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POV Kai
Erschöpft sank mein Kopf gegen die kalten Fliesen. Die Rasierklinge war schon vor ein paar Minuten aus meinen schlaffen, zitternden Fingern gerutscht und mit einem leisen platschenden klappern auf den Boden gefallen. Irgendwie musste ich das Blut abwaschen weil auf keinen Fall wollte ich dass Keno davon Wind bekam. Ich wusste ich musste das Wasser aufdrehen aber der Impuls kam nicht bei meinen Muskeln an. Gerade war mir alles egal. Am liebsten würde ich einfach die Augen schließen und nie wieder aufmachen weil was hatte diese Welt mir schon zu bieten. Keno würde mich garantiert hassen und der Schmerz der sich auf seinem Gesicht spiegeln würde, würde ziemlich sicher den kleinen Rest der von meinem Herz noch übrig war in tausend Scherben zerspringen lassen. Meine Beine waren mittlerweile eingeschlafen und es kostete mich meine letzte Kraft sie unter meinem Körper hervorzuziehen, um mich an den glatten Fliesen abzustützen, damit ich die Hand nach der Armatur ausstrecken konnte. Wenige Momente später strömte das viel zu heiße Wasser über meinen Körper und wusch die inzwischen geronnenen Flecken von meinen Beinen und dem Boden. Die Schnitte brannten wie Feuer, hatten aber aufgehört zu bluten. Einen weiteren Schnitt und ich hätte aufgrund des Blutverlusts das Bewusstsein verloren. Langsam zog ich meine Knie an den Körper, legte meinen Kopf auf den Knien ab und ließ das Wasser meinen ausgekühlten Körper wärmen.

POV Keno
Als ich auf dem Sofa aufwachte, lag Kai nicht mehr neben mir und die Stelle wo er gelegen hatte war bereits kalt. Hieß er lag schon eine ganze Weile nicht mehr neben mir. Alarmiert fuhr ich aus den weichen Kissen denn er war immer noch nicht soweit wieder fit als dass er sich weit hätte entfernen können. Schnell schlug ich die Decke zurück und steuerte auf die Treppe zu, die nach oben zu unserem Zimmer führte. Vielleicht fehlte ihm einfach die vertraute Umgebung und er hatte sich nur in die graue Decke gewickelt und schlief. Hoffen wir dass es so ist und nicht dass er in irgendeiner Ecke zusammengebrochen ist. Gerade verfluchte ich mich dafür, dass ich ihn noch nicht markiert hatte. Mit der Markierung hätte ich meinen Mate schneller gefunden und auch früher gemerkt, dass er sich entfernt hatte. Oben angekommen fand ich ein leeres Bett und nahm schwach noch den Geruch von Blut wahr. Ich war mir ziemlich sicher, dass Kai im Bad war denn die Türe war abgeschlossen. Leise trat ich an die Tür und klopfte vorsichtig. ,,Kai? Bist du da drin?" Wie erwartet kam keine Antwort. Also nahm ich ein wenig Anlauf und warf mich mit der Schulter gegen die Tür. Das Schloss brach auf und durch den Schwung stolperte ich ins Badezimmer und hätte um ein Haar das Gleichgewicht verloren. Als ich mich schließlich gefangen hatte stieg ich über die am Boden liegenden Kleider und sah Kai in der Dusche sitzen. Hier war der Blutgeruch stärker und vereinzelt flossen noch kleine Rinnsale in den Abfluss, welche das Wasser abgewaschen hatte. Das Wasser hatte aber noch etwas ganz anderes weggespült und erschrocken starrte ich auf die Rasierklinge, die wohl mal zu meinem Rasierer gehört hatte. Langsam kniete ich mich auf die Fliesen und betrachtete die Klinge die ich mit spitzen Fingern aufgehoben hatte. Kai hatte bis jetzt keinen Mucks von sich gegeben aber er sah blasser aus als noch vor ein paar Stunden. Nach kurzem Zögern stieg ich in die Dusche und ging vor Kai in die Hocke, nachdem ich das Wasser abgedreht hatte. Er sah weiterhin nicht auf und auch sonst blieb jede Regung aus. Meine Hände machten sich selbstständig und legten sich auf seine viel zu kalten Wangen um den Kopf anzuheben. Die Augen geschlossen fing er an zu zittern und nach kurzer Zeit bebten seine Schultern unter unterdrückten Schluchzern. ,,Kai mach bitte die Augen auf. Schau mich an, bitte!" Meine Stimme zitterte vor Verzweiflung und Unwissenheit. Für einen kurzen Moment ließ ich meine Hände sinken um ein Handtuch vom Regal neben der Dusche zu angeln in welchem ich Kai einwickelte und vorsichtig abzutrocknen begann. ,,Kai, bitte. Was ist los? Sag mir was ich machen kann!" Die Verzweiflung frass sich tiefer weil ich einfach nicht wusste wie ich ihm helfen konnte oder ob er sich überhaupt von mir helfen lassen wollte. Weiterhin die Augen geschlossen streckte er langsam die Beine von sich und die Stellen die das Handtuch jetzt nicht mehr bedeckte waren mit unterschiedlich tiefen und breiten Schnitten überzogen. Scharf sog ich die Luft ein. Mein Blick zuckte fassungslos über die verletzte Haut während ich immer weiter zurückwich, aufstand und geradezu aus der zerstörten Tür stolperte. Kai's lautes Schluchzen bohrte sich wie ein Eiszapfen in mein Herz und brach es sauber entzwei bevor ich mich ganz aus dem Raum flüchten konnte.

Verdammte Scheiße, Keno! Du kannst ihn doch jetzt nicht allein lassen! Du feiges Schwein! In allen Situation in denen du hättest davon laufen können hast du die gewählt in der er dich am meisten braucht. Du hattest so viele verdammte Gelegenheiten den Schwanz einzuziehen und zu beweisen dass du es nicht wert bist von jemandem wie ihm geliebt zu werden. Aber du hast dir den Moment ausgesucht, in dem du quasi sein Leben vor ihm in Scherben liegen hast sehen. In dem er so viel Schmerz hatte durchstehen müssen und einfach ein Ventil brauchte. In dem er dich oder sonst jemanden mehr braucht als alles andere. In dem er jemanden gebraucht hätte der ihm Halt gibt und nicht jemanden der einfach davon rennt und ihm damit noch mehr Gründe liefert sich selbst zu verabscheuen. In dem er Gottverdammt nochmal einfach eine Umarmung gebraucht hätte. Aber nein. Du rennst einfach weg als würde dir rein gar nichts an seinem Leben liegen. Als hättest du nicht dir und mir versprochen alles und jeden für ihn zu vernichten. Du bist erbärmlich! Wenn du schon davonrennst dann überlass wenigstens mir die Kontrolle, damit ich mich zu ihm legen und schonmal damit beginnen kann die Scherben seines Herzen, dass du ziemlich sicher vollends zerbrochen hast, wieder zusammenzusetzen.

POV Lev
Nach einigen weiteren Zankereien hatte ich Keno so weit, dass er mir wiederstrebend die Kontrolle überließ. Sobald ich mich verwandelt hatte, sprintete ich die Treppe wieder nach oben und als ich schlitternd vor der Dusche zu stehen kam, saß Kai immer noch genauso da. Einzig allein sein Schluchzen war zu stummen Tränen geworden, die allerdings nicht weniger Schmerz ausdrückten. Es würde zwar eng werden aber ich quetschte mich dennoch zu Kai in die beengte Kabine, der mich erst jetzt zu bemerken schien. Umständlich rollte ich mich um Kai's Beine zusammen, sodass ich meinen Kopf auf seinen Oberschenkeln ablegen konnte. Er zuckte zusammen und krallte seine Finger in das Fell zwischen meinen Ohren als ich meine Zunge über die zahlreichen Wunden schnellen ließ. Die kalten Finger in meinem Fell lockerten sich allmählich als sich die Wunden nach und nach zu schließen begannen. Nach einigen stillen Momenten flüsterte Kai leise: ,,Danke!'' Wie hätte ich dich denn jemals alleine lassen können! Ich  stupste ihn leicht mit der Schnauze an und er schien das Versprechen in meinen Augen gelesen zu haben, denn ein wenig von seiner Anspannung fiel von ihm ab. Abwesend begann er meinen Kopf zu kraulen und wäre ich ein Katze hätte ich jetzt zu schnurren angefangen. Ich hob meinen Kopf und sah Kai an, der kurz davor war einzuschlafen während die Kreise seiner Finger immer kleiner und langsamer wurden. Brummend stupste ich seine Hand an, damit er mir aus der Dusche folgte weil ich wollte ihn nicht hier sitzen lassen. Das Bett wäre sicherlich bequemer, wo ich ihn in die graue Decke wickeln und mich neben im zusammenrollen konnte. Mit einem kleinen Satz war ich auf den Teppich gesprungen und mit einem Blick über meine Schulter vergewisserte ich mich, dass Kai ebenfalls auf wackligen Beinen stand. Fix schlüpfte ich aus dem Bad und schnappte mir aus dem Schrank eine von Kai's Boxershorts, die ich ihm wieder bei ihm angekommen vor die Füße fallen ließ. Immer noch zitternd bückte er sich nach der Boxershorts und hatte sie nach einigen Versuchen schließlich übergezogen. Bevor er hier im Bad wieder auf die Knie sinken konnte schob ich ihn behutsam vorwärts, sodass er sich wenig später auf das Bett fallen lassen konnte. ,,Kannst du mir einen Pulli bringen?" Seine Frage war nicht mehr als ein atemloses hauchen aber ich tapste zum Schrank und zog den erstbesten Pulli heraus den ich finden konnte. Nachdem Kai auch diesen übergezogen hatte sprang ich zu ihm aufs Bett, um die flauschige graue Decke um ihn festzustecken und mich neben ihm zusammenzurollen. Seine kalten Finger schoben sich in mein Fell als wollte er mir sagen ,,geh bitte nicht weg" und ich rutschte noch ein stücken näher, sodass ich ihn mit meiner Körperwärme umhüllte. Wenige Momente später war er auch schon eingeschlafen und die flachen Atemzüge an meiner Flanke wurden regelmäßiger. Auch ich schloss die Augen, erlaubte mir aber nicht in den Schlaf hinüberzugleiten. Neben dem Fakt dass ich einfach da sein wollte wenn er aufwachte, hatte ich noch einige Hühnchen mit Keno zu rupfen, der sich hoffentlich schon die allergrößten Vorwürfe machte. Ein wenig länger würde ich ihn noch zappeln lassen, denn gerade war ich unfähig den Blick von Kai's schönem Gesicht zu wenden. Unter dieser fast makellosen Fassade schimmerte die tiefe Traurigkeit hindurch und zeigte sich in den dunklen Augenringen und dem auch im Schlaf verkniffenen Gesichtsausdruck. Ich wünschte mir so sehr für ihn dass er endlich mal zur Ruhe kam aber im Moment schien im das nicht vergönnt zu sein. Das einzige was ich tun konnte war bei ihm zu liegen und wenigsten ein kleines bisschen der Last auf seinen Schultern zu mindern.

Schatten der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt