Kapitel 20

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Also fuhr sie auf direktem Wege dorthin. Kurz bevor sie ausstieg, realisierte Biggi, dass ihr Aufzug wahrscheinlich ziemlich viel Aufsehen erregen würde. Doch sie wollte Klarheit. Und das war ihr wichtiger, als vielleicht von den Menschen in dieser Klinik erkannt zu werden. So oder so, bekannt war sie und sie konnte ja nicht mal mehr einkaufen gehen, ohne nach einem Autogramm gefragt zu werden. Und da trug sie ihre normale Alltagskleidung.
Also stieg Biggi aus und lief zum Eingang des Krankenhauses. Dabei spürte sie schon die Blicke der Menschen, die sie regelrecht verfolgten. Biggi versuchte sie auszublenden, was wirklich nicht einfach war, aber es gelang ihr irgendwie. An der Information machte sie Halt, denn ohne eine Auskunft würde sie das gesamte Krankenhaus absuchen müssen  und wenn sich dann herausstellte, dass Vera und Thomas gar nicht hier waren, würde sie wertvolle Zeit verloren haben.
Deshalb fragte Biggi die Mitarbeiterin an der Information nach Vera und tatsächlich war sie hier in der Klinik aufgenommen. Und leider schien sich die Geschichte der älteren Frau zu bewahrheiten, denn als Veras Unterkunft nannte die Mitarbeiterin Biggi ein Zimmer auf der Entbindungsstation.
Biggi schluckte schwerfällig und bedankte sich flüchtig für die Auskunft, bevor sie zu den Aufzügen lief. Sie drückte einen Knopf und wartete, doch das dauerte ihr zu lange. Also ging sie zum Treppenhaus und lief die Treppen nach oben bis in den vierten Stock, wo sich die Entbindungsstation befand. Kurz bevor sie durch die erste Tür trat, hielt Biggi inne. Wollte sie wirklich das sehen, was sie vermutlich hier erwartete? Etwas in ihr schrie förmlich 'Nein', doch einfach wieder gehen und so tun, als hätte sie nichts herausgefunden konnte sie auch nicht. Sie war kurz davor, alles zu erfahren. Etwas, das über ihre Zukunft entscheiden sollte. Und irgendwann würde sie sich der Wahrheit stellen müssen und je früher das passierte, desto besser war es für alle Beteiligten.
Jedenfalls redete sich Biggi genau das ein, was gar nicht so einfach war. Denn sie ahnte bereits, dass es für sie und Thomas wahrscheinlich keine gemeinsame Zukunft geben würde. Sie würden nicht zusammen nach Italien fahren, sobald hier alles geregelt war und sie würde nicht die Frau an seiner Seite sein, geschweige denn die Mutter seiner Kinder. Und genau die letzten beiden Erkenntnisse trafen Biggi besonders hart, denn sie wünschte sich doch nichts sehnlicher, als eine kleine Familie. Einen Mann, der sie aufrichtig liebte und dazu ein paar Kinder, für die sie gemeinsam sorgen und die sie gemeinsam beschützen und lieben konnten.
Und da hatte Biggi seit Monaten Thomas und sich gesehen, als zukünftiges liebendes Ehepaar und Eltern gemeinsamer Kinder. Irgendwann. Und das nicht hier in Österreich, sondern in Italien. Dort, wo sie eigentlich in ein paar Wochen neu anfangen wollten. Zusammen.
Aber wenn es keine andere Erklärung gab und Thomas sich nun doch für Vera entschieden hatte, aufgrund des Babys, dann stand Biggi alleine da. Wieder einmal verlassen und verletzt von einem Mann, den sie liebte und für den sie alles getan hätte. Selbst ihre geliebte Heimat hätte sie verlassen und ihren Job hätte sie aufgegeben, für ihn, um mit ihm zusammen sein zu können. Und alles lief darauf hinaus, dass es nun anders kommen würde, egal wie Biggi es auch drehte und wendete. Die Fakten sprachen für sich.
Noch einmal atmete Biggi tief durch, ehe sie die Tür zur Entbindungsstation öffnete und hindurch ging. Das Stockwerk war richtig schön gestaltet, alles hier wirkte so farbenfroh und heiter. Und überall sah Biggi frisch gebackene Mütter und auch Väter mit ihrem Familienzuwachs. Was sie tun würde, wenn sie Thomas und Vera hier begegnete, das hatte sie sich noch nicht überlegt. Und dazu blieb ihr auch keine Zeit mehr, denn als sie an einem Fenster vorbei kam, versteifte sich sofort alles in ihr und sie blieb stehen.
Durch das Fenster konnte man in einen großen Raum mit vielen Betten blicken, es waren Babybetten, um genau zu sein. Und neben einem von ihnen stand Thomas, der unübersehbar ein Baby auf dem Arm hatte. Und dieses kleine Bündel sah er ganz liebevoll an.
Es war dieser Blick, den Biggi so gut kannte, denn genauso hatte Thomas bis vor kurzem noch sie angesehen. Genauso.
Biggi ging an den Rand des Fensters, um unbemerkt zu bleiben. Von dort aus beobachtete sie das Geschehen. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass Vera ebenfalls ihm Raum war. Die blonde Frau war bis gerade noch auf einem Stuhl gesessen, stand nun aber auf, um zu Thomas und dem Baby zu gehen. Sie nahm das Kind an sich und Thomas legte einen Arm um sie, bevor sie sich küssten und anschließend das kleine Würmchen gemeinsam betrachteten.
Biggi wurde unweigerlich schlecht. Es fühlte sich an, als würde sich ihr gesamter Magen einmal komplett umdrehen, was Brechreiz hervorrief. Nur mit Mühe konnte sie das Verlangen unterdrücken, sich auf der Stelle übergeben zu müssen. Hier und Jetzt, in diesem Krankenhausflur.
Es versetzte der Schauspielerin einen regelrechten Stoß ins Herz, Thomas und Vera wieder so vertraut miteinander zu sehen. Nur ein paar Tage, nachdem Thomas ihr geschworen hatte, er würde Vera nicht mehr lieben und unter keinen Umständen zu ihr zurückkehren. Biggi hatte ihn extra mehrmals gefragt, ob er sich seiner Gefühle sicher war und immer wieder hatte Thomas es beteuert. Und jetzt stand er bei ihr und einem Kind, wo nicht einmal sicher war, dass es seines war.
Nachdem was Biggi wusste, war das auch vollkommen unmöglich. Laut Thomas hatten er und Vera schon ewig nicht mehr miteinander im selben Bett geschlafen, geschweige denn miteinander. Ungefähr sein eineinhalb Jahren, hatte er ausgerechnet. Und vor ungefähr einem Jahr hatte es zwischen Thomas und ihr angefangen. Sollte das Baby also Thomas' leibliches Kind sein, hatte er Biggi von vorne bis hinten belogen. Und war es nicht sein Kind, konnte Biggi sich nicht erklären, warum er nun bei Vera und dem Baby war und warum die beiden wieder so verliebt wirkten.
Am liebsten wäre Biggi in das Zimmer gestürmt und hätte Thomas zur Rede gestellt, doch sie schaffte es nicht, sich dazu zu überwinden. Deshalb gewann die Vernunft und Biggi verschwand wieder von der Entbindungsstation, ohne das Thomas oder Vera ihre Anwesenheit bemerkt hatten.
Biggi riss sich noch zusammen, bis sie im Auto saß, dann brach alles aus hier heraus. Sie begann bitterlich zu weinen, fluchte und schluchzte. Erneut war sie auf einen Mann hereingefallen. Und von diesem hätte sie niemals gedacht, so behandelt zu werden. Sie war also doch nur eine Affäre gewesen, mehr nicht und diese Erkenntnis tat weh. So unbeschreiblich weh. Deshalb schrie Biggi auch ihren Schmerz heraus.
Allerdings hatte sie wenig später gar keine Kraft mehr dafür, weshalb sie ihre Arme einfach aufs Lenkrad legte und ihren Kopf in ihnen vergrub.
Sie hatte alles verloren. Ihre Wohnung hatte sie bereits gekündigt und in ein paar Wochen musste sie dort raus. Einen Job hatte sie bald ebenfalls nicht mehr und das alles wegen Thomas, der ihr versprochen hatte, dass sie eine gemeinsame Zukunft haben würden.
Biggi fühlte sich benutzt, verraten und einmal mehr in ihrem Leben unheimlich einsam.

Fürs echte Leben gibt's nun mal kein DrehbuchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt