Willkommen Zuhause

157 21 6
                                    

Es war so weit gewesen, es war meine letzte Nacht in München. Am morgigen Tag nach der Schule, sind Mama und ich direkt ins neue Zuhause gefahren.
Mama und Tine hatten seit dem Vorfall im Restaurant kein Wort mehr miteinander geredet. Für Mama war die Geschichte erstmal vorbei gewesen und sie konnte es nicht erwarten, endlich dort wegzukommen.
Ich hingegen war ganz anderer Meinung - ich wollte nicht weg.
Ich hatte Angst, Angst vor dem was kommt und mir gingen tausende Gedanken durch den Kopf.

Es war spät geworden und ich musste langsam ins Bett. Papa war wie immer auf der Arbeit und konnte mir auch an diesem Tag nicht gute Nacht sagen.
Ich war ziemlich enttäuscht, denn es war doch mein letzter Abend dort, aber ich konnte es nachvollziehen. Ich wusste wie hart er immer arbeitete und irgendwie war es ja nichts neues gewesen.

Ich ging in mein Bett und wartete auf Mama, sie wollte noch Mal zu mir kommen und gute Nacht sagen.
Aber ich wartete vergebens, sie kam nicht mehr.
Das machte mich ziemlich traurig, ich kannte das Verhalten von Papa, aber Mama, sie hatte eigentlich immer das gehalten was sie gesagt hatte.
Aber auch sie hatte sich in den letzten Wochen ziemlich verändert, sie wurde ein bisschen so wie Papa. Sie hatte kaum noch Zeit, war ständig unterwegs und hielt nichts mehr ein.
Ich verstand das nicht, aber ich verstand sowieso gar nichts mehr was in letzter Zeit abging. Mein Leben war ein einziges Chaos geworden und ich hoffte, dass sobald wir umgezogen waren alles wieder normal werden würde.

»Aufstehen Conni, du musst zur Schule. Nur noch heute und dann sind endlich Sommerferien.« Mama zog mir die Decke weg und öffnete das Fenster.
»Och nein Mama, bitte noch fünf Minuten«, flehte ich sie mit halb offenen Augen an.
»Nein, nichts da. Mach dich fertig und dann komm runter, Frühstück steht auf dem Tisch.«
Ich setzte mich auf und streckte mich erstmal, dann stand ich auf, ging rüber zu meinem Schreibtisch, nahm die Klamotten, die ich mir am Vortag zurecht gelegt hatte und zog mich an.
Da es der letzte Schultag war, versuchte ich mich besonders schön zu kleiden.
Ich zog eine Rosafarbene Leggings und ein rotes Kleidchen an. Irgendwie hat das nicht so ganz zusammen gepasst, aber es war mein lieblings Outfit und deshalb wollte ich es unbedingt anziehen.
Ich ließ mich nicht verunsichern, wenn ich was wollte tat ich es auch und mir war egal was die anderen davon hielten.

Mama kam nochmal rein und fragte mich ob noch etwas ins Auto müsste.
»Nein, eigentlich hab ich gestern schon alles ins Auto gepackt was ich mit nehmen möchte«, meinte ich.
»Gut. Du musst dich ein bisschen beeilen, ich kann dich heute nicht zur Schule fahren.«
»Ja, Mama«, antwortete ich genervt und verdrehte die Augen. »Ich bin doch schon auf dem Weg ins Bad.«
Ich schob mich an Mama vorbei und ging geradewegs ins Bad, um mir dort die Zähne zu putzen.
Ich öffnete meine Kulturtasche und holte meine Zahnbürste, Zahnpasta und Haarbürste raus.
Früher, als Mama noch mehr Zeit für mich hatte, hat sie mir morgens immer die Haare geflochten. Ich wusste gar nicht mehr wann sie dass, das letzte Mal gemacht hatte, geschweige denn mir überhaupt die Haare gekämmt hat.
Ich habe mir einen Pferdeschwanz gemacht und mir die Zähne geputzt, dann hab ich alles wieder in die Kulturtasche gepackt und hab sie mit runter genommen.
»Mama, ich hab hier noch meine Kulturtasche - die muss noch mit.«
Ich legte sie auf den Küchentisch, ging zu Daisy und begrüßte sie.
Sie freute sich und leckte mir durch mein Gesicht.
»Nein, nicht. Hör auf damit«, sagte ich lachend.
»Conni, los jetzt. Setzt dich an den Tisch, du hast nicht mehr viel Zeit. Du willst doch nicht an deinen letzten Tag zu spät kommen oder?« Mama war ziemlich hektisch und genervt.
»Ja Mama, ist doch gut. Ich mach ja schon!«, sagte ich ebenfalls genervt.
Ich setzte mich an den Tisch und fing an zu essen.

Viel Zeit hatte ich wirklich nicht mehr, ich schlang mein essen hinunter und lief in den Keller um mich von Papa zu verabschieden.
Ich riss seine Tür auf, aber nichts, er war nicht hier. Also ging ich in den ersten Stock und schaute dort nach.
Ich schaute in seinem Büro, in meinem Zimmer, im Bad, ja sogar in der Bibliothek schaute ich nach. Aber er war nirgendwo.
Ich ging hinunter in den Garten und rief nach ihn.
Aber auch dort war er nicht gewesen.
Also stand ich dort, mitten in unserem riesigen Garten, alleine und wusste, dass Papa nicht hier war. Er war nicht da gewesen um sich von mir zu verabschieden. Er war einfach nicht da gewesen.
Ich fing an zu weinen. Es war Wut was ich fühlte, nichts anderes als Wut.
Ich war wütend auf ihn, auf Mama, auf mich, einfach auf alles.
Mama lehnte an dem Türrahmen der offenen Terrassentür und beobachtete mich. Sie hielt ihre Arme vor ihrer Brust verschränkt um ihre Strickjacke zu zuhalten und kam auf mich zu.
Sie legte ihre Hand auf meine Schulter und sagte einfühlsam: »Es tut mir leid, er war die ganze Nacht nicht hier. Ich hab versucht ihn anzurufen, aber sein Handy ist aus und im Büro hab ich ihn auch nicht erreicht. Ich weiß wie schwer das ganze für dich ist. Es tut mir so unglaublich leid Conni.«
Ich drehte mich zu ihr und guckte ihr scharf in die Augen.
»Du weißt gar nichts!«, schrie ich wütend, riss mich los und rannte ins Haus.
»Conni jetzt warte doch«, rief Mama mir hinterher und lief mir nach.
Ich ignorierte sie, nahm meine Schultasche und stürmte raus.
»Constanze Luise Fiedler, du kommst jetzt sofort her!«
Ich dachte mir einen Scheiß tue ich.
Ich bin einfach geradewegs unsere lange Auffahrt runter gelaufen und hatte Mama komplett ignoriert.
»Gut dann nicht!«, schrie Mama mir hinterher und knallte die Tür so dolle zu, dass ich erschrak.
Ich versuchte mich zu beherrschen, ich versuchte so zu tun als wäre mir das ganze egal, das war es aber nicht und am Tor angekommen platzte es aus mir heraus.
Ich öffnete das Tor mit der Fernbedienung und siehe da, es machte immer noch dieses furchtbar quietschende Geräusch.
Da kam die ganze aufgestaute Wut hoch und sie sprudelte nur so aus mir heraus.
»So ein Mist, so ein verdammt blöder Mist!«, schrie ich auf einmal los. »Alles andere ist wichtiger als ich. Er bekommt es ja nicht Mal hin dieses verdammte Tor für mich zu Ölen, egal wie oft ich ihn drum gebeten hatte. Bestimmt liegt er gerade mit der anderen Frau im Bett und denkt nicht Mal an mich!« Ich schrie einfach vor mich hin und trat eine Papiermülltonne um. Eine Träne nach der nächsten kullerte über mein Gesicht. »So ein verdammter Mist!«
Ich hob die Mülltonne auf und sammelte den Inhalt, der hinaus gefallen war und auf der Straße verteilt lag, schnell auf und ging weiter.
Zum Glück wohnten wir in einer Reichen und ruhigen Gegend, es waren keine Leute unterwegs gewesen, so wie fast immer eigentlich. Zu meinen Vorteil, denn so hatte keiner gesehen was gerade passiert war und ich konnte nach meinen kleinen Wutanfall einfach so tun als wenn nichts passiert wäre.
Ich wischte meine Tränen weg und ging einfach weiter bis zu Friedas Haus.
Eigentlich war sie immer vor mir fertig und wartete auf mich, aber heute war ich vor ihr fertig, also wartete ich auf sie.
Ich lief ungeduldig auf und ab, bis ich sie dann deren Auffahrt runter laufen sah.
»Ich hab ein wenig verschlafen«, entschuldigte Frieda sich bei mir und umarmte mich.
»Ach macht doch nichts, sonst wartest du ja auch immer auf mich«, meinte ich, »aber jetzt sollten wir uns ein bisschen beeilen, wir kommen sonst zu spät zur Schule«, ergänzte ich.
Ich nahm ihre Hand und wir gingen zur Schule.

Zurück zu mirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt