Kapitel 28

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Wir lösten uns aus der Umarmung. Ein Lächeln lag auf unseren Gesichtern und ich konnte immer noch nicht glauben, dass wir wirklich gegen die Silberlichten gewonnen hatten. Besser konnte es nicht werden. „Sind wir jetzt gut genug, dass du mit uns feierst?“, wandte sich Marlon nun an Horizon und schaute sie verliebt an. Doch die starrte ihn nur schweigend an und fuhr dann davon. Ihre Mannschaft folgte ihr und ließ uns allein zurück. Die Hoffnung wich aus dem Gesicht des Jungen und ließ auch unsere Freude verblassen. Erst jetzt hörten wir unsere knurrenden Mägen und spürten unsere schmerzenden Beine. Gemeinsam suchten wir Feuerholz und Steine. Anschließend begaben wir uns zurück in unser provisorisches Lager. Schnell war das Lagerfeuer entfacht und wir umringten es erschöpft. Mr. Top und Mr. Secret brachten ihre neuste Erfindung mit. Die Raban-und-Joschka-Überraschungssnacktüten. Die besten Freunde versuchten unsere gute Laune zurückzubringen. Joschka nahm eine der silbrigen Päckchen und ließ sie platzen: „Ihr müsst einfach die Tüte aufreißen. Hmm, ich hab Spinatknödel mit Tomatensauce.“ „Und ich hab Rosenkohlbällchen in Heringsaspik.“, stellte Raban grinsend fest. Wir sahen uns angeekelt an und das Lachen verschwand wieder aus dem Gesicht des Jungen: „Hey, das sollte ein Witz sein.“ „Der war gar nicht mal so schlecht.“, ertönte eine Stimme hinter uns. Wir drehten uns um und erblickten Horizon, die auf uns zukam. Doch das Mädchen hatte nur Augen für Marlon: „Können wir reden?“ Der Junge schwieg und musterte sie. Dann stand er auf und folgte ihr. Für einen Moment verweilten wir still auf unseren Plätzen. Doch nach ein paar Minuten hielten Klette und Nerv es nicht mehr aus. Sie sprangen auf und stürzten den Beiden hinterher. Aus der Entfernung konnten wir sehen, wie sie sich zwischen ein paar Büschen und einem großen Nadelbaum versteckten. Vanessa grinste: „Das ist mal wieder typisch.“ „Klette und Nerv müssen echt überall ihre Finger im Spiel haben.“, ergänzte Markus nun lachend. Raban nickte: „Es ist unglaublich, wie schnell sie sich angefreundet haben. Vor ein paar Tagen hat Nerv sich noch geweigert mit Klette auch nur ein Wort zu wechseln.“ „Glaubt ihr, dass da mehr als Freundschaft zwischen den Beiden ist?“, gab Leon nun zu bedenken, doch Maxi gluckste: „Niemals. Ich glaube, dass Nerv nicht mal den Begriff ‚Liebe‘ kennt. Für ihn gibt es nur Fußball, die Mannschaft und seinen Matrosenanzug.“ Wir prusteten los. Langsam kam das Leben ins uns zurück und auch die Freude glühte wieder auf. Wir hielten Joschkas und Rabans neuste Erfindung über die hungrigen Flammen und unterhielten uns angeregt.

Es schwebte erneut Stille über unserer Mannschaft. Mit vollen Bäuchen saßen wir noch immer versammelt da. Von dem lodernden Lagerfeuer war nur noch eine erbärmliche Glut übrig geblieben. Leise pustete ein kalter Wind über die flache Landschaft und ließ uns zittern. Vanessa rückte nun dicht an Leon, der einen Arm um sie legte und sie verliebt anlächelte. Der Rest von uns schaute sich erleichtert an. Endlich hatten die Beiden sich vertragen und waren wieder ein Herz und eine Seele. Mein Blick huschte zu Maxi, der in genau diesem Moment seine Hand zu mir ausstreckte und mich mit seinem berühmten lautlosen grinsenden Lächeln ansah. Ich errötete und erwiderte es automatisch. Dann legte ich meine Hand in seine und rückte näher zu ihm. Unsere Blicke verwoben sich und in seinen tiefbraunen Augen konnte ich meine eigene Spiegelung erkennen. Langsam strich mir „Tippkick“ eine Haarsträhne aus dem Gesicht und zog mich dann an sich heran. Genießend schloss ich meine Augen, als sich unsere Lippen berührten. Eine wunderschöne Wärme breitete sich in mir aus und schenkte mir Geborgenheit. Als Maxi und ich uns wieder voneinander lösten, mussten wir lachen. Leons Kinnlade war heruntergeklappt und Vanessa sah mindestens genauso überrascht aus. Auf Markus‘ Gesicht schlich sich jetzt langsam ein Grinsen. Raban wandte sich zu Joschka und hielt ihm seine Hand hin. Der zog seufzend einen zerknitterten 10 Euroschein aus seiner Hosentasche und übergab ihn dem Jungen, der sich jetzt zu uns umdrehte und mir lächelnd zuzwinkerte. Ich konnte es kaum glauben. Da hatten die besten Freunde doch tatsächlich eine Wette abgeschlossen. Maxi legte jetzt einen Arm um mich und lehnte vorsichtig seinen Kopf gegen meinen. Mit seiner Körperwärme beschützte er mich vor dem eiskalten Wind der Steppe.

Leon starrte mit trüben Augen dem Horizont entgegen. Mit seinen Händen hielt er fest die Griffe seiner Motocross Maschine. Wir anderen trugen schon unsere Helme und waren bereit zum abreisen. Nerv und Klette waren längst wieder zurück. Aber mit ihnen waren auch die schlechten Nachrichten gekommen. Horizon und Marlon waren verschwunden. Sie hatte ihn gefragt, ob er mit ihr kommen wolle und er hatte eingewilligt. So hatte es zumindest unser jüngstes Mitglied erzählt. Das tat uns allen weh, aber für Leon musste das die Hölle sein. Er hatte sich erst heute morgen mit seinem Bruder vertragen und nun musste er ihn vielleicht für immer zurücklassen. „Leon?“, ergriff jetzt Vanessa das Wort und sah ihren Freund mitfühlend an. Dieser schwieg eine Zeit und antwortete dann: „Wir fahren.“ Er stieg auf sein Motocross und wollte Gas geben. Doch plötzlich erschien ein weiteres Gefährt. „Das wurde aber auch Zeit.“, grinste Marlon und zauberte seinem Bruder damit auch ein Lächeln aufs Gesicht, „Ich hab schon gedacht, ich muss für immer hier bleiben.“ „Und was ist mit Horizon?“, sprach ich nun die entscheidende Frage aus. Marlon drehte sich zu mir um: „Ja die kommt auch mit.“ Das Mädchen fuhr neben den Brüdern vor. „Genau so wie Klette.“, ergänzte Nerv und die Beiden schlugen ein. Ich sah zu Maxi und blickte in seine leuchtenden Augen. „Worauf warten wir dann noch?“, rief unser Anführer und gab Gas. Wir folgten ihm und ließen die Steppe und die Silberlichten – zumindest die meisten – hinter uns.

Der Mond schien bereits hell am Himmel, als Maxi, Markus, Nerv, Klette und ich durch die Straßen Grünwalds fuhren. Der Rest der wilden Kerle war bereits Zuhause und schlief vermutlich friedlich. Ich seufzte und hielt an. „Was ist los?“, kam es von hinten. „Ich will nicht, dass diese Reise schon zu Ende ist.“, antwortete ich Maxi ohne mich umzudrehen. Markus grinste: „Na dann los. Kommt mit!“ Damit drehte er um und fuhr in die entgegengesetzte Richtung. Wir folgten seiner Anweisung und kamen schließlich am Teufelstopf an. Der Hexenkessel aller Hexenkessel lag verlassen vor uns. Langsam fuhren wir den Hügel hinab und stiegen von unseren Maschinen. Auch wenn wir am liebsten die ganze Nacht wach geblieben wären zerrte die Müdigkeit und Anstrengung an uns. Deswegen legten wir uns in Willis alten Kiosk, der immer noch so aussah wie vor drei Jahren, als ich ihn das erste Mal betreten hatte. Nur Spinnenweben waren hinzugekommen. Ich hörte den tiefen Atem der anderen, doch der Schlaf wollte mich einfach nicht packen. Leise stand ich auf und schlich auf Zehenspitzen aus unserer Unterkunft. Langsam stieg ich auf den Hügel, während meine Füße das kalte Gras berührten. Ich setzte mich und zog meine Knie an meinen Oberkörper heran, während ich sie mit meinen Armen umfasste. Der kalte Wind strich um meine Schultern und zauberte eine Gänsehaut auf meine Arme. Ich schaute staunend in den Himmel, in dem der Mond und tausend Sterne schimmerten. Es war eine wolkenlose Nacht. Die vertrauten Bäume rauschten und eine Eule rief. Da ertönten leise Schritte von hinten. Eine Jacke wurde um meine Schultern gelegt und Maxi setzte sich neben mich. Ich schmunzelte. Eine Ewigkeit starrten wir nur schweigend in die kühle Nachtluft und beobachteten das Himmelszelt. „Ich wünsche mir, dass dieser Sommer niemals endet.“, sprach ich nun. „Tippkick“ flüsterte so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte: „Das wünsche ich mir auch.“

~Meine Beine, meine Seele~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt