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POV Kai

Noch im Halbschlaf tastete ich neben mir nach dem warmen Fellknäuel, dass noch vor wenigen Stunden an meiner Seite gedöst hatte. Anstatt warmem, weichen Fell fanden meine kundigen Finger nur glatte Haut und meine Augen bestätigten mir, dass nicht mehr Lev neben mir lag, sondern Keno. Dieser hatte im Schlaf einen Arm um mich gelegt und insgeheim fragte ich mich wie um alles in der Welt er Lev hatte überzeugen können. Es sei denn Lev war zu irgendeinem späteren Zeitpunkt ebenfalls eingeschlafen und Keno hatte sich einfach die Kontrolle zurückgeholt, während der Wolf schlief. Vorsichtig versuchte ich mich aus der Umarmung zu winden ohne Keno aufzuwecken, was sich deutlich schwieriger gestaltete als Anfangs angenommen. Schließlich hatten meine Bemühungen so weit gefruchtet, dass ich mich zumindest aufsetzten konnte, wurde allerdings sofort wieder zurückgezogen. ,,Lass mich bitte los!" Meine Stimme war leise und kraftlos und ich war mir nicht sicher ob Keno mich überhaupt verstanden hatte. Der einzige Beweis, dass meine Bitte bei ihm angekommen war zeigte sich darin, dass er seine Umklammerung soweit löste, dass ich mich ohne weiteres wieder aufsetzen und das Bett verlassen konnte. Eben das tat ich sogleich auch und nur das tiefe grummeln hinter mir drückten Keno's Unmut aus. Offenbar musste der andere sich sichtlich zusammenreißen um nicht erneut den Arm nach mir auszustrecken. Erschöpft und vom Schlaf noch etwas benommen schaffte ich es ins Badezimmer um meine Zähne zu putzen. Keno's gestriges Verhalten hatte definitiv etwas zwischen uns kaputt gehen lassen und ich war mir nicht sicher ob ich ihm so schnell wieder Vertrauen entgegenbringen konnte. Einzig und allein Lev's Bemühungen hatten schlimmeres verhindert, wobei die beiden streng genommen zwei völlig verschiedene Persönlichkeiten waren. Naiver Weise hielt ich immer noch an dem Gedanken fest, dass Keno's Verhalten gestern einfach nur eine Kurzschlussreaktion seines Verstandes war. Eigentlich sollte ich es besser wissen. Du darfst nicht vergessen dass er immer noch unser Mate ist. Auch wenn du schon so oft verletzt wurdest solltest du gerade deinem Seelenverwandten trauen. Gerade das war ja das Problem. Eigentlich sollte ich mir überhaupt keine Gedanken darüber machen müssen, ob ich meinem Mate vertrauen konnte. Aber vor allem nach Keno's gestrigem Verhalten viel es mir schwer. Schwerer als ich vielleicht im Moment zuzugeben bereit war. Schwer seufzend spuckte ich die Zahnpasta ins Waschbecken und spülte meinen Mund aus. Ohne den Mann im Bett auch nur eines Blickes zu würdigen, zog ich mich an und verließ das Zimmer. Es fühlte sich merkwürdig endgültig an als ich die Tür hinter mir ins Schloss zog und die Treppe nach unten ging. Es war ein schöner Tag, die Sonne schien auf die Terrasse und wärmte die dunklen Holzdielen. Kurzerhand zog ich die Balkontüre auf, verwandelte mich und rollte mich auf den sonnengewärmten Brettern zusammen. Nach kurzer Zeit war ich bereits eingedöst und genoss die frische Waldluft die durch mein Warmes Fell strich. Wenig später wurde die Tür erneut geöffnet und jemand setzte sich neben mich. Vorsichtig wanderte eine Hand zu meinem Kopf, welcher zwischen meinen Pfoten lag und begann das Fell zwischen meinen Ohren zu kraulen. ,,Was ist los?" Deutlich war die Besorgnis aus Isabelles Stimme herauszuhören und ich wand mich innerlich, ob ich sie einweihen sollte oder nicht. Kurzum entschied ich mich meinen Kopf auf ihrem Oberschenkel abzulegen und ihren stummen Trost, in Form von sanften Kreisen in meinem Fell, zu genießen. ,,Du brauchst es mir nicht zu erzählen aber sei dir sicher dass ich immer für dich da bin, egal was ist, okay!?" In stummer Dankbarkeit schmiegte ich meinen Kopf noch etwas mehr in Ihren Schoß und genoss das Gefühl des Beistandes den die Beta leistete.

POV Isabelle
Als Kai die Treppe nach unten geschlurft kam, sah er absolut nicht aus wie er selbst. Gestern musste es furchtbar zwischen den beiden gekracht haben und seitdem herrschte wohl Funkstille. Dass Kai neben sich stand, zeigte sich auch darin, dass er nicht Guten Morgen sagte oder besser gesagt, mich überhaupt nicht wahrzunehmen schien. Gerade wollte ich ihm Kaffee und Frühstück anbieten, da war er auch schon durch die Terrassentür nach draußen geschlüpft. Sollte ich ihm folgen oder ihn lieber allein lassen? Nach einigen Momenten innerer Debatte, entschied ich mich für letzteres, denn auch wenn er nicht in Stimmung zum reden war, konnte ich ihm wenigstens etwas Solidarität entgegenbringen und mich zu ihm setzten. Meine halb gelehrte Tasse schwarzen Kaffees ließ ich einfach auf dem Küchentresen stehen, ging ins Wohnzimmer und trat dann zögernd auf die Terrasse. Die Sonne fing sich in dem Fell auf seinem Rücken und ließ es in unzähligen Schattierungen schimmern. Vormittags war es besonders schön hier draußen und die wärmenden Strahlen täuschten über den doch noch recht frischen Tag hinweg. Langsam um ihn nicht zu erschrecken, setzte ich mich neben den dösenden Wolf auf den Boden, wobei ich mir ziemlich sicher war, dass Kai mich bereits bemerkt hatte. Gedankenverloren starrte ich auf den nahen Waldrand während meine Finger ihren Weg in das weiche Fell zwischen den Ohren fanden. Kurzzeitig schien er sich zu verkrampfen, was mich meine Finger um ein Haar wieder zurückziehen ließ. Meine Zweifel verschwanden, als Kai seinen Kopf in meinen Schoß bettete, was mich tatsächlich kurz überraschte. Sonst war er definitiv nicht so zutraulich, wobei ich mich abermals fragte, was gestern zwischen ihm und Keno vorgefallen war. Aber ich würde nicht um eine Antwort buhlen. Wenn Kai bereit war mich ins Vertrauen zu ziehen würde ich zuhören und versuchen zu helfen aber keinesfalls würde ich ihn drängen. Nach einigen Minuten schien er sich an meine Nähe gewöhnt zu haben denn ich konnte geradezu mit ansehen wie er das Für und Wieder abwog, mich einzuweihen oder die Details für sich zu behalten. Schließlich schien er sich dafür zu entscheiden, denn er verwandelte sich zurück und ließ sich im Schneidersitz neben mich sinken. Einige weiter Momente verstrichen in Schweigen, ehe er dazu ansetzte etwas zu sagen, allerdings erneut abbrach. Die Worte schienen seinen Mund nicht verlassen zu wollen und erneut fragte ich mich, was Keno getan haben musste um ihn so zu verletzten. Seine Hände zitterten in seinem Schoß. Ich hatte es bemerkt bevor er sie zu Fäusten ballen konnte, was mich nur noch mehr bestürzte. Vorsichtig legte ich einen Arm um seine Schultern und nach kurzem Zögern lehnte er sich gegen mich. Die ersten heißen Tränen durchnässten meine Jeans und sofort zog ich ihn noch enger an mich. Wie lange hatte er diese Gefühle zurückgehalten? In diesen verzweifelten Schluchzern spiegelten sich die unterdrückten Gefühle der letzten Nacht, während sein Körper stärker zu zittern begann. Erneut war ich erstaunt, dass er sich mir anvertraute und nicht wie früher noch alles in sich hineinfraß. So war es natürlich deutlich besser für seine Psychische Gesundheit aber ich konnte trotzdem den Drang erkennen alles in sich zu verschließen und sich niemandem anzuvertrauen. Auch wenn er nur seinen Tränen freien lauf ließ, war ich dankbar dass ich ihm wenigstens diese Last abnehmen konnte. Im Moment war es mir nicht möglich irgendetwas anderes für ihn zu tun außer hier zu sitzen und sanft seine Schulter zu streicheln, in der Hoffnung dass es wenigstens einen Teil seines Schmerzes linderte. Allmählich schien er sich zu beruhigen denn die erstickten Schluchzer wurden leiser und seine Tränen versiegten auch nach und nach. Er schien immer noch davon auszugehen, dass ich ihn drängen würde, denn er wischte hektisch die nassen spuren auf seinen Wangen weg. ,,Du musst es mir nicht erzählen. Ich hoffe du weißt das?" Fragend sah ich ihn von der Seite an, wartete seine Reaktion ab. Immer noch um Fassung ringend nickte er. Aber ich hatte das Gefühl dass er seine innere Debatte ausgefochten hatte, ob er die gestrige Nacht vor mir ausbreiten wollte oder nicht. Als er erneut ansetzte, während diesmal auch die Wörter seinen Mund verließen, schlang ich meinen Arm um seine Schultern. ,,Gestern im Bad hab ich mich selbst verletzt. Keno konnte das offensichtlich nicht ab und ist quasi rückwärts wieder aus dem Bad gestolpert. Als wäre er angeekelt." Das war wohl die Kurzfassung und ziemlich sicher war noch deutlich mehr passiert aber Kai hatte es auf den Punkt gebracht. Und wenn ich ehrlich war konnte ich seine Distanziertheit absolut nachvollziehen. Hätte mich mein Mate in solch einer Situation allein gelassen oder schlimmer noch, hätte so reagiert wie es unser Alpha getan hatte, wäre ich nicht minder verletzt gewesen. Mit einem leisen Seufzer zog ich ihn noch enger an meine Seite und küsste ihn auf die Stirn. ,,Niemals würde ich dich dafür verurteilen. Ich hoffe das ist dir bewusst, Süßer?" ,,Hast du Schmerzen?", setzte ich besorgt hinzu. Seine gegrummelte Verneinung linderte meine Sorgen zumindest ein klein wenig. ,,Kann ich irgendwas tun?" Fragend musterte ich die zerwühlten Strähnen die heute mit Sicherheit noch keinen Kamm gesehen hatten und ließ schließlich meine Finger hineingleiten. ,,Kann ich mich einfach neben dich legen während du meinen Kopf kraulst." Kaum hatte ich meine Zustimmung gegeben rollte sich der braune Wolf neben mir zusammen und wie zuvor bettete er seinen Kopf in meinen Schoß, eine stumme Aufforderung, meine Tätigkeit von vorhin wieder aufzunehmen. Während die Sonne gemächlich über das Firmament wanderte genossen wir in stiller Übereinkunft, für den Moment die Probleme einfach zu ignorieren, die Mittagsstunden. Beide hingen wir unseren Gedanken nach, als die Ursache der Probleme vom Waldrand über das Gras auf uns zukam. Kai's Ohren zuckten und er hatte offenbar erkannt wer da kam, denn unwillkürlich schmiegte er seinen Kopf noch etwas mehr in meinen Schoß. Meine Finger nahmen die beruhigenden Kreise wieder auf, nachdem ich beschlossen hatte das Gespräch mit dem Alpha zu bestreiten. Nur Kai's weiterhin geschlossene Augen schienen stumm zu vermitteln dass ihm das mehr als recht war. ,,Wie gehts euch beiden?", sprudelte es aus dem Alpha heraus sobald er in Hörweite war. ,,Spar dir deine Höflichkeitsfloskeln und erklär mir lieber warum du so ein Arsch bist!" Den Vorwurf spie ich ihm geradezu vor die Füße, was er mit verblüfftem Gesichtsausdruck zur Kenntnis nahm und in sicherem Abstand stehen blieb. Schlau. ,,Kai, können wir re..." Sofort schnitt ich im das Wort ab, was er mit einem empörten Schnauben quittierte und sofort von neuem anfangen wollte. Erneut unterbrach ich ihn: ,,Wenn Kai soweit ist dann wird er schon auf dich zukommen. Und nein du kannst nicht deine Alphapersönlichkeit raushängen lassen um zu kriegen was du willst. Und wehe du drängst dich ihm auf, dann mach ich dir die Hölle heiß. Und dabei ist mir auch egal ob du mein Alpha bist, denn Kai ist genauso mein Freund wie er deiner ist. Vielleicht lässt er dich ja so lange zappeln dass du von selbst einsiehst dass du dich absolut scheiße ihm gegenüber verhalten hast." Ich merkte erst das ich mich so in Rage geredet hatte, als Kai seinen Kopf in meine Hand schmiegte um mich zu erinnern, dass es vielleicht nicht klug wäre noch mehr zu sagen. Kurzerhand erhob er sich und verwandelte sich zurück. ,,Danke!" Die Aufrichtigkeit in seinem Blick ließ mich kurz schlucken ehe ich schließlich vorsichtig zu ihm auf lächelte. Sein Blick glitt zu seinem Mate und mit überraschend festen Schritten stieg er die Treppe zum Rasen hinunter. ,,Komm mit wir haben einiges zu klären!" So entschlossen hatte ich ihn noch nie erlebt und gerade war ich mehr als stolz. Zielstrebig steuerte Kai auf den Waldrand zu und mit einem letzten Blick über die Schulter verwandelte er sich erneut und wurde kurz darauf von dichtem Blattwerk verschluckt. Völlig perplex starrte Keno die Zweige und Blätter an, durch die Kai soeben verschwunden war. ,,Na los! Geh schon du Volltrottel!" Der brauchte wirklich eine Extra Einladung für alles. Wenn das mal nicht schief ging.

Schatten der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt