Kapitel 9

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Ein paar Stunden später erwachte er schon wieder und er musste feststellen, dass Biggi nach wie vor tief und fest schlief. Sie brauchte es demnach wohl dringend und das konnte Thomas sehr gut verstehen. Allerdings musste er ganz dringend mal ins Bad und obwohl es ihm leid tat, musste er nun aufstehen. Behutsam löste sich Thomas aus Biggis Umklammerung und verließ das Bett. Sie schlief einfach weiter, jedenfalls für den Moment. Thomas deckte Biggi wieder richtig zu und zog sich wenigstens seine Boxershorts über. Noch ziemlich müde trottete er ins Bad und schloss die Tür hinter sich.
Durch das Geräusch, welches das Schloss der Badezimmertür gewöhnlich machte, wachte Biggi schließlich auf. Verwirrt sah sie sich um. Ihr Kopf dröhnte und ihr war schwindelig und auch noch ein wenig schlecht. Alleine war sie nicht, denn ansonsten wäre ja gerade niemand ins Bad gegangen und auf einmal fiel ihr alles wieder ein.
Der Streit am Set, der Alkohol, der Besuch von Thomas und der Kuss. 'Der Kuss!', schoss es Biggi durch den Kopf und schlagartig setzte sie sich auf. Sie entdeckte trotz des spärlichen Lichts im Zimmer die Kleidung, die überall verteilt herum lag. Um sich jedoch sicher zu sein, dass es wirklich ihre war, riskierte Biggi einen Blick unter die Bettdecke. Sie war tatsächlich nackt. Bruchstückhaft kehrten Erinnerungen zurück, aber nur zusammenhanglos. Biggi konnte sie nicht einordnen. War nur sie betrunken gewesen oder beide? Hatte er angefangen oder sie? Wie lang hatte sie geschlafen?
Diese Frage konnte sie sich allerdings mit einem Blick auf ihren digitalen Wecker beantworten. Es war kurz vor 15 Uhr, also Nachmittag. Und bei einer Sache war Biggi sich trotz ihres noch ziemlich vernebelten Verstandes definitiv sicher. Thomas und sie hatten miteinander geschlafen und als Biggi das nun tatsächlich bewusst wurde, unterdrückte sie ein Schluchzen. Mit zittriger Hand fuhr sie sich durch die kurzen Haare. 'Du bist das Allerletzte!', rügte Biggi sich selbst. 'Er ist verheiratet, verdammt nochmal und du liebst ihn nicht!' Doch stimmte das wirklich? Irgendetwas musste zwischen ihnen ja sein, ansonsten wäre das doch nie passiert.
Für den Moment allerdings war Biggi wie gelähmt. Sie konnte einfach nicht mehr klar denken und das obwohl sie bis jetzt überall, aus jeder heiklen Situation, irgendwie wieder raus gekommen war. Gerade war sie ratlos. Schließlich beschloss Biggi aufzustehen und sich erstmal anzuziehen. Sie hatte sich gerade aus dem Bett gekämpft, als Thomas wieder kam und schnell schnappte Biggi sich die Bettdecke, um sich damit einzuhüllen. Für einen kurzen Moment sahen sich die beiden nur an.
"Du bist ja wach.", stellte Thomas fest. "Und du solltest jetzt gehen!", antwortete Biggi bestimmt. "Findest du nicht, dass wir darüber reden sollten?", fragte Thomas vorsichtig. "Da gibt es nichts zu reden! Nimm dein Zeug und dann raus hier!", herrschte Biggi ihn an und bereute es sofort, da ihr durch das Schreien ein stechender Schmerz durch den Kopf jagte. "Au!", japste sie und rieb sich mit einer Hand die rechte Schläfe. Mit der anderen versuchte sie derweil die Decke dort zu halten, wo sie war. Bei dem Gedanken, dass er sie nackt gesehen hatte, wurde Biggi noch schwindeliger. Sie hatten sich am Set geküsst und hätten dort bereits eine Liebesszene drehen sollen, das hätte ihr nichts ausgemacht. Aber das hier war echt gewesen. Es war wirklich passiert und sie hatten einen riesengroßen Fehler begangen. Kein Drehbuch hatte ihnen vorgeschrieben, wie sie sich hatten verhalten sollen. "Alles okay?", fragte Thomas. "Du wirst einen Kater haben. Vielleicht legst du dich besser wieder hin und.."
Während Thomas sich Sorgen um Biggi machte, wurde diese nur noch wütender. "Verschwinde!", knurrte sie mit zusammengebissenen Zähnen. "Ich brauche deine Ratschläge nicht!", stellte sie klar. "Biggi..", setzte Thomas an, doch die Schauspielerin blieb hart. Sie wusste gerade selbst nicht, wie sie damit klarkommen sollte, deshalb wollte sie jetzt auch auf keinen Fall mit Thomas reden.
"Jetzt reicht's!" Biggi hob eilig seine Klamotten vom Boden auf und lief durch den Flur zur Wohnungstür. Diese öffnete sie und anschließend warf sie die Kleidungsstücke hinaus in den Hausflur. Thomas war ihr gefolgt und lief natürlich nach draußen, um sie aufzuheben. Daraufhin knallte Biggi die Tür zu.
Danach atmete die Schauspielerin schwerfällig ein und aus. Sie hatte das Gefühl, das Bild vor ihren Augen würde verschwimmen, weshalb sie sich erschöpft gegen die Tür lehnte. Thomas hob derweil eilig seine Hose auf und zog sie sich an. Auch das T-Shirt streifte er sich über, ehe er an Biggis Wohnungstür klopfte. "Biggi, lass uns reden!", bat er sie, doch er erhielt darauf keine Antwort. "Ich bitte dich, sei vernünftig!", versuchte er es weiter. "Hau ab!", schrie Biggi und aufgelöst ließ sie sich auf den Boden gleiten. Mit nichts weiter als der Decke um den Körper war ihr kalt und ihr Kopf machte den Eindruck, als würde er gleich platzen. Ihr war so unsagbar schlecht und das nicht nur wegen dem Kater, den sie hatte, sondern auch wegen der Schuld- und Schamgefühle die sie plagten. Sie hatte mit ihrem Kollegen geschlafen. Einen verheirateten Mann, dessen Frau eine Furie war und sie sowieso schon hasste. Die ganze Zeit war Vera eifersüchtig gewesen und das ohne Grund, aber jetzt war es doch tatsächlich passiert.
Während Biggi versuchte, sich krampfhaft an irgendetwas zu erinnern, versuchte Thomas weiterhin sie zu einem Gespräch zu bewegen. Jedoch schwieg Biggi und weinte leise vor sich hin. Irgendwann konnte sie das Schluchzen jedoch nicht mehr unterdrücken. "Biggi, komm schon.. wir sollten darüber sprechen, meinst du nicht? Ich hör doch, dass du weinst und das will ich nicht. Es gibt auch keinen Grund und das würdest du wissen, wenn du mir nur die Chance für ein Gespräch geben würdest. Und außerdem liegen meine Autoschlüssel noch irgendwo bei dir in der Wohnung, kann das sein?"
Erneut schwieg Biggi. Sie wollte nicht reden, sondern alles ungeschehen machen, was jedoch unmöglich war. Langsam erhob sie sich vom Boden und schlich regelrecht zurück ins Schlafzimmer. Sie schaltete das Licht an und fand das Bett komplett durchwühlt vor. Eben so, wie es nach einer Liebesnacht nun mal meistens aussah. Zwischen ihren Kleidungsstücken auf dem Boden fand sie tatsächlich einen Schlüsselbund, der Thomas wohl aus der Hosentasche gefallen war. Damit kehrte sie zurück zur Tür, öffnete sie einen Spalt, warf den Schlüssel nach draußen und verbarrikadierte sich wieder.
Das geschah alles innerhalb von Sekunden, sodass Thomas keine Chance hatte zu reagieren. Er hob seinen Schlüsselbund auf und klopfte erneut an die Tür. "Biggi, ich bitte dich.. Wir müssen miteinander reden und zwar dringend!" Doch es blieb still. Biggi stand nach wie vor an ihrer Wohnungstür und hörte Thomas natürlich, jedoch wollte sie nicht mit ihm sprechen. Sie musste jetzt erstmal selbst verarbeiten, was passiert war und vor allem musste sie sich erstmal wieder daran erinnern. Thomas setzte erneut zum Klopfen an, ließ es dann jedoch bleiben. Er seufzte.
