4.

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POV Stefan
Ich musste eingeschlafen sein, denn als ich blinzelte und meine Augen aufschlug stand eine kleine Flasche Wasser und ein Tablett mit einem Stückchen Brot und etwas Suppe an der gegenüberliegenden Wand. Allmählich wurde meine Sicht klarer und nach einigen Augenblicken der Verwirrung kamen die Erinnerungen des letzten Tages wieder hoch und ich fing unweigerlich an zu zittern. Mit Entsetzten stellte ich fest, dass ich weder wusste wo ich war, wie lange ich hier schon war und ob sie Kai auch hier her gebracht hatten, geschweige denn, ob er überhaupt noch lebte. Dieser Gedanke trieb mir sofort die Tränen in die Augen und erinnerte mich an meine Frau und meinen jüngeren Sohn. Ich setzte mich auf und lehnte mich gegen die Wand, wo ich meine Knie anzog und meinen Kopf darauf ablegte. Fieberhaft überlegte ich, wie ich herausfinden konnte, wo mein Sohn war, bis mir eine Idee kam. Schnell rappelte ich mich hoch und überbrückte den kurzen Abstand zu den Gitterstäben und sah mich so gut es eben ging um. Es war relativ dunkel. Das und die Tatsache, dass ich durch die Gitterstäbe ein eingeschränktes Sichtfeld hatte, machten es nochmal schwerer überhaupt etwas zu erkennen. Ob sich noch jemand in diesem Tunnelsystem oder den anderen Zellen befand wusste ich nicht und ich wagte es auch nicht mich durch einen Schrei bemerkbar zu machen. Erfolglos lies ich von den Gitterstäben ab und lehnte mich wieder zurück an die Wand. Ich würde schon noch herausfinden, was hier vor sich ging. Wenn ich denn solange lebte.

POV Entführer
Es waren mittlerweile fünf Stunden vergangen und ich hatte mir den Stuhl an die Liege gezogen, wo ich mich niedergelassen hatte und den kleinen Wolf beobachtete. Als sich die Türe hinter mir mit einem leisen quietschen öffnete, sah ich auf und erkannte den Arzt, der mit seiner Tasche in der Hand auf uns zukam. ,,Irgendwelche Auffälligkeiten", fragte der Mann in weiß. Ich schüttelte langsam mit dem Kopf, stand auf und zog meinen Stuhl zur Seite, damit der Arzt den Jungen erneut untersuchen konnte. Ich sah dem Mann eine Weile zu und hob dann meine Stimme. ,,Ist es möglich, irgendwie zu bestimmen, wie weit er in seinem Zyklus ist und wie lange er seine Hitze schon hat", fragte ich etwas zögerlich. Der Arzt sah mich skeptisch an und antwortete: ,,Sicher, aber dazu müsste ich etwas Blut abnehmen." ,,Gibt es einen besonderen Grund warum Sie das wissen wollen", fragte er verwirrt. ,,Den gibt es, ja. Aber der Grund hat Sie nicht zu interessieren. Machen Sie ihre Arbeit, oder Sie enden am Ende so wie seine Eltern." Etwas kleinlaut nuschelte der Arzt ein OK und begann damit dem Jungen etwas Blut abzunehmen und die Einstichstelle hinterher mit einem kleinen Pflaster zu versehen. Er verstaute die beiden kleinen Röhrchen in der Tasche seines Kittels und verschwand, nachdem er gemurmelt hatte, dass er mit dem Ergebnis in circa zwei Stunden wieder kommen würde, so schnell wie er gekommen war. Als die schwere Tür hinter ihm zugefallen war, zog ich den Stuhl wieder neben die Liege und setzte mich, nachdem ich mein Jackett ausgezogen hatte. Dieses breitete ich auf dem zierlichen Körper des jungen Omegas aus, damit dieser nicht fror. Ich lehnte mich auf dem Stuhl zurück, schloss für einen kurzen Moment die Augen und lies die letzten beiden Tage Revue passieren. Diesen Jungen hatte ich jetzt schon fast zwei Jahre im Visier und nun lag er vor mir und war mir beinahe Schutzlos ausgeliefert. Diese Tatsache lies mich schmunzeln. Er war die Perfektion in Person, wäre da nicht sein rebellisches Verhalten und seine Abneigung mir gegenüber. Aber das lies sich bestimmt mit etwas Geduld und Erziehung hinbekommen. Verträumt betrachtete ich die feinen Konturen seines Gesichtes und wollte meine Hand ausstrecken, um diese mit meinem Finger nachzuzeichnen. Da kam langsam wieder Leben in den kleinen Körper vor mir und ich zog meine Hand zurück. Ich würde noch genug Gelegenheiten haben sein Gesicht und seinen Körper zu betrachten. Zaghaft begann er seine Finger zu bewegen und schlug wenig später blinzelnd die Augen auf. Orientierungslos huschte sein Blick im Raum umher, bis seine Aufmerksamkeit bei mir hängen blieb. Er starrte mich einige Sekunden lang an, ehe er realisierte wer da vor im saß. Langsam fing er an panisch zu werden und drückte sich verzweifelt gegen die Wand in seinem Rücken, in der Hoffnung, damit verschmelzen zu können. Ich streckte meine Hand aus und wollte ihn etwas beruhigen, was allerdings das Gegenteil bewirkte. Er fing an hemmungslos zu schluchzen und um sich zu schlagen. Ich rief den Arzt und drei meiner Männer, da ich ihn allein wohl nicht beruhigen konnte, ohne ihn zu verletzten.

POV Kai
Ich kam langsam wieder zu mir. Mein Kopf fühlte sich an als würde ihn jemand mit einem Presslufthammer bearbeiten. Vorsichtig begann ich meine Finger etwas zu bewegen, um wenig später blinzelnd meine Augen zu öffnen. Suchend wanderte mein Blick durch den Raum. Das war, soweit ich es beurteilen konnte, noch der selbe wie vorher. Ich wusste allerdings nicht so genau was passiert war, wie ich auf die Liege gekommen bin oder wie lange ich bewusstlos war. Mein Blick bleib schließlich an einer Person vor mir hängen, die seelenruhig auf einem Stuhl saß und mich interessiert musterte. Mit einem Schlag fiel mir ein, wer diese Person vor mir war und ich rutschte von ihr weg und drückte mich panisch gegen die Wand. Als er jedoch einen Arm nach mir ausstreckte, war es um meine Fassung geschehen und mir rannen immer mehr Tränen die Wangen hinab und ich fing an zu zittern. Daraufhin nahm er seine Hand zurück und sprach etwas in sein Handy. Wenig später ging die Türe auf und ein Mann in weißem Kittel und drei Männer in Kampfausrüstung, unter anderem auch der, der mich hergebracht hatte, stürmten in den Raum. Das machte das Ganze nicht besser, sondern entfachte nur noch mehr Panik in mir. Einer der Gorillas kam auf mich zu und packte mich zusammen mit dem Mann vor mir an beiden Armen und drückte mich wieder auf die Liege. Mit aller Kraft stemmte ich mich gegen die eisernen Griffe der Beiden, aber es reichte nicht einmal ansatzweise, um etwas auszurichten. Stattdessen begann ich um mich zu treten und mich wie wild aufzubäumen, was die beiden sichtlich überraschte und kurz aus der Fassung brachte. Aber mein Erfolg währte nicht lange, denn die Griffe wurden nur umso stärker und mir ging langsam die Kraft aus. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie der Mann in weiß, ich nahm an, es war ein Arzt, ebenfalls auf mich zukam. Ich ahnte schlimmes und brachte nochmal alle meine Kräfte auf, um mich zu wehren, aber es half alles nichts. Der Arzt war nun bei uns angekommen und ich merkte, wie der Mann, der meinen rechten Arm festhielt, die Position veränderte, um diesen nur noch fester auf die Liege zu presse, und mit seinem restlichen Körper meine Beine ebenfalls zu fixieren. Hilflos spürte ich wie der Mann im Kittel etwas spitzes in meine Haut stach. Der Inhalt der Spritze bahnte sich unangenehm kalt einen Weg durch meine Blutgefäße. Damit war es vollends um mich geschehen und ich gab es auf mich gegen die menschlichen Fesseln zu stemmen. Mein Kopf vernebelte immer mehr und die letzte Kraft verließ meinen Körper, meine Lieder wurden schwer und schwärze umfing mich ein weiteres Mal.

POV Entführer
Der Arzt hatte ihm ein Beruhigungsmittel spritzen müssen, da er in völliger Panik um sich schlug und wir Mühe hatten, ihn festzuhalten. Nachdem der Arzt, ihm den gesamten Inhalt der Spritze injiziert hatte, gab er es auf sich gegen sein Schicksal zu wehren und sank matt und schwer atmend zurück auf die Liege und starrte an die Decke. Meinen Griff lies ich jedoch nicht locker. Nach nicht einmal einer Minute spürte ich wie unter meinen Händen die letzte Spannung seinen Körper verließ und er erneut das Bewusstsein verlor. Wir ließen von ihm ab und die drei Männer verließen auf mein Zeichen hin den Raum. Der Arzt bedeutete mir mich zu setzten und ich ließ mich am Fußende auf die Liege sinken, während der Mann mir gegenüber auf dem Stuhl Platz nahm, auf dem ich vorher gesessen hatte. Er zog einen zusammengefalteten Zettel aus seiner Kitteltasche und reichte ihn mir. Ich machte mir nicht einmal die Mühe ihn zu entfalten, da ich das darauf geschriebene sowieso nicht verstehen würde. Stattdessen sah ich den Arzt erwartungsvoll an. Dieser lehnte sich zurück und erwiderte meinen Blick. ,,Er bekommt seine Hitze regelmäßig, seitdem er dreizehn ist und ist dementsprechend von der Schmerzskala relativ weit oben, da er, soweit ich weiß, seinen Mate noch nicht gefunden hat. Außerdem steht er kurz vor seiner Hitze, was bedeutet es werden höchstens noch zwei Tage vergehen, bis er sie bekommt. Wenn er seinen Mate nicht bald findet und sich an ihn bindet, dann wird er höchstens noch zwei Hitzen überleben. Mit viel Glück auch drei aber darauf würde ich es auf keinen Fall ankommen lassen. Das wäre viel zu riskant, vor allem weil er mit hoher Wahrscheinlichkeit bleibende Schäden davongetragen wird." Ich hatte dem Mann vor mir aufmerksam zugehört und mit zunehmender Bestürzung festgestellt, dass ich ihn vielleicht bald verlieren würde. ,,Kann man den nichts dagegen machen. Gibt es keine Medikamente, die die Hitze unterdrücken", fragte ich verzweifelt.
,,Die gibt es schon aber sie werden in diesem fortgeschrittenen Stadium nichts mehr ausrichten können. Anscheinend hat er noch nie seine Hitze mit Medikamenten unterdrückt und hat sie jedes Mal so durchstehen müssen. Das einzige was ihn vor dem sicheren Tod bewahren kann, ist es seinen Mate zu finden und sich zu markieren", entgegnete der Arzt ruhig. Ich musste mir etwas einfallen lassen, wie ich ihn retten konnte.

Schatten der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt