Kapitel 22

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Es vergingen Tage und schließlich ganze zwei Wochen. Biggi war jeden Tag zur Arbeit gegangen, hatte so getan als wäre alles in Ordnung, obwohl es ihr schlechter denn je ging. Schauspielerin zu sein hatte definitiv seine Vorteile, denn dadurch konnte Biggi all ihre wahren Gefühle verbergen.
Und während sie sich nachts die Augen aus dem Kopf heulte, tat sie am Set so, als wäre alles normal. Jedenfalls tat sie das so gut sie konnte. Ihre Kollegen kannten sie jedoch inzwischen so gut, dass es gar nicht so einfach war, ihnen etwas vor zu machen. Vor allem Karin und Peter merkten, dass etwas mit Biggi nicht stimmte. Jedoch beteuerte sie ihnen immer wieder, dass sie sich das alles einbilden würden.
Thomas hatte sich noch immer nicht am Set blicken lassen, jedenfalls bis zu diesem heutigen Tag. Am Morgen folgte eine Sprechprobe, bei der Biggi starr auf ihr Skript schaute, um Thomas nicht ansehen zu müssen. Biggi tröstete sich mit dem Gedanken daran, dass Thomas sowieso nur noch ein paar wenige Tage am Set sein würde. Bald würde er seinen letzten Drehtag haben und sie musste ihn nie wieder sehen.
Vor der Kamera agierten sie so professionell wie immer, doch dahinter redeten sie den ganzen Tag lang kein einziges Wort miteinander. Es sei denn, das Drehbuch gab es vor und das war nun mal nur während des Drehs der Fall.
Thomas war inzwischen wieder zu Hause eingezogen und Vera und das Baby waren mittlerweile auch aus dem Krankenhaus entlassen worden. Ein Haus in Deutschland hatten sie auch schon in Aussicht. Es war in unmittelbarer Nähe zu Veras Familie und in wenigen Wochen würden sie Österreich verlassen.
Biggi hingegen hatte vergeblich versucht, ihren Mietvertrag zu verlängern, denn die Wohnung war bereits einem neuen Interessenten versprochen worden. Glück bei der Wohnungssuche hatte sie bisher keines gehabt und so stieg der Druck mit jedem Tag an.
Doch heute musste sie erstmal noch die restlichen Stunden des Drehtags hinter sich bringen, der bis jetzt schon enorm an ihren Nerven gezehrt hatte. Jedoch würde sie heute wohl nicht mehr viel zu tun haben, denn gerade warteten alle auf ihr Stuntdouble, da "Blindflug" heute endlich fertig gedreht werden sollte. Es fehlte nur noch die Szene, in der Biggi von einem Auto aus in den Helikopter kletterte, um ihn sicher zu landen. Denn Thomas, war aufgrund von akuter Blindheit, dazu nicht mehr in der Lage.
Jedoch ließ Biggis Stuntdouble ziemlich lange auf sich warten und als die Frau, die Biggi tatsächlich kaum ähnlich sah, endlich am Set ankam, musste sie zuerst in die Maske. Auch Biggi und Karin wurden nochmal frisch geschminkt.  Karin würde nämlich das Cabriolet fahren, in dem Biggi ebenfalls sitzen würde und von dem aus sie in den fliegenden Hubschrauber übersteigen sollte.
Das ganze war ein verdammt großer logistischer Aufwand. Biggi selbst musste ebenfalls anwesend sein, um die Szenen der Fahrt drehen zu können. Als die im Kasten waren, tauschten Biggi und ihr Stuntdouble die Plätze. Biggi stand ein paar Meter weiter weg und beobachtete das Geschehen, während der Regisseur und die Verantwortlichen für die Kamera mit Karin und der anderen Frau noch ein paar Einzelheiten klärten.
Auch Hans-Jürgen Ostler, der Pilot des Helikopters, war anwesend und ebenfalls bei den Besprechungen dabei. Doch schon während der ersten Szene merkten alle, dass es unmöglich so gehen konnte. Die Frau machte definitiv keinen guten Job und die Szene sah dermaßen gestellt aus, dass man das unmöglich im Fernsehen zeigen konnte. Des Weiteren sah man auf den Videoaufnahmen deutlich, dass es nicht Biggi war, die versuchte vom Autositz aus in den Helikopter zu gelangen. Wieder und wieder sahen sich die Verantwortlichen die Bänder an, doch zufrieden waren sie noch lange nicht.
Biggi stand neben Peter, während Thomas und Michael einige Meter weiter weg standen. Genervt beobachtete Biggi, wie ein weiteres Mal wieder alles auf Anfang zurück versetzt wurde und nun reichte es ihr. "Unglaublich!", murmelte die Schauspielerin und lief ein paar Schritte vor, ehe Peter sie zurück hielt. "Wo willst du denn jetzt hin?", fragte er seine junge Kollegin überrascht. "Meinen Job machen!", erwiderte Biggi. "Ich schau mir dieses Kasperletheater echt nicht mehr länger an!", fügte sie hinzu und ging hinüber zum Regisseur und dem verantwortlichen Kameramann, um ihnen genau das mitzuteilen.
Auch der beauftragte Stuntkoordinator stand bei ihnen und gemeinsam sahen sie sich nochmal die Aufnahmen an. "Das bekommen wir niemals in der Nachbearbeitung hin!", hörte Biggi den Regisseur gerade sagen. "Man sieht ihr Gesicht so deutlich, dass man das unmöglich verbergen kann. Wir müssten dafür ein ganzes Stück raus schneiden, aber dann bleiben ja von der Szene ja nicht mal mehr zehn Sekunden übrig!", regte sich der Filmemacher weiter auf. "Das ist wahr.", stimmte ihm der Kameramann zu und auch die anderen Anwesenden nickten. "Das Material ist wirklich unbrauchbar. Ich frage mich ja sowieso, warum Biggi plötzlich doch ein Stuntdouble braucht. Sonst hat sie es ja auch selbst gemacht.", wandte der Kameramann weiter ein, der nicht bemerkt hatte, dass die Angesprochene nun genau hinter ihm stand. Eigentlich hatte sie das Ganze wirklich wieder rückgängig machen wollen, nur leider war es zu spät gewesen und das Stuntdouble war bereits engagiert worden. Aber nun, nachdem es anscheinend einfach nicht funktionierte, würde Biggi nun doch selbst übernehmen müssen.
"Weil man Biggi es nicht selbst machen lassen wollte, obwohl sie darum gebeten hat, ihrem Stuntdouble doch wieder abzusagen.", sagte die Schauspielerin nun und der Mann vor ihr zuckte zusammen. "Aber da das ja offensichtlich nicht so sonderlich gut funktioniert, würde ich sagen, ich mache das doch lieber selber. Vorausgesetzt, die Herren sind damit einverstanden."
Und das waren sie alle einvernehmlich, weshalb Biggi kurz darauf mit dem Stuntkoordinator und Hans-Jürgen alles genau durchsprach. Thomas beobachtete das Geschehen aus sicherer Entfernung und hatte kein gutes Gefühl, dass Biggi nun offenbar sie Szene doch selbst drehen wollte. Denn auch wenn sie so tat, bei der Sache war sie ganz und gar nicht. Deshalb wollte er ihr auch nochmal ins Gewissen reden. Er musste sich überwinden, um zu ihr zu gehen, aber nichts tun konnte er auch nicht einfach. Dafür war sein Unbehagen zu groß.
Thomas lief als über die Wiese zum Helikopter hinüber, wo Biggi gemeinsam mit dem Stuntkoordinator und dem Piloten noch ein paar Dinge besprach. Auch Karin stand dabei, denn auch sie musste über alles Bescheid wissen und auch wenn sie die gerade schon mit Biggis Stuntdouble gemeinsam gedreht hatte, wollte sie noch einmal zuhören, da sie einfach nichts falsch machen wollte.
Während Thomas immer näher kam, hörte er schließlich auch eine Warnung des Stuntkoordinators. Aus Respekt vor seinen Kollegen, blieb Thomas daraufhin erstmal stehen.
"Ich sag es dir nochmal, Biggi. Du bist da oben nicht gesichert, also konzentrier dich voll und ganz auf das, was du tun musst." Biggi seufzte. "Das hast du mir jetzt schon dutzende Male gesagt. Ich weiß was ich machen muss und du vergisst, dass das nicht mein erster Stunt ist. Ich bin voll konzentriert und werde aufpassen, versprochen.", stellte sie klar, doch die anderen waren sich da alle nicht so sicher. Der Koordinator nickte und schließlich liefen die zwei Männer gemeinsam mit Karin schon mal rüber zum Auto, das sie gleich wieder fahren würde.
Derweil betrachtete Biggi den Helikopter nochmal ganz genau und ging alle Anweisungen nochmal im Kopf durch. Helikopter und Auto würden sich auf der Strecke treffen, dabei sollte Biggi sich dann vom Autositz aus an den Kufen festhalten und hinein klettern. Und das würde der bisher schwierigste Stunt ihrer Karriere sein und dementsprechend Respekt hatte sie vor der ganzen Sache. Aber irgendwie freute sie sich auch auf diesen Nervenkitzel, denn irgendwie hatte sie das Gefühl, genau das im Moment zu brauchen.
Und während sie gedanklich nochmal den ganzen Plan durch ging, merkte sie nicht, dass Thomas von hinten an sie heran trat. Dieser packte sie, als er bei ihr angekommen war, an der Schulter und drehte sie mit einem Mal zu sich herum. "Kannst du mir mal erklären, was zum Teufel du vor hast?!", zischte Thomas wütend und Biggi brauchte einen Moment, bis sie realisierte, dass er es war.

Fürs echte Leben gibt's nun mal kein DrehbuchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt