Fohlen brauchen Namen

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Ein halbes Jahr war vergangen und die Fohlen hatten immer noch keine Namen. Mama sagte dass, das von ganz alleine käme. Es kam aber nicht.
Ich beobachtete die Fohlen immer wieder, aber kam nicht drauf.
In den Herbstferien kam dann Marc wieder und half uns bei der Namenswahl.

Ausnahmsweise war der Herbst mal nicht kalt gewesen, es war ein schöner Herbst.
Die Sonne schien fast immer und die Bunten Blätter fielen nur langsam zu Boden.
Nur manchmal regnete es und dann war es auch richtig kühl.
Aber nicht an diesem Nachmittag.
Wir saßen alle zusammen auf einer Picknickdecke, auf der Weide und beobachteten das bunte Treiben.
Die Fohlen sprangen fröhlich umher und übten ordentliche Bocksprüngen.
»Na wenn die irgendwann unterm Reiter so den Hintern in die Luft nehmen - dann Herzlichen Glückwunsch«, lachte Nick und trank ein Schluck von seiner Limonade, die er sich mit zur Wiese nahm.
Theo aß ein paar Kekse und sagte dann: »Sabine hat mir mal erzählt, dass Rocky genauso aufgeweckt war, aber jetzt ist er so toll zu reiten. Er hat nur wenige in den Sand gesetzt.«
»Wir sollten uns so langsam mal um die Namen kümmern, sie brauchen langsam mal einen Pass mit ihren Namen«, meinte ich und zupfte im Gras.
»Stimmt, auf der Fohlenschau im August habe ich mit vielen Züchtern geredet und die meisten Fohlen hatten schon ein Namen, genauso wie unsere Fohlen in diesem Jahr«, warf Marc ein und beäugte die Fohlen.
Carlys Stute und der kleine Hengst wurden auf einer Fohlenschau beide sehr gelobt.
Die Stute hatte eine Wertnote von 8,4 und der Hengst sogar von 9,1. Es waren zwei Herausragende Fohlen mit einem außergewöhnlichen Stammbaum, dies machte sich schon in so einem jungen Alter bemerkbar. Sie wurden beide Prämiert und der Hengst war sogar Siegerfohlen des Jahres.
Mama war so Stolz gewesen und ich bildete mir sehr was darauf ein. Ich hatte immer den Gedanken vor Augen, dass die Fohlen für mich bestimmt waren und ICH - nur ICH - diese Exemplare als meine zukünftigen Reitpferde bezeichnen durfte.

»Schaut mal, Carlys Stute! Die rennt jedem davon und dann guckt sie auch noch jedes Mal nach hinten, so als wenn sie sagen würde „fang mich doch wenn du kannst"«, lachte Emil und zeigte in Richtung der Stute.
»Ich hab's! Ich weiß wie wir sie nennen können!«, rief Marc plötzlich.
»Fang mich doch?«, witzelte Nick.
»Fast Nick, Catch me if you can! Das steckt alles drin was deine Mutter will! Ein langer Name der auch fürs Turnier taugt, nichts langweiliges, passend zum Fohlen und der Anfangsbuchstabe ihrer Mutter ist auch ihrer!«
»Besser hätte ich es mir nie ausdenken können!«, meinte Theo.
Auch ich fand den Namen so schön passend und nannte die kleine Stute schon Catchi, obwohl Mama noch nichts davon wusste.

»Wie wäre es wenn wir die andere Stute Allegra nennen? Das bedeutet „die Fröhliche" und dies passt doch fast zu 100% auf diese junge Dame. Ich meine sie ist blind, aber es stört sie überhaupt nicht und schränkt sie zu keiner Sekunde ein. Sie tobt fröhlich über die Wiese, so wie es die Gesunden tun«, meinte Nick in einem sehr nostalgischen Ton, so hatte ich ihn noch nie gehört.
»Gute Idee Nick, aber der Name ist zu kurz. Auch wenn die kleine Stute wahrscheinlich niemals im Hohen Sport oder in der Zucht erfolgreich sein wird, Mathilde wird diesen Namen nicht absegnen«, meinte Theo.
Zugegeben hatte sie recht, Mama war immer noch so wie die Queen. Sie hatte am Ende immer noch die Entscheidungsmacht und saß am längeren Hebel.
»Wie wäre es denn mit „First Lady Allegra"?«, warf Emil nach einer längeren Stille ein.
»Voll die Gute Idee, ich meine sie wird wirklich von dem kleinen Hengst beschützt wie eine First Lady. Und ich denke Mama wird auch nicht so ein großes Problem damit haben, dass der Anfangsbuchstabe von Amalia erst im letzten Namen ist«, meinte ich begeistert.

Die Namenssuche des Hengstes gestaltete sich schwieriger, da half kein Brainstorming auf der Weide.
Mama hatte die beiden Stutennamen für äußerst passend empfunden und war schon ein richtiger Fan von Allegra und Catchi geworden. Erst als der Hengst ein Namen bekam, sollten die Pässe beantragt werden und eine kleine Pferdetaufe stattfinden.

Vom Charakter her war der Hengst ein kleiner Schatz. Er konnte ein richtiger Clown sein und machte viel Blödsinn, aber immer wenn es drauf ankam, war er äußerst gelassen und behielt immer die Fassung. Daher hatte er kaum Angst und selbst laute Landmaschinen konnten ihn nicht aus der Fassung bringen. Er behielt immer die Haltung.

An einem Abend, als es schon wieder ziemlich kalt draußen war, saßen Mama und ich zusammen auf dem Sofa und schauten eine Gameshow. Es gab eine Kategorie, in der ein Wort einfach korrekt buchstabiert werden musste. Es war ziemlich langweilig.
Kurz vor dem Finale musste das Wort „Contenance" buchstabiert werden.
Ich wusste nicht was es bedeutete und fragte deshalb Mama, die es selbstverständlich wusste.
Mama kannte viele Wörter und jedesmal wenn ich sie nach einer Bedeutung fragte, gab sie mir rasch eine Antwort.
»Contenance bedeutet soviel wie die Haltung bewahren, nicht aus der Fassung bringen lassen.«
»Ah«, gab ich von mir und schaute wieder zum Fernseher.
Ich war eingekuschelt in einer lilafarbenen Wolldecke und ein Tee stand auf dem Tisch vor mir.
Nach einem kurzen nachdenklichen Moment meinte ich auf einmal: »Oh mein Gott! Contenance!«
»Conni was willst du damit sagen?«, fragte Mama verwirrt.
»Och Mama denk doch mal nach! Das Fohlen! Contenance passt perfekt zu diesem Hengst!«
»Keine schlechte Idee, aber er muss mit einem „R" anfangen, wegen Rocky«, meinte Mama nachdenklich und kratze sich am Kinn.
»Hmm stimmt, aber können wir keine Ausnahme machen?«, fragte ich schon ein wenig bettelnd, weil ich diesen Namen viel zu gut fand.
»Nein Conni, ich würde es blöd finden. Weißt du, alle Hengste aus Rockys Familie fangen mit einem „R" an. Ich möchte dies nicht ändern.«
Ich konnte sie verstehen und sagte nichts.

Nach einer kurzen enttäuschten Stille meinte Mama dann aber plötzlich: »Conni, was hältst du denn davon, wenn wir ihn „Rock my lifes' Contenance" nennen?«
»Das ist so eine gute Idee! Lass uns gleich in den Stall gehen und es auf ein Boxenschild schreiben!«
Ziemlich aufgeregt sprang ich vom Sofa auf.
Mama bremste mich aber und meinte: »Ach Conni Schatz, zuerst mal müssen wir erstmal ein Boxenschild kaufen! Außerdem ist es schon spät, wir gehen jetzt ins Bett und morgen Früh erledigen wir den Rest!«
Sie hatte ja recht gehabt und ich ging nach der Sendung mich fertig für's Bett machen.
Seitdem Mama den Schrank im Flur vor über einem Jahr weg gebracht hatte, war ich ziemlich oft auf dem Dachboden gewesen. Dort oben waren einfach unheimlich viele Dinge zum lernen und ich interessierte mich sehr für Mamas Geschichte.
Am Anfang war die Treppe gegenüber meines Zimmers noch sehr ungewohnt, aber nach einem Jahr später gehörte es einfach dazu.
Ein paar Sachen vom Dachboden waren sogar zurück in unser Inventar gelandet. Bilder von vielen Pferden schmückten unsere Wände.
Ich liebte es. Ich liebte es so sehr, dass ich mich nie an dieser Schönheit satt sehen konnte.
Ich wünschte mir, dass irgendwann genauso viele Erfolgsbilder von mir an den Wänden hängen würden.
Dieser Wunsch war alles andere als unrealistisch, wie's sich in geraumer Zeit rausgestellt hatte.

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