gehen.“, gab der rothaarige Junge nun unsicher zurück, „Ihr Strafraum ist mit Sprungwänden und Fangspießen gespickt. Da kommst du nur durch, wenn du fliegst.“ Ich seufzte so laut, dass „Tippkick“ nun doch zu mir herübersah und meine Hand leicht drückte. Das hatten wir zwar eingeplant, aber uns fehlte der Rest der wilden Kerle. Ohne sie hatten wir nicht den Hauch einer Chance. Da hörten wir das Knurren eines Motors. Wie ein Raubtier preschte das Gefährt in unser Sichtfeld und blieb am höchsten Punkt der Steppe stehen. Seine Reiterin sah uns aus weiter Entfernung feindselig an. Auch der Rest der Herde erschien neben ihr. Wir sprangen von unseren Plätzen auf und bewegten uns auf unsere Motocross Maschinen zu. Ohne den Blick von unseren Gegnern abzuwenden stiegen wir auf. „Ist das alles, was von euch übrig geblieben ist? Ihr wart doch mal neun.“, schrie Jaromir nun. Doch unser Anführer ließ sich nicht provozieren: „Und was ist mit euch? Ich habe gedacht es sollte losgehen, wenn die Sonne aufgeht. Habt ihr etwa verschlafen?“ „Wir haben nur noch auf einen gewartet.“, flogen die Worte von Eriks Bruder wie Wurfsterne auf uns zu. Ein weiteres Motorrad fuhr und erschien am Horizont. Unsere Kinnladen klappten herunter. Das Gefährt stoppte neben der Anführerin der Silberlichten und auf ihm saß – ich konnte meinen Augen nicht trauen – Marlon. Unsere Nummer 10, die Intuition. Liebte er Horizon wirklich so sehr? Oder war es der Hass gegenüber seinem Bruder, der ihn hierzu verleitete? „Dieser Verräter.“, zischte Markus und seine Worte kratzten in dem kleinen Loch in meinem Herzen, das langsam wuchs. Da flog ein Fußball durch die Luft. Er war in eine gigantische Steinschleuder gespannt worden, die mit einem Seil zurückgezogen gewesen war. Doch die Sonne hatte es mit ihrer Hitze durchtrennt und die Kettenreaktion gestartet. Wir gaben Gas und verfolgten das Leder. Leon hätte es fast in Besitz genommen, doch Marlon kam ihm zuvor. Mit einer Erfindung, die aussah wie ein Trichter und von Mr. Top und Mr. Secret hätte kommen können, schnappte er die Kugel aus der Luft. Dann katapultierte er sie zu Jaromir. Der spielte zu Horizon, während wir nur hektisch umherfuhren. So würden wir nicht gewinnen. Und jetzt kam die Anführerin auch noch auf das Tor zu. Das war leer und ich fühlte mich wie in einem Alptraum. Marlon bekam den Ball wieder und während er seinem Bruder Beleidigungen zurief bewegte sich der Unbezwingbare auf unser Tor zu. Gerade rechtzeitig kam er dort an, denn er konnte in letzter Sekunde den Ball halten. Genau in diesem Moment sprangen Vanessa und Joschka aus einem Loch in der Erde. Ich war mindestens genauso überrascht wie Leon, aber jetzt wurde mir klar, dass wir gar nicht alleine waren. Ganz im Gegenteil, die Mannschaft war vollständig und wartete nur in ihren Verstecken auf ihren Einsatz. Mit der Unerschrockenen und der siebten Kavallerie kam auch ein Teil meines Mutes zurück. Vanessa nahm die Verfolgung zum Leder auf und stieg ab. In letzter Sekunde spielte sie es aus Horizons Fahrbahn. Dann gab sie es an Markus weiter, der es fest in den Händen hielt. Er warf den Ball in die Luft und schoss direkt zu Maxi, wie Vanessa es ihm befohlen hatte. „Und jetzt spielen wir Fußball! Vergesst die Motorräder, zu Fuß sind wir wendiger.“, rief das Mädchen nun. Und damit sollte sie Recht behalten. Maxi hatte die Kugel nun viel besser unter Kontrolle und konnte sie vor den Silberlichten beschützen. Doch schließlich hatte sich die ganze Gegnermannschaft um ihn versammelt. „Verflixt nochmal! Maxi braucht Hilfe.“, verdeutlichte Raban lauthals. Jetzt kam ich ins Spiel. Ich stieg auf mein Motocross, um schneller in die Nähe von „Tippkick“ zu kommen. Wie ein Blitz preschte ich auf ihn zu uns sprang schließlich von meinem Gefährt ab. „Spiel zu Yara!“, half Vanessa dem Jungen jetzt auf die Sprünge, „Zeig ihr den härtesten Bumms.“ „Tippkick“ visierte mich. Er holte aus, schoss über die Silberlichten und ging zu Boden. Der Ball kam mit Lichtgeschwindigkeit auf mich zu. Ich nahm ihn an und schoss ihn direkt weiter zu Joschka. Der passte ihn zu Leon, doch Marlon erschien plötzlich hinter seinem Bruder. Mit seinem Motorrad schubste er den Slalomdribbler ins Steppengras. „Das war ein Foul!“, beschwerte sich Raban, doch die Nummer 10 erwiderte nur: „Das sind die Regeln. Es ist alles erlaubt. Das war das zweite Mal, dass ich besser war als du.“ Marlon stieg ab und ging auf Leon zu, der protestierte: „Aber am Ende gewinnt immer nur einer.“ Auch er rannte auf seinen Bruder zu, doch der gab nur zurück: „Und das bist dieses Mal nicht du. Gewöhn dich schon mal ans Verlieren, Verräter.“ Damit ergriff er mit dem Ball die Flucht vor seinem wütenden Bruder. Raban stellte sich ihm in den Weg: „Du bist der Verräter.“ Doch Marlon schob ihn einfach beiseite. Der rothaarige Junge ging neben mir zu Boden. Geschockt half ich ihm auf und stand dann wie angewurzelt da. Wie konnten sich Geschwister nur so sehr hassen? Plötzlich erschien der Rest der Silberlichten. Vanessa und Joschka schnappten sich Horizon, sodass sie sich nicht mehr wehren konnte. Da rannte Jaromir an uns vorbei. Maxi stürzte sich auf ihn wie ein hungriges Raubtier und Eriks Bruder fiel. Ich kam „Tippkick“ zur Hilfe. Zusammen drückten wir den protestierenden Jungen zu Boden. Plötzlich blieb Leon stehen. Er stoppte die Verfolgung seines Bruders und stand regungslos da. „Willst du, dass wir verlieren?“, fragte Vanessa vorwurfsvoll. Doch die Stimme des Slalomdribblers war ganz ruhig: „Ich hab schon verloren. Hörst du mich Marlon? Du bist besser als ich. Aber nur, weil ich ohne dich spiele. Und für dich gilt das selbe, verflixt nochmal, spürst du das denn nicht? Marlon, du bist mein Bruder. Ohne dich hab ich alles verloren. Doch mit dir zusammen haben die keine Chance. Und du kannst Horizon endlich zeigen, dass du der Beste bist.“ Ich wusste nicht, ob er diese Worte sagte, weil er gewinnen wollte oder ob sie tief aus seinem Herzen kamen. Doch Marlon drehte sich um und hörte seinem Bruder aufmerksam zu. Die Silberlichten schrien und wollten ihr neues Mitglied davon abhalten. Doch auf dem Gesicht der Nummer 10 entstand ein Lächeln und schließlich übergab er Leon den Ball. „Und jetzt schießen wir die Silberlichten direkt auf den Mond.“, wandte dieser sich nun wieder an uns. Damit schoss er das Leder zu Maxi. Mit vier Motorrädern im Schlepptau dribbelte er es über das Spielfeld. Dann passte er zu Leon. Zusammen bewegten sie sich auf das Tor der Gegner zu. Doch Jaromir zog an einem Seil, das im Boden verankert war. Urplötzlich erhob sich seine riesige Wand aus Fangspießen vor uns und versperrte unser Ziel. Jetzt lag alles an Marlon. Er fuhr direkt auf das Hindernis zu und rief nervös nach Klette und Nerv. Ich hätte mit am liebsten die Augen zugehalten. Doch unsere jüngsten Mitglieder sprangen aus dem Steppengras hervor. Nervs Kart trug eine eingeklappte Rampe, die wir gestern gemeinsam gebaut hatten. Der Junge und das Mädchen klappten sie nun aus und befestigten sie in den Pfeilern, die vorne am Gefährt befestigt waren. Jetzt schoss Leon ab. Gleichzeitig traf sein Bruder auf die Rampe. Er gab Gas und ließ schließlich seinen Untergrund hinter sich. Er schwebte in der Luft und die Zeit schien zu stehen. Der Ball bewegte sich immer weiter auf ihn zu. Er traf ihn und das Leder flog direkt in die Richtung des Tors. Der Torwart der Silberlichten rannte auf die Kugel zu, doch er sprang nicht hoch genug. Sie segelte über ihm ins Netz. Das war ein Treffer! Wir sprangen in die Luft. Marlon landete, stieg ab und lief wie der Rest der wilden Kerle auf Leon zu. Ich kam als eine der Letzten an und die anderen hatten bereits einen Kreis gebildet. Maxi entfernte sich von Markus, sodass sich eine Lücke bildete. Ich gesellte mich dazu und spürte „Tippkicks“ festen Griff, als er seinen Arm um mich legte. Wir lachten und sprangen auf und ab. Mein Herz flatterte wie ein Kolibri und kitzelte mich. Als ich in die glitzernden Augen der anderen sah spürte ich wie viel mir meine Mannschaft bedeutete. Denn mit ihnen war ich immer Zuhause. Egal wann und egal wo.

~Meine Beine, meine Seele~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt