Mama macht ernst

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Mama meinte es wirklich ernst. Sie hatte sich von Papa getrennt und es stand ihr Auszug an.
Mama wollte soweit weg wie es ging und beschloss, dass sie und Daisy in das Dorf zogen, wo sie groß geworden war.
Ich stand vor der Wahl. Entweder ich blieb mit Papa in München, ich hätte mein gewohntes Umfeld gehabt, meine Schule, meine Freunde, mein Zimmer, aber keine Daisy und keine Mama.
Oder ich ging mit Mama und Daisy in die Pampa, über 800 Kilometer entfernt von meinem Zuhause.

Ich konnte mich nicht entscheiden, also tat es meine Mutter für mich.
»Conni Schätzchen, sobald das Schuljahr zu Ende ist, werden wir beide ausziehen«, sagte Mama eines Abends aus heiterem Himmel.
»Mama, das ist in drei Wochen. Das geht nicht, das ist viel zu früh. Können wir nicht hier bleiben, bitte?!«, erwiderte ich geschockt.
»Nein das geht nicht!«, sagte sie mit gehobener Stimme.
»Aber warum denn nicht? Kannst du dich nicht wieder mit...«
Da fiel Mama mir ins Wort und schrie: »Nein Conni, ich will mich nicht wieder mit Papa vertragen! Wir werden in drei Wochen ausziehen, Ende der Diskussion!«
Ich versuchte meine Tränen zu unterdrücken und sagte so ruhig wie es ging: »Aber...«
Mama fiel mir wieder schreiend ins Wort.
»Nichts aber! Geh jetzt in dein Zimmer und Pack deine Sachen!«
Ich rannte schnell die Treppen hinauf, lief in mein Zimmer und knallte die Tür zu.
Weinend schmiss ich mich auf mein Bett und schluchzte in mein Kopfkissen.

Auf einmal klopfte es an meiner Tür und ich dachte es sei Mama gewesen.
»Conni, darf ich rein kommen?«, fragte mein Papa ruhig und öffnete die Tür.
»Jetzt bist du ja sowieso schon drinnen«, giftete ich zurück.
Er setzte sich neben mich aufs Bett und fing an zu erklären: »Ich hab dein Streit mit Mama mitbekommen. Ich weiß, am liebsten möchtest du hier bleiben, mit Mama und mir. Du möchtest, dass alles so wie früher wird. Aber das wird es nicht. Mama und ich haben uns einfach nicht mehr lieb.«
»Aber wieso denn nicht?«, schluchzte ich fragend und wischte mir meine Tränen aus dem Gesicht.
»Ich weiß es nicht, das ist halt manchmal so. Conni ich hab dich lieb, aber ich hab nicht so viel Zeit für dich - nicht so wie Mama. Bitte tue mir ein Gefallen und pack artig deine Sachen ein und geh mit ihr. Das ist das Beste für uns alle«, fuhr er einfühlsam fort.
Ich hatte meinen Vater noch nie so klingen hören, seine Stimme war so sanft.
Er nahm mich in den Arm und fing an mich zu kitzeln.
»So, und jetzt helfe ich dir deine Sachen einzupacken«, sagte er auf einmal nicht mehr sanft, sondern mit aufgehellter positiven Stimmung.
Ich konnte mich nicht dran erinnern wann er mich das letzte Mal gekitzelt hatte, geschweige denn sich Zeit genommen hat um mir bei irgendwas zu helfen.
Ich merkte, dass er unglaublich traurig war, aber es mit Fröhlichkeit versucht hatte zu überspielen, damit es den Anschein hätte, dass alles in Ordnung sei, auch wenn es alles andere als das war.
»Du wirst mich immer Besuchen kommen können, wenn du willst. Alles wird hier so bleiben wie du es verlässt«, versprach er mir.
Ich sprang wortlos von meinem Bett und schnappte mir einen Umzugskarton vom Stapel, den Mama am Vormittag in mein Zimmer gestellt hatte.
Papa entfaltete den Karton und ich begann ein paar Sachen einzupacken.
An dem Tag ist mir erst aufgefallen, wie viel unnötiges Zeugs ich eigentlich hatte. Ich hatte so viel Spielzeug, welches ich nicht mehr gebraucht hatte und was nur noch so in meinem Zimmer rumstand.
Ich packte nur das Nötigste ein. Mama hatte mir gesagt, dass wir in ihr altes Elternhaus ziehen wollten und dies noch voll möbliert war. Aus diesem Grund sollte ich nur das einpacken, was ich wirklich brauchte.

Aus meinem Zimmer hatte ich so gut wie alles eingepackt was ich mit nehmen wollte, aber dann fiel mir noch etwas ein.
Ich rannte aus meinem Zimmer und riss die Tür zur Bibliothek auf.
Nun stand ich da, im kalten Raum und starrte in die leere. Eigentlich wollte ich mein Lieblingsbuch aus dem Regal nehmen, aber als ich dort stand, fühlte es sich falsch an. Es fühlte sich an, als würde ich ein Stück Leben aus diesem Raum klauen und ihn unvollständig machen.
Ich schloss die Tür, ging wie ferngesteuert auf das Regal zu, wo das Buch drinnen stand, nahm es raus und setzte mich auf den roten Sessel. Ich schlug es auf und fing an zu lesen.

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