"Okay, ich fahr dann mal.", teilte er Biggi mit. "Aber wenn du doch reden willst, dann ruf mich jederzeit an. Und ansonsten sehen wir uns am Set." Er wartete kurz ab, aber auch jetzt kam keine Antwort. Deshalb ging Thomas die Treppen hinunter und saß kurz darauf im Auto. Biggi war erleichtert, als sie unten die Haustür zufallen hörte und gleich danach ein Motor aufheulte. Thomas war tatsächlich gegangen und nun hatte sie die Möglichkeit, über alles nachzudenken.
Aber zuerst wollte die Schauspielerin duschen gehen. Sie hoffte, dass sie sich dann besser fühlen würde, dem war allerdings nicht so. Auch nachdem sie geduscht und frisch angezogen war, verging dieses Gefühl von Ekel nicht, das sie sich selbst gegenüber empfand. Die Kopfschmerzen ließen ebenfalls nicht nach, weshalb Biggi erstmal eine Aspirin einnahm und sich dann daran machte, das Schlafzimmer aufzuräumen. Sie sammelte langsam ihre Klamotten ein und bezog danach das Bett neu. Und während sie das tat, kehrten nach und nach die Erinnerungen an die vergangene Nacht zurück.
Sie war betrunken gewesen und Thomas hatte sich rührend um sie gekümmert. An den Alptraum konnte sie sich ebenfalls erinnern, auch an den ersten Kuss und letztendlich auch an alles andere. Ihr Herz begann wie wild zu klopfen, als sie an ihren Kollegen dachte. Denn es war leider nicht schlecht gewesen. Wäre es das gewesen, hätte es ihr das leichter gemacht, die Sache zu vergessen. Nur würde sie das nicht können, nie wieder. Das wusste Biggi ganz genau. Denn auch wenn sie es sich nicht eingestehen wollte, war das zwischen Thomas und ihr nicht ganz ohne Gefühle passiert. Gefühle, die erst jetzt nach und nach zum Vorschein kamen.
Biggi versuchte sie abzuschütteln, allerdings ging das nicht so einfach. Vor allem da nach und nach die einzelnen Bilder in ihrem Kopf Sinn ergaben, bis sie sich letztendlich komplett an alles erinnern konnte. Und sie kam zu der bitteren Erkenntnis, dass es gut gewesen war. Sie hatte gehofft, dass es aufgrund ihres Alkoholrauschs und der Tatsache, dass sie schon länger keinem Mann mehr nahe gekommen war, der reinste Reinfall gewesen war. Doch es war das völlige Gegenteil geschehen, jedenfalls ihrer Meinung nach. Für Thomas konnte Biggi nicht reden, aber für sich und sie musste sich eingestehen, dass es ihr zu allem Überfluss auch noch gefallen hatte. Es wäre alles leichter gewesen, wäre es unangenehm für sie gewesen. So hätte sie es vielleicht einfacher vergessen, beziehungsweise abhaken können. Und sie hätte Thomas für alles verantwortlich machen können, was nun aber nicht mehr ging. Sie hatte mit gemacht und das nicht nur, weil sie betrunken gewesen war. Das musste Biggi nun auch zugeben. Und sie fragte sich, wie das bei der Arbeit in Zukunft funktionieren sollte, aber eine Antwort darauf fand sie nicht.
Nachdem das Schlafzimmer wieder so aussah, als wäre nie etwas passiert, begab sich Biggi ins Wohnzimmer und legte sich auf die Couch. Eigentlich musste sie noch den ganze Text für die kommende Drehwoche lernen, stattdessen wollte die Schauspielerin einfach nur noch schlafen und vergessen. Ersteres klappte nicht auf Anhieb und zweiteres schon gleich gar nicht. Ihre Gedanken drifteten immer wieder ab, bis sie letztendlich gar nicht mehr gegen sie ankämpfen konnte.
Biggi erinnerte sich daran, wie wohl sie sich in den Armen ihres Kollegen und Freundes gefühlt hatte. An die liebevollen Worte und die Zärtlichkeiten, mit denen er sie nach allem in den Schlaf begleitet hatte. So geborgen, wie in der vergangenen Nacht bei ihm, hatte sie sich noch nie gefühlt. Und ihr wurde bewusst, dass sie sich genau danach gesehnt hatte. Doch das war das erste und auch das letzte Mal mit ihm gewesen. Nochmal durfte das nicht passieren und das würde es auch nicht.
Und davon überzeugt schlief Biggi schließlich ein.

Fürs echte Leben gibt's nun mal kein DrehbuchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt