Kapitel 13

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Biggi blieb erstmal dort, wo sie war. Sie fühlte sich wie, als wäre sie plötzlich versteinert. Hatte Thomas gerade tatsächlich gesagt, dass er sie liebte? Die Schauspielerin konnte es nicht fassen. Die ganze Zeit schon war sie sich nicht im Klaren darüber gewesen, was genau das zwischen ihnen war. Vielleicht nur eine kleine Affäre, ein bisschen Spaß oder doch etwas mehr?
Sie hatte zu Beginn beschlossen, sich einfach darauf einzulassen. Auf ihn und das Ganze, was noch so kommen würde. Aber damit hatte Biggi nicht gerechnet, vor allem nicht bei einem Streit, dessen Grund Thomas offensichtlich sehr nah ging. Laut ihm war das zwischen Vera und ihm keine Ehe mehr, diese existierte für ihn nur noch auf dem Papier und ansonsten nicht mehr. Doch ein Liebesgeständnis und vor allem ein so plötzliches, dass sich trotzdem unglaublich aufrichtig angehört hatte, hatte Biggi nicht kommen sehen. Und nun, nachdem Thomas sauer den Raum verlassen hatte, musste sie ihre Gedanken erstmal wieder sortieren.
Ihr wurde bewusst, dass sie Mist gebaut hatte. Ziemlich großen sogar, denn diesen Blick von ihm würde sie so schnell nicht mehr vergessen. Er hatte verletzt gewirkt, aber dennoch hatte da gleichzeitig so eine gewisse Zuneigung in seinen Augen gelegen. Es war alles so absurd, aber dennoch kam Biggi nur zu dem Ergebnis, dass Thomas seine Worte gerade ernst gemeint hatte. Und sie hatte es mit ihrer direkten Art verdorben, anstatt ihm die Gelegenheit zu geben, ihr zu sagen warum er sich so gegen diese bevorstehende Szene gesträubt hatte. Aber jetzt war es zu spät. Thomas war weg und sie konnte die Dreharbeiten unmöglich absagen, denn das würde man in ihrer Situation unmissverständlich als Arbeitsverweigerung betrachten und dann war sie raus. Genau deswegen durfte auch keiner von ihrer Beziehung zu Thomas wissen, ansonsten waren sie beide fällig.
Und Biggi überlegte angestrengt, ob man das zwischen ihnen überhaupt so nennen durfte. Beziehung. Das war meistens eine Bindung zwischen sich zwei liebenden Menschen und je länger sie da saß, desto sicher wurde sie sich in einer Tatsache. Sie liebte ihn auch und zwar sehr. So sehr, dass sie nun Angst hatte, ihn zu verlieren.
Noch eine ganze Weile blieb Biggi alleine in ihrer Kabine sitzen. Mit jeder Minute, die verstrich, hoffte sie auf Thomas' Rückkehr. Aber vergeblich. Sie hatte sich inzwischen wieder etwas angezogen und auf dem Sofa in die Decke ein geigelt. Ihr war nach Weinen zumute, aber noch riss sie sich zusammen. In ein paar Minuten musste sie in der Maske sitzen und man würde ihr sofort anmerken, dass sie geweint hatte. Das wollte die jedoch nicht, also biss sie die Zähne zusammen und setzte ein Lächeln auf, bevor sie schließlich auf den Gang hinaus trat.
Auf dem Weg zur Anprobe versuchte Biggi so gut wie jedem aus dem Weg zu gehen, obwohl sie insgeheim hoffte, Thomas zu begegnen. Sie musste unbedingt mit ihm reden und ihm sagen, dass es ihr leid tat und dass sie für ihn genau dasselbe empfand. Aber das würde wohl warten müssen, bis die Szene im Kasten war.
Biggi ließ die Anprobe, sowie das Schminken wortlos über sich ergehen und begab sich dann zum Set. Ihre Kleidung war schon jetzt knapp bemessen, weshalb sie sich in einen Bademantel gehüllt hatte und auf Anweisungen wartete. Kurz vor Beginn der Dreharbeiten kam ihr Kollege auf sie zu, um noch ein paar Einzelheiten besprechen zu können. Als der Regisseur schließlich eintraf, ging es los.
Biggi versuchte so professionell wie immer zu wirken, aber zum ersten Mal seit Beginn ihrer Karriere, war ihr die Situation äußerst unangenehm. Sie brauchten drei Anläufe, bis annähernd etwas brauchbares Filmmaterial dabei war, zufrieden war der Regisseur aber noch lange nicht und so wurde die Szene immer und immer wieder wiederholt. Als plötzlich Thomas auftauchte, versteifte sich Biggi letztendlich komplett und die Situation sah eindeutig nicht mehr romantisch aus. Die Schauspielerin sah den Schmerz und die Enttäuschung im Blick ihres Geliebten und als er wieder verschwand, konnte sie sich nur schwer zurück halten, ihm nicht hinterher zu rennen.
Dennoch stieß sie Alexander schließlich von sich, der gerade dabei gewesen war, sie erneut küssen zu wollen. Eben das zu tun, was das Skript sagte. Doch Biggi konnte es nicht mehr ertragen, diese Szene noch einmal wiederholen zu müssen. Das war ihr nun einfach zu viel.
Doch als Biggi den irritierten Blick ihres Kollegen und dann auch die Blicke der anderen Anwesenden bemerkte, realisierte sie, dass was gerade geschehen war. "Schnitt!", rief der Regisseur und die Kamera wurde abgeschaltet. "Entschuldige.. ich, ich.. mir geht's auf einmal nicht besonders gut und.. Oh man, es tut mir so leid!", stammelte die Schauspielerin, da sie nicht wusste, wie sie mit der Situation umgehen sollte. Sie rechnete schon mit einem erneuten Donnerwetter von ihren Vorgesetzten und auch schon mit ihrem Rauswurf. Beschämt schaute sie zu Boden.
Alexander merkte, dass mit seiner Kollegin etwas nicht stimmte und deshalb hob er schnell den Bademantel vom Boden auf und legte ihn Biggi um die Schultern. "Es ist alles okay, ich regle das schon.", meinte der Schauspieler in Anbetracht der Tatsache, dass der Regisseur nun auf die beiden zu kam.
"Wo ist das Problem?", wollte er wissen und Biggi war froh, als ihr Kollege antwortete. "Ich glaube Biggi fühlt sich nicht gut.", erklärte er dem Mann, der sie beide mit strengem Blick musterte. "Inwiefern?", fragte der Filmemacher. "Mir ist auf einmal so schlecht.", erklärte Biggi und das war nicht einmal gelogen. "Es wäre wahrscheinlich besser, wenn wir für heute Schluss machen. Wir haben die Szene jetzt öfter wiederholt, ist da denn nichts verwertbares dabei?", erkundigte sich Alexander und ihr Chef gab nach. "In Ordnung, das war's für heute. Wir werden das schon irgendwie schneiden können, das es passt. Danke für ihre Geduld und ihnen gute Besserung, Frau Schwerin."
Biggi nickte ihm dankend zu und als der Regisseur weit genug weg war, rutschte sie von dem Tisch hinunter, auf dem sie die ganze Zeit gesessen war, nur um diese eine Szene zu spielen. "Ich danke dir.", sagte Biggi nun an Alexander gewandt. "Dafür nicht.", antwortete dieser. "Ich hoffe nur, es liegt nicht an mir, dass du dich nicht wohl fühlst." Da die beiden nun schon das ein oder andere Mal gemeinsam gespielt hatten, war Alexander gleich aufgefallen, wie verkrampft Biggi gewesen war. "Nein, es ist nur.. ich hab privat im Moment ein paar Probleme und die machen mir zu schaffen.", erklärte Biggi und auch das entsprach irgendwie komplett der Wahrheit.
Letztendlich kehrte Biggi ein paar Minuten später bereits in ihre Umkleide zurück. Glücklicherweise waren alle anderen noch am Drehen oder anderweitig beschäftigt, sodass sie wenigstens keinem über den Weg gelaufen war. Schon als sie durch den letzten Flur zu ihrer Kabine gelaufen war, hatte die Schauspielerin ihre Tränen nicht mehr zurück halten können und kaum hatte Biggi die Tür hinter sich geschlossen, verlor sie jegliche Beherrschung. Und bis ihre Tränen versiegten, dauerte es eine ganze Weile.
Als Biggi sich wieder weitestgehend beruhigt hatte, begann sie ihre Sachen zusammen zu packen und ein wenig aufzuräumen. Sie wollte einfach nur noch nach Hause und war am Überlegen, sich für ein paar Tage krankschreiben zu lassen. Das würde zwar bedeuten, dass sich der Drehplan verschieben würde, aber das war ihr gerade egal. Sie musste nachdenken. Über alles, was in ihrem Leben gerade los war und vor allem, ob das mit ihr und Thomas wirklich so weiter laufen durfte. Er war schließlich verheiratet und auch wenn er behauptete, dass diese Ehe nur noch auf dem Papier existierte, da war sie trotzdem.  Und sein Geständnis von vorhin wusste sie auch nicht ganz einzuordnen. Ihr Kopf war einfach nur voll und deshalb war sie nicht mehr in der Lage, rational zu denken.
Als sie schließlich hinaus zu ihrem Auto ging, geschah das genauso unbemerkt, wie ihre Flucht vom Set vorhin. Zuhause angekommen verkroch sich die junge Frau gleich in ihr Bett und lag dort weinend für zwei Stunden wach, bis sie sich entschloss ausnahmsweise mal wieder eine Schlaftablette zu nehmen. Aber auch damit dauerte es noch sehr lange, bis sie in einen eher unruhigen Schlaf fiel.

Fürs echte Leben gibt's nun mal kein DrehbuchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt